Wolfgang Farkas, Ok-Hee Jeong und Zoran Terzic haben POEM gegründet – Autorenkollektiv und literarische Plattform: Poets of Migration. Sie veranstalten Leseperformances mit wechselnden Gästen, bringen Stories über Herkunft und Zukunft. Am 6. November kommen sie in den Clubraum.
Asche zu Asche
funk to funky
Major Tom
für immer Junkie
Asche zu Asche
back to black
Amy Winehouse
für immer weg
Asche zu Asche
Traum zu Traum
Amsel hüpft pfeifend
von Baum zu Baum
blackbird, Wolfgang Farkas, 2018
manchmal
wünscht man sich
jemand käme daher
haute kräftig auf den Tisch
und sagte: hier geht’s lang!
kommt er dann
polieren wir ihm
hübsch die
Fresse
Politur, Wolfgang Farkas, 2018
QMT / Quantenmigrationstheorie
Identitäten kommen in Paketen, Gefühle in Raketen. Biografien krümmen Raum, Hoffnungen erzeugen Schwarze Löcher. Wo ein Ur übers Ufer tritt, kommt es zum Knall. Dann emittiert ein Migrantron im Identitronen-Feld ein Transitron, das zwischen Norden und Süden oszilliert und dabei einen Conspiracy-Tensor anregt, der sich in den kosmischen Rothschild-Bereich des quantenmigrantischen Wahrheitsfeldes verschiebt. Wie Migrantronen kommen auch Konspiratronen nicht nur als Teilchen, sondern auch als Wellen. Sie werden nicht von Falsifizierung sondern von «Wahrheitsuche» emittiert, wollen nicht das Falsche, sondern das Wahre, und sie stellen es sich als grossen Strom der schweigenden Teilchenmehrheit vor. Sie sehen das grosse Schisma und schielen ontologisch. Aber Wahrheit lässt sich nicht entlarven. Sie ist wie eine kleine Erfrischung auf dem High-End-Wanderweg im Techno-Gebirge der Falsifizierbarkeit. Zwischen dem ewigen Davor und dem unheiligen Danach. Dieses Hin-und-Her als Prinzip beschreibt die universelle Bewegung der Quantenmigration. Sie ist die Migration aus der Migration, die durch positive wie negative Aufladungen des Transitronenfeldes artikuliert wird, mit dem wiederum ein zeitinvarianter Komplex des Idioten wechselwirkt. Der Idiot steht für den inneren Transit, bildet ein Gegenfeld zur sozialen Gravitation, die aber nicht mit der quantenmigrantischen Beschreibung der Wirklichkeit in Einklang gebracht werden kann. Einzelidiot und Massenidiot sind nicht auf eine Prozedur des Gemeinsamen zurückführbar. Und die Gravitation des Sozialen kann nicht auf eine einheitliche quantenmigrantische Theorie des Idioten zurückgeführt werden. Deshalb gibt es immer dort ein «Integrationsproblem», wo die gefühlte Mathematik der institutionalen Messapparaturen versagt. Nur der Idiot kann sich qua inneren Transit aus den Umfassungen der Migrantronen-, Konspiratronen- und Identitronenfelder befreien. Nur er kann eine neue Soziophysik begründen. Der Idiot hat keine Formel, er ist eine Formel. Und Formeln beschreiben keine anderen Formeln, sondern Wirklichkeiten. Das transitorische Ich: Das ist zuletzt auch eines dieser Pakete, das nie ankommt, oder nach Jahren als Flaschenpost im Strom der Nach-Wahrheit von jemandem aufgefischt wird, der sich später als derjenige herausstellt, der ich gewesen sein werde. Irgendein Ich. Und das heisst: auch du. So gehen die Zeiten und verschränken sich Bilder im Unsagbaren und im Lichthof der Wirklichkeit. Im Leben und im Vergehen.
Von Zoran Terzic
Tinder Love
Nach jahrelangem Single-Dasein beschloss ich vor kurzem, in einem emotional schwachen Moment, mich bei Tinder anzumelden. Vielversprechend sah das erste Match aus. Er, gutaussehend und sympathisch. Einziger Haken für mich: Er stand auf Füsse. Einem anderen Match, einem Soziologie-Dozenten, der mir schrieb, «Ich würde gern mit dir Wein trinken und danach sofort Sex haben, hatte nämlich so viel Stress auf der Arbeit», konnte ich zwar als Reflex nur ein LOOOOOL schicken, versäumte aber ihm zu schreiben, dass er doch besser eine Sexarbeiterin in der Kurfürstenstrasse aufsuchen sollte, schnell und verfügbar, lästiger Wein als Vorspiel nicht notwendig.
Ob sie meine Füsse schlecken, ihr Gesicht von meinen Füssen zerquetscht oder zur Stressbewältigung mit mir Sex haben wollen, ob 10 Jahre jünger oder älter, ob vom Norden oder Süden, allen gemein ist die Frage: «Woher kommst du?». Meist noch gespickt mit der Information «Meine Exfreundin ist eine Halbchinesin/eine Vietnamesin/ich hatte letztens ein Date mit einer Philippinin/ich habe koreanische Freunde/ich hatte eine koreanische Kommilitonin» – Fuck, dude, who cares?
Geboren in Südkorea, mit acht Jahren nach Deutschland gekommen, lebe ich nun seit mehr als 40 Jahren in Deutschland, aber mein Geburtsland ist als mein siamesischer Zwillingsbruder auf meinem Rücken zu einem Buckel verwachsen. Nicht natürlich verwachsen, sondern von einem BDSM-Fetischisten mit einem billigen Nylon-Seil in tausend bizarren Matrosenknoten zu einem Buckel festgesurrt.
Ich und mein siamesicher Zwillingsbruder haben auch die unterschiedlichsten Namen, die sich im Laufe der Zeit ständig verändert haben: Ausländerin, Bildungs-Inländerin, Migrantin, Migrantin in 2. Generation, Deutsche mit Migrationshintergrund, Koreadeutsche, Deutsch-
koreanerin, Kyopo, nicht 2 Sae, sondern 1,5 Sae – das heisst auf Koreanisch nicht 2. Generation, sondern 1,5. Generation, weil ich ja in Korea geboren bin. Die Intellektuellen sagen «Person/People of Color», kritische, sogenannte «Empowerment-Asiat*innen» sagen «deutsche Asiatin» oder «Deutsch-Asiatin», die kein Hirn haben sagen «Schlitzi», die DDR-geprägten Hirnlosen «Fidschi», mein älterer Bruder jedoch «Ulbo», Heulsuse, weil ich als Kind so nah am Wasser gebaut war und oft schnell losheulte – aber okay, ich geb‘s zu, das allerdings ist eine ganz andere Geschichte.
D. aus Zehlendorf, der mich bei Tinder fragte, ob ich eine Japanerin sei und mir schrieb, «Ich bin zwar Berliner, aber ich fühle mich als Europäer», kann ich nur entgegnen: Ich fühle mich als Weltenbürgerin. Aber genaugenommen bin ich eine Weltraumkreatur. Oder doch Weltraumstaubkorn? Weltallnichts? Okay, vielleicht doch kein Weltallnichts, denn Weltallnichts klingt so sinnlos, damit meine Existenz ebenfalls so sinnlos.
Und plötzlich kommt mir in den Sinn. Vielleicht hätte ich dem Fussfetischisten doch eine Chance geben sollen. Immerhin ging es diesmal nicht um meinen siamesischen Zwillingsbruder, sondern um mich. Okay, genauer genommen um meine Füsse. Immerhin meine Füsse. Aber shit, halt! Leise Zweifel bleiben. Ging es doch um die Füsse meines siamesischen Zwillingsbruders? Fragen kann ich ihn nun allerdings nicht mehr. Denn unser Match habe ich leider sofort aufgelöst.
Von Ok-Hee Jeong
das Bonbon gegen die Angst
den Wein für die Wahrheit
den Tanz gegen den Kummer
den Kuss für den Rest
den Mut gegen das Alte
das Lachen für den Ernstfall
die Brille gegen die Sonne
den Spiegel für den Rest
die Reise gegen die Bleibe
das Hier für das Jetzt
den Sog gegen die Sorge
die Ruhe für den Rest
den Bauch gegen den Kopf
die Hand für das Herz
das Wort gegen das Fleisch
den Knochen für den Rest
die Feder gegen die Welt
die Tinte für das Ich
das Blatt gegen den Baum
das Rauschen für den Rest
Gewichte heben, Wolfgang Farkas, 2018
Eskapismus
Revolution
dirty mind
Kuscheln
weiches Ei
Amöbe
a rose
Ferlinghetti
forget everything
Pflanze
soso
jaja
nun
gut