Die Notizen/Aufzeichnungen aus der «Wyborada-Edition Nr. 8» vom April 2021 sind hier in der Folge leicht verändert wiedergegeben:
In dieser Edition wird ein feministischer Blick auf den Online-Katalog geworfen. Sind Künstlerinnen gezielt auffindbar? Wenn nicht, was ist der Grund dafür? Das Sitterwerk bietet einen eigenen Katalog an, um in der dynamischen Ordnung der Kunstbibliothek und des Werkarchivs zu suchen. Es kann im Suchfeld ein Begriff eingegeben werden, mit welchem die Datenbank nach Stichworten, also vorhandenen Metadaten in der Datenbank, sucht. Ein Beispiel:
Zur Gruppenausstellung «hauttief» erschien eine gleichnamige Publikation. An der Ausstellung waren folgende Künstlerinnen beteiligt: Madge Gill, Annemarie von Matt, Maria Lassnig, Silvia Bächli, Annemarie Ciàs-Frascoli, Marianne Flury, Katrin Freisager, Gabriella Gerosa, Cécile Huber, Leiko Ikemura, Mili Jäggi, Monica Klingler, Muda Mathis, Elisabeth Nembrini, Pipilotti Rist, Ilona Ruegg, Marie Sacconi, Dorothee Sauter.
Suchen wir nun Medien zu Madge Gill, so erscheint «hauttief» nicht in der Trefferliste. Es zeigt sich, dass hier die Künstlerinnen nicht namentlich in den Metadaten aufgeführt sind – wie das bei Publikationen zu Gruppenausstellungen oft passiert. Aus diesem Grund bleiben solche Kataloge bei einer Suche per Name verborgen.
Titel «Hauttief»
Weitere Titelinfos [Red.: Kathrin Frauenfelder]
Sonstige Beteiligte Kathrin Frauenfelder
Helmhaus Zürich
Thema Kunst; Körper — Motiv; Künstlerin; Geschichte 1941-1994;
Ausstellungskatalog; Ausstellungskatalog, Zürich, 1994
Verlag Zürich Helmhaus
Erscheinungsdatum 1994
Identifikator ISBN : 3-906396-25-8
Weitere Infos Ersch. zur gleichnamigen Ausstellung im Helmhaus Zürich vom 10. Juni bis 31. Juli 1994
Etwas mehr zu Schlagworten
Schlagworte bilden nebst der Eingabe im Suchfeld einen wichtigen Zugang zu den im Online-Katalog abgebildeten Medien. Allerdings warf die Verschlagwortung die grössten Fragen und auch Probleme auf. Wer vergibt die Schlagworte nach welchen Kriterien? Welchem System folgt die Schlagwort-Anlage?
Die Bibliotheksordnung repräsentiert mit dem Verschlagworten von Büchern und Aufsätzen ein altes System von Kategorisierung von Wissen, das vor allem die androzentrische (Männer als Norm) und euro-amerikanische Sichtweise abbildet. Nebst Schlagworten zu Personen und geografischen Orten werden auch thematische Schlagworte vergeben. Diese wollten wir testen. Was wird im Online-Katalog der Kunstbibliothek nicht gefunden, nur weil die Verschlagwortung ist, wie sie ist? Auch: Welche Ordnung oder Organisation ist von Grund auf ausschliessend? Wie kann das herausgefordert, geändert werden?
Eine Bibliotheksmitarbeiter*in setzt die Schlagwörter nicht nach Gutdünken, sondern nach internationalen Normen und Kategorien. Oft werden in einem Bibliothekssystem einge-gebene Schlagworte übernommen. Normdaten erleichtern die Katalogisierung und bieten die Möglichkeit der Vernetzung unterschiedlicher Informationsressourcen. Genormte Schlagworte wiederum bieten eindeutige Sucheinstiege. Das in der Bibliothekswelt eingesetzte System der Gemeinsamen Normdatei (GND) beruht auf alten und stark festsitzenden dichotomen, andro- und eurozentrischen Strukturen und Denkweisen. Aus feministischer Sicht wird die GND aufgrund des hierarchischen Aufbaus kritisiert. Schlagworte werden nach Synonymen, thematischem Bezug, Ober- und Unterbegriffen angelegt. Die GND wird von der Deutschen Nationalbibliothek (DNB), allen deutschsprachigen Bibliotheksverbänden, der Zeitschriftendatenbank (ZDB) und zahlreichen weiteren Institutionen zwar kooperativ geführt, die Bearbeitung der Schlagworte unterliegt aber klaren hierarchischen Abläufen. Die OGND bietet Zugriff auf die GND. (www.swb.bsz-bw.de)
Eine bekannte Kritikerin des hierarchischen Schlagwortkatalogs ist Karin Aleksander, Leiterin der Gender Bibliothek Berlin. Sie schreibt 2014 in Die Frau im Bibliothekskatalog: «Die heute in Bibliothekskatalogen verwendeten Schlagwörter werden seit 2012 in der Gemeinsamen Normdatei GND geführt. Zwar können individuell per Formular Korrekturanfragen an die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) gestellt werden. Z.B. das Wort Gelehrte: Eine GND-Regel besagt: Die weibliche Form wird verwendet, wenn weibliche Personengruppen Gegenstand sind; männliche und weibliche Form dürfen zur Bezeichnung desselben Gegenstandes nur verwendet werden, wenn es sich um einen Vergleich handelt…» Dieses Zitat zeigt den androzentrischen Aufbau des Systems genauso wie den langwierigen Prozess einer Anpassung durch das vorgegebene bürokratische Vorgehen. Es ist eine Problematik, die alle Bibliotheken betrifft, die bei der Erschliessung auf Normdateien wie die GND setzen, also auch die grossen, traditionellen Universitätsbibliotheken. Aus diesem Grund wird ein umfassender Lösungsansatz anvisiert, nämlich auf einer höheren Ebene anzusetzen und z.B. in der Grundstruktur der GND Veränderungen herbeizuführen. Dabei geht es um mehr, als darin bloss neue Begriffe zu setzen. Das Denken hinter diesem System soll hinterfragt werden.
Alternativer Umgang mit Schlagworten
Gegenwärtig sind kollaborative Ansätze der Schlagwort-Übernahme auszumachen. Die Fachbibliotheken schliessen sich bestehenden Netzwerken von Fachinstitutionen an, um ihre spezifische Vermittlungsarbeit sichtbarer zu machen. Oft werden aber die vorgegebenen Schlagwörter ohne Ergänzungen übernommen. Hier könnte mit Sensibilisierung des Bibliothekspersonals reagiert werden. Weiter ist zu beobachten, dass in Zukunft die Arbeit an der Verschlagwortung zunehmend auch interaktiv und das Feld der reinen Fachleute beim Verschlagworten erweitert wird. Womöglich können alle Bibliotheksnutzerinnen zu poten- ziellen Mitarbeiterinnen im digital vernetzten Co-Working werden. Es bieten sich gezielte Vernetzung mit in diesem Bereich bereits aktiven Bibliotheken an.
Um aus den historisch gewachsenen hierarchischen Strukturen auszubrechen, hat sich der i.d.a.-Dachverband (Dachverband deutsch-sprachiger Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentations-stellen) die Frage gestellt: Wie könnte ein Schlagwortsystem aussehen, das einem feministischen Ansatz folgt? In der Folge hat der Dachverband den META-Katalog (www.meta-katalog.eu) entwickelt, der nicht auf eine hierarchische Anordnung der Sachbegriffe setzt, sondern auf eine von jeglicher Struktur losgelöste Anordnung. So wurde das hierar-chische GND-System mit einer Geschlechter-Schlagwortwolke ersetzt. Die Datenbank kann nach Suchworten, Personen, Datenquellen, Dokumenttypen und Sprache durchsucht werden.
Ausblick: Sprachliche und technologische Entwicklung
Unsere Sprache muss sich davon lösen, dass gewisse Begrifflichkeiten überhaupt als «Sonderstellung» bezeichnet werden. Es gilt etwa konsequent zu gendern. (www.genderleicht.de) Ansonsten besteht die Gefahr, das androzentrisch geprägte Sprachmuster mit weiteren Differenzierungsbegriffen für die Frau, das Weibliche zu untermauern – und Frau als Abnorm zu behandeln.
Aktuelle technologische Entwicklungen zeigen, dass mit Linked Data und Semantic Web die hierarchische Anordnung der Begriffe schon bald auch im Bibliothekswesen durch ein Beziehungsnetz ersetzt werden könnte. Damit sind Querbezüge und die Herstellung von direkten Beziehungen möglich, die bis anhin nicht denkbar waren. In Zukunft wird die Verschlag-wortung mit Vernetzungen arbeiten, um diese Hierarchien aufzulösen, um in einer intelligenteren Semantik zu arbeiten.
Bei Linked Data werden in Suchsystemen und Bibliotheksdatenbanken ein-deutig identifizierbare Daten miteinander verknüpft. Das Semantic Web beschreibt dazu konzeptionell einen Giant Global Graph. Dabei werden sämtliche Dinge von Interesse identifiziert und mit einer eindeutigen Adresse versehen als Knoten angelegt, die wiederum durch Kanten (ebenfalls jeweils eindeutig benannt) miteinander verbunden sind. Einzelne Dokumente im Web beschreiben dann eine Reihe von Kanten, und die Gesamtheit all dieser Kanten entspricht dem globalen Graphen. Als Basis dieser Vernetzung dienen Triple-Subjekt-Prädikat (ist ein, hat ein …) und Objekt – somit die Vorgehensweise der Prädikantenlogik.
Die Datenbanken der Bibliotheken werden deshalb zukünftig bestrebt sein, die Praktiken des semantischen Web in ihre Suchsysteme ein-zubinden. Das katalogisierte Wissen wird so breiter fassbar und richtet sich an jene, die mit Suchmaschinen im Internet sinnvolle Recherchen erreichen. Diese Herangehensweise ist auch für unsere Überlegungen zum semantischen Suchprojekt in der Bibliothek interessant. Was wären interessante Verknüpfungen in dem Bereich Subjekt-Objekt? Was liesse sich aus Abfragen in einer Suche über die Künstlerin Pipilotti Rist wie «ist eine Künstlerin», «lebt in Zürich», «macht Video, Installationen und Performances», «hat Ausstellungen seit 1984», ableiten?
Das Spiel mit der Prädikantenlogik ist etwas, was entweder die Systeme bestätigt, ins Chaos und die Funktionslosigkeit der Systeme führt oder die Welt mit den Graphen ein bisschen gerechter abbildet, als es die herkömmlichen Systeme tun. Wichtig ist deshalb auch hier ein feministischer Blick auf die Technologie, auf die inklusive und non-binäre Vernetzung der sich gerade entwickelnden Graphen.
Mit der Sprache der Verschlagwortung zu arbeiten, hat trotz oder neben der Entwicklung von Linked-Data-Projekten als Formen des Semantic Web einen gewissen Wert. Mit der kritischen Bearbeitung und Anwendung der Gemeinsamen Normdatei GND werden auf jeden Fall Fragen an das bestehende Schlagwort-System gestellt, wie die Arbeit von feministisch orientierten Fachleuten beweist.