Vor etwa zehn Jahren sass die Freundin eines Freundes in meiner Küche und erzählte mir, dass die Präsidenten und Präsidentinnen dieser Welt eigentlich Eidechsen seien. Das war meine erste Begegnung mit Verschwörungstheorien. Es blieb nicht die einzige und spätestens seit der Coronakrise sehe ich immer mehr Menschen, die plötzlich über Bill Gates und 5G-Antennen reden. Natürlich darf über Bill Gates und 5G-Antennen gesprochen werden, allerdings tun das manche, indem sie sehr abenteuerliche Zusammenhänge mit dem Coronavirus herstellen.
Gleichzeitig höre ich immer öfters von Leuten, dass sie nicht mehr Zeitung lesen würden. Das sei einfach zu anstrengend in letzter Zeit. Nun ja, Krisen sind anstrengend. Vielleicht ist das Problem eher, dass es plötzlich eine Krise ist, die auch uns betrifft. Und eigene Probleme sind anstrengend. Denken ist auch anstrengend. Momentan gerate ich fast zur Vermutung, dass es der Schweiz bis anhin so gut ging, dass manche Menschen hier gar nicht lernen mussten zu denken. Das würde z.B. erklären, warum es ein Bundesrat nicht schafft, die einfachste App der Welt auf seinem Handy zu installieren. (Sorry, aber sogar mein Grosi ist in der Lage, ihr Handy ihrer Tochter zu geben, damit die ihr die App installieren kann.) Eine Frage der Bildung ist es wohl nicht (Ueli Maurer z.B. hat die Sekundarschule abgeschlossen, mein Grosi nur das Hauswirtschaftsjahr. (Und nein, Ueli Maurer hat sich meines Wissens nie verschwörungstheoretisch geäussert, aber er ist Mitglied der SVP)).
Das Nicht-Denken-Phänomen ist schade, gerade jetzt, da Fake News in hoher Dichte grassieren. Wobei der Zusatz «News» eher schwierig ist. Verschwörungstheorien gibt es so lange wie es Menschen gibt. Interessanterweise haben sie sich über die Jahrhunderte gar nicht mal gross verändert. Manche mögen sich vielleicht noch erinnern, wer in Europa zum Beispiel gern für Seuchen verantwortlich gemacht wurde: der jüdische Teil der Bevölkerung. Noch heute unterliegt vielen aktuellen Verschwörungstheorien ein solider Antisemitismus. Die Anti-Corona-Demo in Berlin etwa zeigte erneut die unangenehme Nähe von Verschwörungstheorien und der rechtsextremen Szene. Wobei wir wieder bei Ueli Maurer wären (der wurde zwar nicht an der Demo gesehen, aber er ist Mitglied der SVP). Zweifel an der Gefährlichkeit des Coronavirus zu haben, ist nämlich total en vogue bei rechtskonservativen Politikern fortgeschrittenen Alters. Boris Johnson begann, kaum von der COVID-Intensivstation entlassen, sofort vor laufender Kamera Liegestütze zu machen, um zu zeigen, wie fit er sei. Kurz darauf verkündete Bolsonaro, er sei ebenfalls am COVID erkrankt, aber im Gegensatz zum Schwächling Johnson habe er nur Husten. Und kurz darauf erklärte Lukaschenko, er sei ebenfalls am COVID erkrankt gewesen, aber er habe nicht mal Husten gehabt! Wir sind gespannt, was sich Putin und Trump werden einfallen lassen. Und wie es mit Ueli Maurer weitergeht, der zwar nur bedingt in diese Kolumne passt, aber er ist Bundesrat der SVP. Und die will mit ihrer Begrenzungs-Abstimmung im September zurück in die 70er Jahre. Aber Zeitmaschinen sind auch nur Verschwörungstheorien.