Hunde sind Börsenmakler, Mantras werden auf dem Mond zurückgelassen, Väter umgebracht und Einkäufe in ihrer Totenruhe gestört: Alles ist möglich im «Hotel der Zuversicht». So heisst Michael Fehrs neustes Buch, das in der Roten Fabrik seine Premiere feiert.
So unkonventionell wie die in ihm versammelten Geschichten sind, so klassisch ist die Wahl des Schauplatzes. Das Hotel ist in der Literatur eines der beliebtesten Motive. Zum Beispiel ist der Hauptprotagonist in «The Shining» von Stephen King – ein Hotel… Und das, obwohl Hotels auf den ersten Blick langweiliger nicht sein könnten. Ob monumental, klein gehalten oder irgendwo in der Mitte: Hotels gleichen sich in ihren Grundzügen fast aufs Haar. In ihnen lebt ein strenges Sortiment von Dingen und Orten, es gibt Empfangsbereiche, rote Teppichböden, lange Gänge, unzählige Türen. Aber hinter den Goldklinken und den Schlitzen für Zimmerschlüssel warten die unterschiedlichsten Menschen und deren Lebenswelten. Manchmal werden dort gegensätzliche Realitäten nur durch eine dünne Wand getrennt, und während man zu schlafen versucht, hört man die unbekannten Zimmernachbarinnen durch die Wände sprechen, während dem Conference Call oder einem klammheimlichen Besuch. So werden Hotels auch zu Sehnsuchtsorten, in denen alle zusammenkommen und trotzdem nicht zusammen sind. Sie sind Transitorte, und dienen als Schauplätze für Dinge, die ausserhalb von ihnen gar nicht möglich wären; Affären, Spionage, Kriminalfälle… Diesem Konglomerat der Welten ist auch das «Hotel der Zuversicht» gewidmet. Das Hotel im Buch ist aber gar nicht so, wie die meisten anderen. Eigentlich gleicht es vielmehr einem surrealistischen Traum. Das merkt derdie Leser*in schnell, schon am Anfang, auf der ersten Seite:
Einem einfachen Mann, der nur die Strasse entlanggehen will, wird, als er an einem Hoteleingang vorbeikommt, vom Pagen, der in einer etwas überzeichneten Lässigkeit am Eingang auf einem verworren gemusterten Teppich herumsteht, versichert, dass man für ihn ein ausserordentliches Zimmer gebucht und die Rechnung bereits im Voraus beglichen habe. Der einfache Mann bleibt stehen. Der Page trägt eine enge rote Samtjacke und eine Pluderhose aus schwarzer Seide.
Der einfache Mann: «Meinen Sie mich?» Der Page: «So wahr ich auf diesem Teppich stehe. Ich kann Sie hinfliegen. Steigen Sie auf.» Der einfache Mann betritt den Teppich. Der Page: «Nun legen Sie sich auf den Rücken.» Der einfache Mann tut wie geheissen. Der Page legt sich neben ihn auf den Rücken. Schon flattert der Teppich und schwingt sich in die Luft.
Alles wie immer und ganz anders
Mit einem fantastischen Teppichflug startet die mosaik-artige Geschichtensammlung in «Hotel der Zuversicht». Es ist das vierte Buch des Schweizer Schriftstellers und für die Premierenveranstaltung kollaboriert Fehr mit Janiv Oron. Die beiden warten mit einer multidisziplinären Veranstaltung auf: Einer vertonten Geschichtenlandschaft, die von einem Lichtkonzept von Ralf Samens begleitet wird. Mit Sound und Licht sollen die Kurzgeschichten in Fehrs Buch im Raum lebendig werden, «sodass man sie tatsächlich erleben kann, dass sie eine neue Dimension gewinnen» erklärt er im Gespräch. Die neue Hördimension wird von Janiv Oron hinzugefügt, der Multimedia-Klangkünstler komponierte für verschiedene Kurzgeschichten des Buches eine eigene Hörwelt.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Künstlerduo zusammenspannt und Literatur mit Klang kombiniert. Angefangen hat ihre Zusammenarbeit in London. Die zwei lernten sich während Artist Residencies in der Metropole kennen, sie lebten nahe beieinander und entdeckten ihr gemeinsames Interesse an Soundscapes und Klangkunst. Aus Ausstellungs- und Konzertbesuchen wurde bald eine angedachte Zusammenarbeit, und das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, der sich für Ähnliches interessiert. Und dass man sich gut versteht. «Im Kollaborationsprozess ist es mir am wichtigsten, dass ich die Leute wirklich mag, mit denen ich zusammenarbeite» erzählt Michael Fehr. Dass sich hier zwei vom gleichen Schlag gefunden haben, wurde schon bei ihrer letzten Zusammenarbeit «Neun narrative Gedichte» klar. Neun Geschichten haben Oron und Fehr vertont und in einer immersiven Ausstellungserfahrung zum Leben erweckt. Es wurde eine mysteriöse Klangwelt erschaffen, die von Janiv Orons kosmischen Stil geprägt war. Zusammen ergeben die zwei Künstler aus verschiedenen Nichen eine spannungsvolle Kombination und dementsprechend wird die Veranstaltung zu «Hotel der Zuversicht» anders sein, als es der*die normale Lesungsbesucherin erwartet. Der Überraschungsmoment ist nicht untypisch für Fehr, der das Diktiergerät des Öftern gegen ein Mikrofon eintauscht und auch experimentelle Klanggedichte und Raw Blues komponiert. Das Konzept ist zwar eher untypisch für die ansonsten so geordnete Welt der Lesungen, bei der alles einen klar strukturierten Ablauf hat. Doch ähnelt es dem Wesen der neuen Erzählungen von Michael Fehr: Im «Hotel der Zuversicht» ist nichts, wie es normalerweise scheint.
Es sind zwar immer Alltagsmomente, die als Ausgangspunkte von den surrealen Geschichten dienen: Der Kopf pocht, eine Migräne naht. Nach einem Umzug erwacht eine junge Frau immer wieder in der Nacht, etwas scheint sie am neuen Wohnort zu irritieren. Aber so schnell wie alles normal scheint, kippt es auch ins Absurde, wie in der Geschichte «BESUCH HANNIBAL NAGELKANTS BEI DEN GROSSELTERN», in der eine verschwundene Grossmutter gesucht wird:
Hannibal und der Privatdetektiv treffen bei den Grosseltern ein. Cousine und Tante haben die Grossmutter inzwischen nicht finden können. Der Privatdetektiv nickt, schaut unter dem Tisch nach, streicht in den geschmeidigen Westernstiefeln herum, besucht im dunkelrot abgedunkelten Zimmer den Grossvater, dem aber auch nichts Besonderes aufgefallen zu sein scheint, schaut hinaus, besieht sich die ansehnliche Rasenfläche, macht ein besonders vernünftiges und schlüssiges Gesicht. «Es könnte natürlich sein, dass sie im Rasen verschwunden ist.» «Mitsamt meiner Halbjahresbuchhaltung?» «Ja, das ist natürlich gut möglich.»
«Es sind existenzielle Fragen, die hier verhandelt werden» antwortet Michael Fehr auf die Frage, was die 48 Geschichten verbindet. Zum Beispiel was mit den Grosseltern geschieht, wenn sie einfach verschwinden, oder sterben. Und was einen dann mehr kümmert, unerledigte Geschäfte, die man noch mit ihnen hätte ausmachen sollen, oder ihr Tod. So viel vorweg: Antworten liefern die Erzählungen auf den ersten Blick keine. Es sind auch keine einfachen Fragen, die gestellt werden. Fragen nach dem Leben, nach dem Tod, nach Gerechtigkeit, nach Frieden oder Krieg, nach der Liebe und ihren Auswüchsen. Es sind Fragen, die uns allen früher oder später begegnen, und ohne die das Leben vielleicht auch langweilig wäre. «Bei den allermeisten Menschen kommt irgendwann der Punkt im Leben, in dem man sich nach dem Warum fragt. Warum passiert mir das?» sagt Michael zu dem Grundton seiner Erzählungen. Oft sind die Kurzgeschichten von Magie und Wundern geprägt, aber manchmal zeigen sie auch Seiten der Welt, die von Gewalt gezeichnet sind, Blut fliesst und Figuren sterben, elendiglich. «Oft fragen mich die Leute, was meine Geschichten meinen, vor allem in den Momenten, in denen sie grausam sind. Die Geschichten sind sehr deutlich, indem sie eine Brutalität beschreiben, die es auf der Welt einfach gibt» sagt Fehr zu den manchmal tragischeren Wendungen seiner Erzählungen. Es stimmt, dass derdie Leserin nach den Geschichten manchmal ohnmächtig zurückbleibt, wenn es kein Happy End und keine Auflösung gibt. Aber die Zuversicht, das Hoffen, dass es irgendwann schon wieder besser wird, das bleibt immer. Das ein gebrochenes Herz sich wieder erholt. Oder, dass man in der nächsten Nacht im Hotel schon besser schlafen wird, mit Ohropax, und weil der*die Zimmernachbar *in nicht ewig weitertelefonieren kann.