Wir lachen nur selten. Diesen Befund belegen zahlreiche Studien der Gelotologie – der zeitgenössischen Lachforschung. Kinder lachen bis zu 400 Mal pro Tag, Erwachsene nur noch gegen die 15 Mal. Offenbar verlernen wir mit der Zeit die Welt mit Kinderaugen zu sehen, uns an den einfachen Dingen zu erfreuen.
Wir haben wohl gelernt uns zu beherrschen. Leute, die ohne jeden Anlass in Lachen ausbrechen, sind entweder überfordert, nicht Herr ihrer Lage oder im schlimmeren Falle krank.
Die Lachforschung erwähnt in diesem Zusammenhang gerne einen Vorfall, der sich 1962 am Westufer des Victoriasees im Gebiet des heutigen Tansania ereignete. Damals waren drei Schülerinnen eines Mädcheninternats plötzlich in ein krampfhaftes Lachen ausgebrochen, das nicht mehr aufhören wollte. Mit ihren Lachanfällen, die von Weinkrämpfen und Angstzuständen unterbrochen waren, steckten sie innert weniger Tage die Hälfte ihrer Mitschülerinnen an. Als die Lehrkräfte verzweifelt das Internat schlossen und die Kinder nach Hause in ihre Dörfer schickten, griff dort die Lachepidemie weiter um sich. Mehrere tausend Personen sollen sich mit den Lachanfällen infiziert haben. Erst nach einem Jahr ebbte die Epidemie langsam ab. Wissenschaftler gehen von einer Massenhysterie aus. Die politischen Wirren in der damaligen Zeit kurz nach der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft sorgten für einen Zustand hoher Stressbelastung unter der Bevölkerung. In dieser Situation war die Massenhysterie ein verzweifeltes Mittel der Leute, ihrer Ohnmacht Ausdruck zu verleihen.
Dabei kann lachen so schön sein. Ein Lachanfall unter Freunden ist nicht viel weniger schön als ein Orgasmus unter Liebenden. Dabei ist das Lachen wesentlich paarungsfreudiger. Nach einem Diktum Jean Pauls ist der Witz der verkleidete Priester, der jedes Paar traut. Wer Witz hat, verfügt über «ésprit» – ein mentales Vermögen, Dinge, die nicht zusammengehören, zusammenzudenken. Das Lachen, welches der Witz hervorruft, bewegt sich somit in einer epistemologisch ungesicherten Sphäre, wo plötzliche Einsichten und Geistesblitze möglich sind. Das Lachen steht auf der Grenze zwischen althergebrachtem und innovativem Wissen. Es manifestiert sich an jenem Punkt, wo wir noch nichts begriffen haben, aber vieles ahnen, wo uns bewusst wird, dass an unseren Grundsätzen irgendetwas faul sein muss.
Da das Lachen die herrschende Ordnung grundsätzlich in Frage stellt, müssen die Türhüter bestehender Wissenssysteme ihm allerdings feindlich gegenübertreten. Diesen Gedanken inszeniert Umberto Eco in seinem Roman ‹Der Name der Rose›. In einem benediktinischen Kloster hält der Bibliothekar Jorge von Burgos den verschollen geglaubten zweiten Teil von Aristoteles‘ Poetik über das Lachen unter Verschluss, weil er befürchtet, dass eine Autorität wie Aristoteles, der das Lachen als Kraft der Erkenntnis rechtfertigt, das Dogma der katholischen Kirche unterminieren würde. Deshalb bestreicht Jorge die Seiten des Buches mit einem klebrigen Gift, durch welches die heimlichen Leser, ihre Finger in oraler Wissbegierde leckend, der Reihe nach umkommen. Eco kontrastiert die strenge Disziplin des Ordens mit dem aufrührerischen Verhalten der wissensdurstigen Mönche. Das Lachen bringt Licht in die dunklen Machtstrukturen der mittelalterlichen Welt.
Trotz aller Sympathie für das aufklärerische Denken des scharfsinnigen Bruders William von Baskerville und sein Plädoyer für das Lachen muss man Jorge von Burgos doch in einem Punkt Recht geben: Das Lachen, indem es Verhältnisse auf den Kopf stellt und das Heilige mit dem Vulgären paart, hat in der Tat etwas Teuflisches. Es ist Teil jener uralten menschlichen Kraft, die sich in der Trance über das Göttliche erhebt, in der Ausschweifung die Unsterblichkeit fühlt und in der Kurzweil des Erhabenen spottet. Michail Bachtin beschreibt diese subversive Macht des Lachens im Karnevalesken. Auf dem Jahrmarkt kehrt es die Herrschaftsstrukturen um. Niemand besitzt dort Macht über das Lachen. Es ergreift Besitz von uns. Auf dieser dionysischen Seite unserer Existenz triumphiert der Bauch über den Verstand, das Chaos über das Gesetz. Die Schneisen durch den menschlichen Verstand verlaufen tiefer, als die Aufklärung sie zu schlagen wüsste.
Kaum eine Erfahrung des Menschen ist so intensiv wie der Schüttelfrost bei hohem Fieber. Der Organismus zeigt eine einzigartige Reaktion, um sein Überleben zu sichern. Der ganze Körper wird dabei von spastischen Krämpfen durchgeschüttelt. Die Zähne klappern, eisige Kälte durchfährt die Glieder. Selten vermögen wir die Grenze zwischen Leben und Tod so plastisch zu erfahren. Selten ist der Wunsch zu leben so verwandt mit unserer Sehnsucht nach dem Tod.
Wie ähnlich und doch verschieden muss die Erfahrung des psychotischen Lachens sein. Die Psychose bezeichnet einen mentalen Zustand, von dem sich der geistig gesunde Mensch nur mittels Metaphern ein Bild zu machen vermag, wenn überhaupt. Der an Psychose Leidende muss sich fühlen wie ein Heimatloser, bewegt er sich doch in einer Welt, die ihm vertraut und zugleich fremd erscheint. Die Sprache der Menschen dringt nur verzerrt an sein Ohr und will in ihren seltsamen Bezügen keinen rechten Sinn ergeben. Die meisten Mitmenschen stehen ihm feindlich gegenüber, denn sie bedrohen ihn mit ihren Regeln ständig. Sie verstehen seinen Gemütszustand nicht, wie könnten sie auch – sehen sie doch die Farben nicht, die grell aus den Winkeln des Betons hervorleuchten, sie vernehmen keine der Stimmen, die in seinem Kopf kämpfen um das Gute wider das Böse. In dieser Wirrnis bleibt dem Psychotischen keine andere Wahl als zu lachen. Denn die enorme Spannung zwischen dem inneren Kampfplatz und der hegemonialen Ordnung in der Welt droht ihn sonst zu zerreissen. Es muss raus.
Es ist kein gewöhnliches Lachen. Das Lachen des Psychotischen ist plötzlich da, wenn es niemand erwartet. Rein und klar dringt es in die Ritzen der Vernunft und beginnt dort zu toben. Der Aussenstehende verspürt den Drang, selber mitzulachen. Denn nirgends wird von einem radikaleren Witz erzählt, nirgends von einer feineren Ironie, die sofort zerbrechen müsste, würde man von ihr sprechen. Dieses unschuldige, beinahe kindliche Lachen braucht keinen bestimmten Anlass, es nimmt sich die Welt zum Anlass.
Mit dem Lachen kommt etwas Drittes hinzu, welches das Subjekt zwischen sich und seiner Welt nur schwerlich dulden kann. Etwas äussert sich in ihm, von dem es selbst nichts Genaues weiss. In E.T.A Hoffmanns Erzählung ‹Der Sandmann› tritt dieses Andere in der Person des scheusslichen Advokaten Coppelius in das Leben des Studenten Nathanael. Coppelius, mit dessen Person traumatische Kindheitsängste und der Tod des eigenen Vaters verknüpft sind, sucht Nathanael in der Gestalt des Wetterglashändlers Coppola heim und weckt damit die verdrängten Erinnerungen. Das Entsetzliche, das von dieser Heimsuchung ausgeht, ergreift nach und nach Besitz von Nathanael und äussert sich in einem unheimlichen Lachen: «[…] nur es denkend, lacht es wie toll aus mir heraus». Auch Coppelius und sein Alter Ego Coppola lachen oft und gerne. Ihr Lachen ist hämisch, hässlich und laut. Anders als das helle, vernünftige Lachen von Nathanaels Geliebten Klara, kommt dieses Lachen aus einer dunklen, vernunftlosen Ecke des Geistes. Sigmund Freud beschreibt es in seinem berühmten Essay über ‹Das Unheimliche› als einen Vorgang, in dem sich der Mensch eines verdrängten Teils seines Ichs bewusst wird. Nathanael sieht sich in der Doppelgänger-Figur des Coppelius mit einer Kraft konfrontiert, von der er bisher nicht wusste. Das Lachen, welches sich seiner bemächtigt, spricht von der geteilten Herrschaft über sein Ich – von einer zerrissenen Existenz.
Worte genügen nicht, um manches auszudrücken, was in uns verborgen liegt. Das Lachen zeugt von Kräften, um die nur wenige wissen. Es funktioniert dabei wie ein Seismograph, der die feinsten Erschütterungen anzeigt, die von den unheimlichen Spannungen herrühren, die zwischen den riesigen Kontinentalplatten unseres Verstandes entstehen.
Im Andenken an Michael Z.