Gewisse Dinge ändern sich nicht. Die Neue Zürcher Zeitung, gegründet 1780, titelte kürzlich in fetten Buchstaben: «Der Kapitalismus rettet uns». «Der einzige Hoffnungsschimmer in dieser Pandemie ist offenem Wettbewerb und innovativen Unternehmen zu verdanken», schreibt der Autor und lobt die Impfstoffentwicklung als «Erfolg mit vielen Vätern»: sogar der Staat habe etwas dazu beigetragen, indem er auf vernünftige, «marktbasierte Anreize» setze. Das väterliche Oberhaupt der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, Chefredaktor seit gut sechs stolzen Jahren, freuten diese Formulierungen dermassen, dass er den Artikel am Samstag gleich prominent auf die Frontseite manövrierte. Dass selbst in der NZZ dem Staat für einmal zugestanden wird, zur Bewältigung der Krise beigetragen zu haben, darf fast schon als Eingeständnis gelesen werden. Wir erinnern uns: Im April letzten Jahres hatte Eric Gujer höchstpersönlich noch das Schreckgespenst des «Seuchensozialismus» an die Wand gemalt, «staatliche Überfürsorge» und «absurde Staatsgläubigkeit» angeprangert, und das Allheilmittel «Selbstverantwortung» für Individuen und Unternehmen gleichermassen beschworen. Gujer und seine Männer erzählen dabei nichts Neues: Sie wiederholen bloss unermüdlich, was Maggie Thatcher bereits in den Achtzigern in die Köpfe der Weltbürgerinnen und -Bürger trichterte: There is no alternative! Der Kapitalismus rettet uns. Wer nicht daran glaubt, ist selbst schuld. Jeder ist schliesslich für sein Glück selbst verantwortlich.
Etwas anders steht es um die Frauen des Islam. Auch sie sind auf derselben Frontseite, fette Überschrift, zitiert wird Alice Schwarzer: «Schon eine Burkaträgerin ist zu viel – Wir müssen diesen Frauen beistehen!» Gefragt ist in diesem Fall Schutz durch Vater Staat. Wobei: Müsste aus freisinniger Perspektive nicht auch hier überlegt werden, konsequenterweise auf marktbasierte Anreize zu setzen? Wenn die NZZ beim Impfstoff auf «geschicktes Marktdesign» und «versierte Einkäuferinnen» setzt – warum nicht auch bei der Burka? Hübsche, fröhliche, modische Nikabs, vielleicht in rot mit weissen Kreuzchen: Emanzipation made in Switzerland! Eine regelrechte Marktlücke und eine Möglichkeit mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen?
Spätestens hier wird es unübersichtlich. Aber so ist das in Zeiten, in denen die Schweizerische Volkspartei mit feministischem Vokabular wie «Emanzipation» um sich schlägt, die NZZ den Vater Staat lobt und sich Coronaleugnerinnen mit Altlinken und AFD-Anhängern verbünden. Trost gibt es vielleicht bei der Weltwoche, die sich seit der Ära Köppel stets selbst treu geblieben ist. Denn: «die Weltwoche schreibt, was ist»: «Der kränkste Patient in der Pandemiezeit ist das Schweizer Fernsehen. Hemmungslos schwelgen sie im sendereigenen Sozialismus», schrieb Christoph Mörgeli kürzlich dort. Und zumindest ersteres ist einmal etwas, was man mit gutem Gewissen unterschreiben kann. Ein Hoch also auf die Weltwoche, die sich wortgetreu einem «freiheitlichen, optimistischen Menschenbild auf der Grundlage schweizerischer Werte» verpflichtet hat: «direkte Demokratie, Föderalismus, bewaffnete Neutralität.»