Je stärker Personen marginalisiert werden, desto weniger können sie sich auf staatliche Unterstützung verlassen. Queere und rassismusbetroffene Personen organisieren ihre Fürsorgestrukturen deshalb vermehrt auf eigene Faust. Diese Aspekte müssen in der Diskussion um Care-Arbeit eine zentrale Stellung einnehmen.
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Was hat Care-Arbeit mit Antirassismus und Queerness zu tun? Die Assoziationen vieler, wenn sie an Care-Arbeit denken,
sind wohl viel eher: Kinderbetreuung, Hausarbeit oder Arbeit in Pflegeinstitutionen, getragen von dya1-cis-Frauen, die mit weissen dya-cis-Männern in monogamen Beziehungen leben und diese Arbeit unter- oder unbezahlt leisten.
In einer Gesellschaft, die sich an der Kategorie weisser, hetero dya-cis-Männer orientiert, erscheint eine solche Betrachtung von Care-Arbeit naheliegend. (Un-)bewusst ignoriert und vergessen werden dabei aber Menschen und Leben, die aus der bürgerlichen Kernfamilie und den rassistischen Care-Institutionen schon lange ausgeschlossen wurden: Schwarze, queere, trans Menschen, People of Color, intergeschlechtliche, indigene und non-binäre Personen.
Wir werden in diesem Text das Akronym QTNBIPOC verwenden, das für queere, trans, non-binäre, Black, Indigenous Menschen und People of Color steht. Es handelt sich dabei um Menschen, die alt und krank werden, Verstorbene betrauern, Abschiede und Neuanfänge feiern, die Rückzugsorte und Räume brauchen, die unterdrückenden Schmerz und Gewalt erfahren, die (Mehrfach-)Marginalisierungen erleben, Menschen die Care-Arbeit leisten und tragen, um zu leben und überleben – und denen dabei der Zugang zu herkömmlicher staatlicher Unterstützung erschwert oder komplett verwehrt bleibt.
Keine staatliche Unterstützung
Die Debatten zu Care-Work vernachlässigen den Einbezug von antirassistischer und queerer Sorgearbeit genauso, wie die staatlichen und familiären Care-Strukturen QTNBIPOC aussen vorlassen. Denn die Institutionen und Debatten – auch innerhalb der «Linken» – sind von Rassismus, Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität durchzogen. Dies führt dazu, dass QTNBIPOC die Fürsorge für sich und ihre Community meist ohne staatliche und familiäre Unterstützung organisieren.
Beispielhaft zeigt dies der Aufbau queerer, nicht-institutioneller Care-Strukturen während der HIV/AIDS-Pandemie: Die globale Pandemie riss in den 1980ern ein klaffendes Loch in die stark marginalisierte queere Community. Das Virus wurde von Seiten der institutionellen Politik nicht ernst genommen. Statt den Betroffenen medizinische Prävention und Versorgung anzubieten, stigmatisierten Staat und Gesellschaft die Menschen und ihre Krankheit. Nicht zuletzt führte die AIDS-Pandemie zu starker Ausgrenzung und offener Gewalt an QTNBIPOC. So starben zahlreiche Menschen an diesem politisch gewollten Versorgungsnotstand. Überlebende wehrten sich dagegen. Dazu gehörten neben öffentlichen Aktionen zivilen Ungehorsams und Druck auf Politik und Pharmaindustrie auch die Selbstorganisation von Testzentren, Aufklärungs- und Safer-Sex-Kampagnen, Bildungsarbeit, Sterbehilfe, Pflegearbeit sowie ein riesiger Teil emotionaler Arbeit und Community-Building, um die von ihren Familien verstossenen Menschen aufzufangen.
Auch heute sind viele queere, von Rassismus betroffene Menschen dazu gezwungen, den Versorgungslücken des Staates und dem Abbau von Care-Institutionen selbst entgegenzuwirken. Institutionen, in denen Personen sich über queeres Leben und ihre Rassismuserfahrungen austauschen können, werden immer weniger staatlich finanziert. Vielmehr sind das Zielpublikum nationalstaatlicher Sozialprogramme heteronormativer, weisser Kernfamilien, was ihre Vormacht weiter stärkt.
Und auch zivilrechtliche Erfolge, wie die Ehe für «Alle», ermöglichen den Zugang von nicht-heterosexuellen Menschen zu staatlichen Institutionen nur in dem Masse, wie sie sich in die normative Gesellschaft einpassen. Auch nicht-heterosexuelle Paare leben nun oft in vereinzelten, monogamen Ehen zusammen und teilen sich kleine Haushalte ganz nach bürgerlichem Ideal. Diese Lebensformen treten an die Stelle der Anerkennung und Unterstützung von kollektivierten Lebensformen in grösseren Communities, in denen materielle, physische und psychische Ressourcen einfacher geteilt werden können.
Darüber hinaus trügt das neoliberale Narrativ von Diversity: In der Realität bedienen sich Institutionen und Unternehmen der Leistung und Repräsentationsfunktion vereinzelter Personen, während die grosse Mehrheit (mehrfach-)marginalisierter Personen von der wachsenden Vermögens- und Lohnschere besonders starkt getroffen werden. Von diesem systematisch institutionellen Versagen sind vor allem queere Menschen betroffen, die weitere Unterdrückungsformen wie Rassismus und/oder Klassismus erleben und einen erschwerten Zugang zu kommerziellen Sorge-Institutionen haben.
So ist es für Menschen mit weniger finanziellen Mitteln viel schwerer, geeignete medizinische oder psychiatrische Unterstützung zu finden, in denen das Personal darauf geschult ist, mit Transfeindlichkeit und/oder Rassismuserfahrungen informiert umzugehen. Viel eher laufen (mehrfach-) marginalisierte Menschen Gefahr, Unterdrückungserfahrungen im Behandlungssetting wiederzuerleben.
Dass sich trans, queere, non-binäre, Black, Indigenous und People of Color in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen selbstorganisiert verbünden und eigene Versorgungsstrukturen aufbauen, ist wichtig und selbstermächtigend: In «Chosen Communities», also selbstgewählten sozialen Strukturen, werden immer wieder neue und nicht-staatliche Formen des Zusammenlebens und Für-Einander-Sorgens ausprobiert und Utopien erlebbar gemacht. Die selbstorganisierte Fürsorge ermöglicht das gemeinsame Verarbeiten struktureller Gewalt und das Überleben in einem unterdrückenden, von Krisen geprägten System.
Gleichzeitig stützt diese unbezahlte Sorgearbeit kapitalistische Strukturen. Während QTNBIPOC oft gezwungen sind, ihre Arbeitskraft für Niedriglöhne oder in prekären Arbeitsverhältnissen zu verkaufen, nehmen sich der Staat und die Unternehmen aus der Verantwortung, für sie alle zu sorgen. Beim Aufbau fürsorgender Communities geht es deshalb nicht um eine Entlastung kapitalistischer Strukturen. Staat und Gesellschaft sollen nicht von ihrer Verantwortung für die Sicherung der Reproduktion entlastet werden. Sie dürfen nicht weiter auf der Ausbeutung der unbezahlten Sorgearbeit von QTNBIPOC füreinander basieren. Vielmehr sollte die Organisierung von QTNBIPOC Communities Ausgangspunkt für eine kollektivierte Verteilung von Care-Arbeit in einer befreiten Gesellschaft sein. Dafür müssen queere und antirassistische Fürsorge-Strukturen eine zentrale Stellung in Debatten um Care-Arbeit einnehmen und Konzepte von Fürsorge grundlegend neu gedacht werden.
Verortung der Autor*innen: Wir sind Allit* und SoNo!. Wir sind weisse, queere, able-bodied Aktivist*innen der politischen Gruppe queer.and.radical und kritisieren den Care-Begriff aus einer intersektionalinformierten Perspektive im Rahmen der Care-Konferenz «Für Widerstand Sorgen». Auch wir reproduzieren Rassismus und andere Unterdrückungsformen. Wir versuchen die Privilegien, die wir haben, und Räume, in denen wir uns bewegen, aktiv zu nutzen, um in kollektiver Kompliz*innenschaft gegen gesellschaftliche Ungleichheit anzugehen. Für Fragen, Anregungen und Kritik sind wir offen: rainbowradical@protonmail.com
1 Dya steht für dyadisch. Dyadisch sind Menschen, welche nicht intergeschlechtlich sind. Es geht bei dem Begriff darum, eine unmarkierte Norm (nicht-Intergeschlechtlichkeit) sichtbar zu machen.