Der medialen Berichterstattung über Griechenland etwas entgegensetzen und eine andere Sicht auf die griechische Gesellschaft der letzten Jahrzehnte zeigen – das wollen Initiator Kyros Kikos und Kurator Vassily Bourikas mit ihrer Filmreihe erreichen. Und dabei nicht weniger als untergründiges, unabhängiges, anarchisches und poetisches sowie politisch vitales Kino zeigen. Ein Gespräch.

Fabrikzeitung: Im Kinoprogramm steht, dass dir die Idee dazu 2015 kam, weil die Berichterstattung der Medien von neoliberalen Gewäsch, Oberflächlichkeit und quasselnden bis dämlichen Beiträgen geprägt war.

Kyros Kikos: Das war die mediale Berichterstattung.

Die Griechen sind faul und wollen tatsächlich bereits mit sechzig Jahren in die Pension?

Genau. Wir leben in Zeiten seltsamer Transformationsprozesse. Vernichtende Mängel des ungezügelten Finanzkapitalismus kommen zutage – und Griechenland ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Klar, ist einiges mies gelaufen in der griechischen Zivilgesellschaft. Man könnte fast denken, dass die griechische Gesellschaft inexistent oder zumindest in einer gewissen Form nicht vorhanden sei. Untereinander pflegt man zwar menschliche Funktionsweisen, aber als politische Zivilgesellschaft hapert es hinten und vorne, was vielfältige Gründe hat. Aber das in so eine Logik zu bringen mit Idiotenargumenten, die nur Vorurteile füttern?

Wie hätte man denn in der medialen Welt auf Griechenland eingehen sollen?

Man muss die Entwicklung der letzten ein bis eineinhalb Jahrhunderte anschauen, um Hintergründe zu verstehen und somit mit einer aufrichtigen Berichterstattung und Aufklärung zu starten.Dafür wäre natürlich eine Aufholjagd zu leisten: Die Dinge herauszuarbeiten, die dazu führen, dass eine Gesellschaft so funktioniert. Zum Beispiel die autoritären Regierungen. In dieser Hinsicht wurde weder seriös gearbeitet, noch erklärt.

Vor einigen Tagen hat Obama seine Abschiedstournee gestartet. In einem Fernsehinterview in Athen sagte er, er sei stolz, in der «Geburtsstätte der Demokratie zu sein». Ist diese historisch aufgeladene Rolle, auch eine Art von medialer Inszenierung?

Das sehe ich als ein grosses Problem in der jüngsten Vergangenheit. Nicht nur als zugewiesene Rolle von aussen, sondern auch innerhalb des Landes. Wie Griechenland funktioniert, hat viel damit zu tun. Einerseits weiss man, dass man das Level der modernen, westlichen Zivilgesellschaft nicht erreicht hat – die Griechen sind ja nicht doof. Andererseits haben sie das Wissen um die eigene Geschichte. Es ist ein Schwanken zwischen dem latenten Minderwertigkeitskomplex und Grössenwahn – wohl einer Art «Selbstschutzgrössenwahn». Wir haben es erfunden! Das macht eine objektive Auseinandersetzung innerhalb einer Gesellschaft viel schwieriger. Diese Rolle ist somit eher eine Last.

Das Filmprogramm beschreibst du als inneres und künstlerisches Exil. Warum?

Das ist ein Ausdruck von Vasilys, dem Kurator dieser Reihe. Meine ursprüngliche Idee war die eines gesellschaftlich analytischen Filmprogramms. Nicht nur Didaktisches und Dokumentarisches, sondern Beispiele, die erlauben sich einzufühlen, was Griechenland überhaupt für eine Entwicklung durchgemacht hat. Vasilys steht der tradierten und institutionalisierten Kulturvermarktung eher kritisch gegenüber. Es sollte unbedingt Platz haben für Produktionen, die nicht dafür gemacht sind, damit sie in ein gewöhnliches Filmprogramm passen. Vielmehr wollten wir Menschen, die ein Bedürfnis haben zu erzählen, die genau dort den Finger draufdrücken, wo er hingedrückt werden muss und die sich nicht um die gängigen Distributionsmuster scheren.

Wie zum Beispiel dieses Video eines anonymen Aktivisten, der die Ausschreitungen gefilmt hat.

Genau. Das sind Dinge, die gezeigt werden müssen und sinnvollerweise entstehen sie, indem man sich dem üblichen Spiel entziehst. Es stellen sich sicher auch Fragen, was danach passiert. Bleibt es ein Monolog, den nur ein paar Passanten mitkriegen oder passiert da noch ein weiterer Schritt. Das Exil ist auch als Frage gemeint, ob also ein Gespräch mit einem Publikum entsteht.

Wie habt ihr die Auswahl getroffen, zumal das ja nach Raritäten klingt?

Ja. Einen Kurator hat man ja hauptsächlich deswegen, damit er die Hauptarbeit macht! (Lacht)

Und du hast die Auswahl stillschweigend ertragen?

Seine Empfehlungen hatten natürlich Gewicht, weil er in Athen lebt. Wir standen in einem ständigen Dialog. Ich kenne ihn schon einige Jahre, ich wusste, dass er perfekt dafür ist. Und wenn ihm Dinge eingefallen sind, die er sich vorstellen konnt, machte er seine Vorschläge. Wir haben dann über Skype geredet oder uns mit den Akteuren getroffen, ein Pingpong. Ich komme aus einer gesellschaftlich-analytischen Ecke und er mehr aus jener der «Distributionsmöglichkeiten ausserhalb des Systems». Ihn beschäftigen Leute, die sich dem System, auch im künstlerischen Schaffen verweigern. Menschen, die so arbeiten, dass sie nicht in den Kunst- oder Filmmarkt wollen, aber trotzdem Filme machen. Die befassen sich meist mit Sachen, die man gesellschaftlich versteht. Weil sie ein Thema explizit aufgreifen. Verweigerung heisst ja schon, sich mit etwas befasst zu haben, das vorliegt. Es heisst, dass man das Vorliegende nicht komplett akzeptiert und wählt einen anderen Umgang. Die Herausforderung bestand darin, sich da zu finden, im Rahmen eines Programms, welches beide Elemente enthält. Es war auf alle Fälle sehr spannend.

Besteht nicht die Gefahr bei solchen Konzepten, dass man Bilder vor einer sogenannten «kulturschaffenden Elite» zeigt?

Ich glaube nicht. Die Gefahr hätte dann bestanden, wenn ich das Ursprungsprogramm, so wie es mir zu Beginn eingefallen war, nur aus einer Trotzhaltung heraus zusammengestellt hätte. Wenn es beim Gedanken einer Gegenöffentlichkeit als Reaktion auf die Medien geblieben wäre. Was hätte ich in diesem Falle gebracht? Regierungsnahe Positionen vielleicht. Was hier eventuell interessant wäre, aber für einen Diskurs innerhalb Griechenlands nicht. Ausserdem gibt es nie eine Gegenposition, es gibt hunderte von Gegenpositionen. Deswegen fand ich auch Vasilys Ansatz spannend, weil er aus einer ästhetischen und produktonstechnischen Verweigerungsposition kommt. Weil er genau das heute aktuelle zu Wort kommen lässt mit dem Risiko, dass es einseitig werden könnte. Es zeigt aber keine Positionen auf, die bereits vorgestellt wurden.

Die Finanzpolitik ist ja mittlerweile medial etwas in den Hintergrund getreten, durch die Flüchtlingskrise in Griechenland. Wird dieses Thema im Rahmen der Reihe auch aufgegriffen?

Es ist auf jeden Fall ein Film dabei, der das stark thematisiert.

Es kursieren ja mittlerweile ziemlich viele Filme zu diesem Thema. Welchen Umgang hat der gewählte Film erfüllt, damit er euch angesprochen hat?

Es ist eine Frage der Auswertung. Vor allem bei Dokumentarfilmen besteht die Gefahr Tränendrüsensituationen zu erzeugen, die keinerlei nachhaltige Auswirkungen haben. Andererseits entsteht hier die durchaus schwierige Frage, wofür man es dann sonst macht. Als Sujet, damit man ein paar tolle Protagonisten hat? Toll, im Sinne von erfüllend und perfekt für einen zweckdienlichen Voyeurismus, eines durchaus gutgemeinten Voyeurismus, die dann einen Film erfolgreich machen können. Oder willst du die Leute zu Wort kommen lassen, Verständnis provozieren, willst du ein bisschen in die Tiefe gehen und nicht nur informell handeln? Manchmal bewirkt eine poetische Vorgehensweise mehr.

Was wünscht du Griechenland?

Eine funktionierende Zivilgesellschaft. Eine, in der man sich nicht als Gegner einer Staatsform versteht. Diese alten Traditionen der Fremdherrschaft irgendwie zu durchbrechen. Dass man einen gesunden Bezug zur eigenen Staatsform entwickelt, auch wenn diese in der Vergangenheit blöd ausgenutzt wurde. Und dass man beginnt zu kooperieren..

Wer sollte sich die Filmreihe ansehen?

Alle! Ja! Ich hoffe natürlich auch sehr, dass etliche Leute von der griechischen Community kommen. Ich frage mich, ob die jungen Griechen die einzelnen Filmemacher überhaupt noch kennen. Ilias Petropulis. Ein wahnsinnig interessanter Mensch. Genauso Lambrakis, der damals ermordet wurde – es kommt so viel vor in seinem Film über die griechische Entwicklung, zu den verschiedenen Diktaturen, was sehr aufschlussreich ist. Dann allen, die Griechenland ein bisschen mehr verstehen wollen. Und darüber hinaus alle anderen, weil es ganz, ganz geile Filme sind. Mit einem ganz, ganz geilen Ansatz, wo es nicht nur darum geht, jeweilige Inhalte zu präsentieren. Und schliesslich Menschen, die sich mit verschiedenen Produktionsformen auseinandersetzen möchten, die neben dem gängigen Markt bestehen.

 

Die Filmreihe läuft vom 30. November bis zum 4. Dezember im Clubraum und in der Aktionshalle der Roten Fabrik.

Ivona Brdjanovic hat am Schweizerischen Literaturinstitut studiert und abgeschlossen. Sie arbeitete in Spitälern, Bäckereien, Bars, Baustellen und Tankstellen und studierte Umweltingenieurwesen.

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