«Die Partie ist aus. Jetzt ist sie aus, diese Partie. Mir tun die Schweizer leid.. die Schweizer Fans tun mit leid.. alle Menschen in den Public Viewings tun mir leid.. Eigentlich tun mir alle leid.. » So kommentiert Sascha Ruefer das Ende des Spiels Italien-Schweiz, das an sich an Langweile kaum zu überbieten war und einem ausreichend Platz liess für eigene Fragen: Ob Gazprom, Heineken, Volkswagen tatsächlich glauben, ihr schlechtes Image durch Werbebanner, im Hintergrund der Sympathieträger zweier imaginierter Nationen auf dem Platz, ebenfalls getragen von mafiösen Strukturen, aufzubessern? Wieviel man eigentlich erpressen könnte, würde man die ganze Nationalmannschaft entführen und wer das bezahlen würde? Ob es dem Erbe des Duce zu verdanken ist, dass italienische Kinder-Fans beim Singen der Nationalhymne die Hand aufs Herz legen? Warum es nach Faschismus klingt, wenn von «der neuen DNA» der italienischen Nationalmannschaft die Rede ist? Und warum Schweizer Reporter bei diesem Spiel «Mamma mia», «Emozione» und «Svizzera» sagen müssen? Langeweile darf natürlich quotentechnisch nicht aufkommen und muss vom Kommentator buchstäblich wettgemacht werden, der nur mit Worttiraden wiederholt, was wir selbst sehen: «Wieder die Italiener. Wir wischen uns mit der Hand die Schweissperlen von der Stirn.» – «Wie gewinnt man gegen Italien? Die Antwort ist: Man weiss es im Moment nicht.»
Um nicht immer «Stadion» und «Ball» zu sagen, sagt Ruefer «das weite Rund» und «Spielgerät» und überhaupt ist er ein Meister der Synonyme, die er gerne steigernd aneinanderreiht: «Xhaka. Er mäht, er drescht, er fräst nach vorne.» – «Das sind Welten. Das sind Galaxien. Das hat nichts mit Qualität zu tun. Das ist Wille, Bereitschaft, Einsatz.»
Auch in Sachen vermeintlicher Männlichkeits-Metaphern kennt sich Ruefer aus. Ein Foul heisst bei ihm: «Duftmarke setzen». Spieler sind nicht gross, sondern «Türme». – «Wie sich diese Italiener mit jeder Faser ihres Körpers in die Schüsse werfen. Gross.»
Und über Chiellini sagt er: «Ein Körper, geschnitzt aus unzähligen Zweikämpfen, Kopfballduellen, Wunden, Narben, wie asymmetrisch angelegt, dieser Chiellini. Eine Ikone.»
Wie jeder Spoken-Word-Künstler weiss Ruefer: Unbedingt mit Wiederholungen arbeiten. «So kann man nicht verteidigen. Das ist nicht EM-würdig wie hier verteidigt wird. Das hat ja mit Verteidigung nichts zu tun. Mit Verlaub, ein kollektives Versagen. Das war katastrophal verteidigt, das muss man sagen, einmal mehr. Die Verteidigung funktioniert auf dem Niveau nicht.»
Man kann von Fussball und dem damit plötzlich auftretenden Nationalstolz im Allgemeinen und der Schweizer Nationalmannschaft im Besondern halten was man will, sicher ist: Fussball-Kommentare wie diejenigen von Ruefer sind nicht nur unfreiwillig komisch, sondern da und dort gar poetisch. Und dass Ruefer zum Schluss «3:0 gegen die Türken» statt «gegen die Schweizer» sagt, zeigt womöglich nicht nur Wunschdenken, sondern dass die Geschichte oft wichtiger ist als die Sache selbst.