Wie Theater machen, das nicht nur anödet? Wo gibt es in Zürich noch Freiheit und geistige und kulturelle Lücken? Wie stellt man es an, dass die Bühne nach Schnaps riecht? Der Erfahrungsbericht einer Teilnehmerin beim Inkubator, der Plattform für Kurzstücke im Fabriktheater.
Ich war 2016 beim Inkubator dabei. Aber wie darüber schreiben? Ich muss subjektiv vorgehen; in meinem Fall ist über Erfahrung zu schreiben nichts anderes, als eine Auslegung davon, wo ich den Finger reindrücken und wovon ich die Finger lassen will.
Das Fabriktheater kannte ich nicht besonders gut, vielmehr die Rote Fabrik. Da ich in Wollishofen aufgewachsen bin, ging ich vor allem im Sommer in «die Rote» wenn ich nirgends hinwollte, es zuhause aber nicht aushielt. Meistens hingen wir draussen rum und gafften, voll mit einfältigen und menschenfeindlichen Gedanken, auf den See, bis wir braungebrannt waren und voller Ideen, aus denen nie etwas wurde.
Theater interessiert mich, vor allem Theatertexte, schliesslich bin ich Autorin. Aber ich fühle selten etwas im Theater. Meist laufe ich aus dem einen oder anderen Schauspielhaus hinaus und empfinde nichts. Oft fühle ich mich angeödet oder verspüre gar Abscheu. Viel zu selten ist auf der Bühne eine Kunst, die mir nicht kriechend vorkommt. Ausserdem lerne ich selten Theatermacherinnen, Theatermacher kennen, denen es gelingt, mich zu fesseln; die mit einer Ergebenheit und mit Liebe zur Kunst Theater machen. Die meisten Theaterautorinnen und Theaterautoren, die ich kennenlerne, reden viel lieber darüber, was sie dem einen oder der anderen nicht gönnen und wie verbissen diese oder jene Person ist – was eigentlich ok wäre – was mich jedoch stört, ist, dass sie ihre eigene Unterwürfigkeit und Anerkennungsgeilheit, die sie ebendiesen Menschen vorwerfen, nicht infrage stellen.
Als es das «Perla-Mode» an der Langstrasse noch gab, war dies für mich einer der wenigen Orte, wo sich KünstlerInnen trafen, denen man glaubte, dass sie anders funktionieren. Menschen, denen man ansah, dass sie für immer unglücklich geworden wären, würde es die Kunst nicht geben. Das Perla war einer der wenigen Orte in der Schweiz, der diesen Menschen einen Raum, eine Bühne und Freiheiten bot. Das Fabriktheater schien mir, nachdem ich einige Vorstellungen besucht hatte, ähnlich zu funktionieren. Ich meine das nicht im Sinne einer marktwirtschaftlichen, sondern eher im Sinne einer geistigen und kulturellen Lücke. Aber erst zurück zum Perla-Mode: Dort traf ich Robert. Er spielte an einem kleinen Theaterfestival ein Stück, das er mit einem Freund geschrieben hatte. Es war auf Bosnisch/Serbisch/Kroatisch (sucht es euch aus) und ich verliebte mich. Mir ging das Herz auf, weil die beiden so gnadenlos das Eigene und gleichzeitig das Fremde nach Aussen kehrten, ohne jegliche Hemmungen, und sie das alles mit einer eigenwilligen Einfachheit spielten. Weil sie wahrhaftig fluchten, schwitzten, Volksmusik einspielten und es schafften, die Leute in ihren Bann zu ziehen, ohne dass das Publikum ein Wort verstand.
Ich sprach Robert an (ja, wir Jugos sprechen uns manchmal an, das bedeutet aber nicht, dass ihr uns einander ständig vorstellen sollt, nur weil wir aus der gleichen Sprachregion stammen, wir entscheiden da gerne selber), seiter kennen wir uns.
Etwa ein Jahr später schrieb ich einen Trinkermonolog. Ich schrieb ihn aus einer Laune heraus, nachdem ich «Ithaka und Kommentare» von Milos Crnjanski, einem jugoslawischen Klassiker der Moderne, gelesen hatte. Im Kapitel «Apotheose» widmet er einen Trinkspruch dem Banat – einer historischen Region in Mitteleuropa, die heute auf dem Gebiet von Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Crnjanski schrieb den Text 1959, gegen die Abscheulichkeiten des ersten Weltkrieges, bei dem er selbst als Soldat gedient hatte. Ich will den Autor nicht loben, aber dieses Kapitel rief etwas in mir wach, einen Zorn, und aufgebracht schrieb ich also einen Trinkermonolog auf den heutigen, mittlerweile auch schon etwas historischen Balkan. Ich schrieb gegen den Braindrain, gegen die Folklore, gegen Fremd- und Selbstbilder in Serbien und der Schweiz und wusste bald, dass Robert diesen Monolog spielen musste. Kurz darauf, nachdem ich den Text fertiggestellt hatte, las ich die Ausschreibung für den Inkubator im Internet. Ein Zeichen, zwei Zeichen. Nachdem ich Robert den Text geschickt hatte, trafen wir uns. Es gibt diesen wundervollen Moment, den jede Autorin kennt, wenn man eine Idee oder einen Text freigibt und dieser sich in eine Richtung entwickelt, die Raum für noch mehr Ideen schafft. Ich glaube, dass man nur, wenn man künstlerisch zusammenarbeitet, zu Feinden oder Freunden werden kann. In allen anderen Berufen verkommt man zu Kollegen. Natürlich wurden wir Freunde. Einmal während den Proben betranken wir uns – Robert angeblich erst zum zweiten Mal so richtig in seinem Leben. Ich weiss es nicht genau, ich weiss nur, dass er selten bis nie trank. Aber wir wollten, dass die Bühne nach Schnaps roch und so besorgten wir diesen billigen und einzigen Sljivovica von «Takovo», den es im Coop zu kaufen gibt. Jedenfalls musste Robert von Andreas Storm, der als unser Mentor erst spät, nachdem er selber geprobt hatte, vorbeischaute und uns seine Hilfe anbot, nach Hause begleitet werden. Da ich an diesem Abend bei meinen Eltern schlief – die Proben dauerten bis spät in die Nacht – lief ich nach Hause und kotzte in den Garten einer Kindertagesstätte, was mir sehr leid tat. Aber seither denke ich an diesen Abend, wenn ich daran vorbeilaufe. An einem Ort, den ich bisher nur mit meiner Kindheit und Jugend verbunden hatte.
An zwei Abenden im Januar des letzten Jahres zeigten wir das Stück. Wir hatten zehn Minuten Zeit auf der Bühne und nach einer kurzen Pause waren schon die nächsten an der Reihe. Man gab uns viele Freiheiten. Durch die Diversität der Gruppen und deren Auftritte wie Tanz, Sprechtheater, Performances und dank einem fast reglosen Bühnenbild konnten wir uns selber aufeinander abstimmen und wurden nicht bestimmt durch eine Institution oder Leitung.
Das Inkubator-Format hat etwas Episodisches, durch das Kurzlebige und -zeitige. Und wie ich es von gelungener Kunst erwartete, machte es mich nervös. Was ich ebenso bereits vorher wusste: Am Ende der Vorstellung sollte ich nicht philisterhaft in Interpretationen – oder noch schlimmer saturiert an der Bar, dem Ritual allgemeiner Zufriedenheit unter Gleichgestellten und Gleichdenken verfallen. Erfahren habe ich es aber erst durch den Inkubator.
Genug rumgedrückt. Von allem anderen lasse ich jetzt mal die Finger.
Also. Geht hin.
Die zweite Ausgabe des Inkubators findet am 20. und 21. Januar jeweils um 19.30 Uhr im Fabriktheater statt.