Im Juli ist in der Roten Fabrik wieder Zeit fürs Summer Camp! Das Programm ist vielfältig und vereint Politik und Kultur. Der Sommermonat steht ganz im Zeichen von DIY, queerem und feministischem Aktivismus, Selbstermächtigung und gegen Luxusprojekte in Wollyhood.
Es ist furchtbar heiss an diesem Montag nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes, wir sind ratlos und wütend. Immerhin ist Frauenstreik, und bald wird aus diesem «Immerhin» ein so umfassendes Gefühl des Glücks, dass wir die Abstimmungen für einen Moment vergessen. Ich erzähle einem Freund aus Zürich, dass wir tags zuvor stundenlang auf der Schattenseite der Aare gelegen sind und schon fast gefroren haben, und er sagt: «Weisst du, in Zürich, da ist es jetzt so: Die Goldküste, die wird schon bald nicht mehr attraktiv sein, da will jetzt keiner mehr hin, weil es nämlich mittlerweile zu heiss wird im Sommer, wenn die ganze Zeit die Sonne dahin hämmert, und darum wird die Pfnüselküste nun die neue Goldküste. Der Schatten wird zum neuen Platz an der Sonne, die Reichen wollen es schön kühl.» Also scheint es naheliegend, dass zwischen Roter Fabrik und GZ Wollishofen, nun Villen mit Seeanstoss gebaut werden sollen. Der Boden gehört der Kibag – der Staat überliess ihn der Baufirma, um den Ausbau und Kiestransport in Zürich günstig zu fördern. Nun hat die Stadt unter anderem via Sonderbauvorschrift von 2008 und an der Öffentlichkeit vorbei der Kibag ermöglicht, das Areal zum Bau von Luxusvillen umzunutzen. 2019 wurde im Gemeinderat eine Motion angenommen – sie gibt dem Stadtrat den Auftrag, für das Areal eine Gebietsplanung vorzulegen, die das Bedürfnis der Stadtbevölkerung nach Erholungs- und günstigem Wohnraum befriedigt. Der Stadtrat hat diesen Auftrag bis heute nicht wahrgenommen.
Gegen das Luxusprojekt regt sich Widerstand. Die Gruppe «Linkes Seeufer für alle» meint: «Der Stadtrat duldet das Projekt nicht nur, er unterstützt die Kibag sogar. Aber Villen sind wirklich das Allerletzte, was diese Gegend im Moment braucht. Niemand hier will das, aber wir haben Angst, dass es am Ende doch so herauskommt, wenn wir uns nicht wehren. Darum haben wir uns jetzt zusammengeschlossen, verschiedene Leute, die hier in der Gegend aktiv sind. Schliesslich sind solche Bauten nicht zuletzt auch für die Rote Fabrik gefährlich; Lärmklagen können ziemlich leicht ziemlich viel kaputt machen. Die Stadt muss die Kibag ja nicht unbedingt enteignen – es wäre auch möglich, Auflagen zu machen und Forderungen zu stellen, wie das Seeufer gestaltet werden soll. Wir wünschen uns mehr Mut. Und wir sagen auch nicht, dass wir die ideale Lösung haben. Wir wünschen uns, dass mehr Menschen aktiv werden und ihre eigenen Ideen umsetzen. Mit oder ohne uns. Es geht vor allem darum, diesem Luxusprojekt etwas entgegenzusetzen. Bis jetzt haben wir Ideensammlungen in der Nachbarschaft organisiert, und wir wollen nun aktiver werden. Am 10. Juli ist Demo, entlang der Promenade. Vorher treffen wir uns im Summer Camp, zum Transpimalen.»
«‹Linkes Seeufer für alle› wurde an einem Runden Tisch des Clubbüros der IG Rote Fabrik gegründet.» Das sagt Isi von Walterskirchen nicht ohne Stolz – die Rote Fabrik ist ja ein historischer Ort von Vernetzung und Aktivierung. Isi ist Leiterin des Clubbüros, seit es im April 2019 ins Leben gerufen wurde. Für den Juli organisiert sie mit ungefähr dreissig Mitstreiter*innen das Summer Camp in der Roten Fabrik, zum zweiten Mal, nachdem das letztjährige ein solcher Erfolg war. Unterstützt wird das Projekt von den Programmbüros der Roten Fabrik. «Wir haben uns schon fast ein wenig einen Platz ermausert im alternativen Zürcher Kulturangebot. Ich glaube, es ist ein einzigartiges Projekt, gerade, weil es so offen ist. Andere, auch alternative Kulturorte haben ein stark kuratierendes Element, auf das wir hier verzichten wollen», sagt Isi. «Es sollen sich möglichst viele Menschen und Projekte ihren Platz nehmen in der Roten Fabrik während dieses Monats, wir verstehen das Gelände als Spielplatz. Unsere ethischen Grundsätze müssen natürlich erfüllt sein, aber sonst kann jede*r kommen und ein Projekt anmelden: First come, first serve. Der DIY-Ansatz ist uns wichtig, spontan zu arbeiten, so wird extrem viel ermöglicht, was mit starreren Strukturen gar nicht denkbar wäre. Dieser Ansatz bedeutet aber auch, dass man sich ständig Gedanken machen muss über die eigene Arbeit, auch was die Selbstausbeutung betrifft – in welchem Ausmass die noch in Ordnung ist.»
Alice: Isi, gibt es Leute, die das falsch finden, wie du das machst – Club und Politik so zu vermischen?
Isi: «Nein. Im Gegenteil, wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen. Schliesslich ist Clubkultur aus dem dringenden Bedürfnis entstanden, an den Rand gedrängten Gruppen einen Safer Space zu bieten. Clubkultur hat ihre Wurzeln in der Dringlichkeit der sozialen Zusammenkunft. Das gerät leider immer wieder in Vergessenheit. Aber für mich ist der Club ein Ideal der Selbstermächtigung, das war immer die Basis meiner Arbeit. Wenn es nur noch um Cash und Entertainment geht, dann funktioniert es für mich nicht mehr. In dieser Haltung werde ich stark bestätigt – und das Summer Camp ist genau ein solcher Ort, wo Kultur und Politik nebeneinander und miteinander stattfinden können.»
Aus der Summercamp-Charta
«Nulltoleranz gilt gegenüber destruktivem Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Sexismus, Trans- & Homophobie, Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Wir wollen mit euch einen Raum schaffen, in dem partizipatives, konstruktives und kritisches Denken gefördert wird – in dem Ambiguität auf respektvolle Weise begegnet wird. Die Projekte sollten zur kollektiven und nicht zur individuellen Verwirklichung beitragen.»
«Aber weisst du», sagt Isi», «zu diesem Prozess gehört auch sehr viel Selbstreflexion. Du kannst nicht einfach eine fahnenschwingende Charta schreiben und glauben, jetzt bist du engagiert. Da steckt mehr dahinter, und das ist viel Arbeit.»
Alice: Ihr macht das jetzt zum zweiten Mal. Ist irgend-etwas anders als letztes Jahr?
«Es ist ein bisschen professioneller aufgezogen, wir hatten mehr Zeit. Corona hat es uns ermöglicht, viel nachzudenken, Diskussionen zu führen, die wir sonst wahrscheinlich nicht geführt hätten. Wir sind immer noch ein zusammengewürfelter Haufen, aber durch das letzte Mal und eben diese erzwungene Pause, die Diskurse, die währenddessen liefen, hat sich unser Netz verfeinert. Das Summer Camp ist eben auch dafür gut: für die Vernetzung, und die soll über den Juli hinaus tragen. Inhaltlich hatten wir letztes Jahr viel zu Antirassismus und Rechten von POC, das war ja gerade um die Black-Lives-Matter-Demonstrationen herum. Dieses Jahr liegt ein starker Fokus auf queerem Aktivismus und feministischen Themen. Das haben wir gar nicht so geplant, es hat sich eher so ergeben – es liegt wohl in der Luft. Der 1. August wird bei uns auch diesem Thema gewidmet sein: Da arbeiten wir als Clubbüro mit der Shedhalle und der Gessnerallee zusammen. Wir laden unterschiedliche LGBTQ+ und FINTA-Kollektive zum Gathering ein, es gibt Musik und eine alternative 1.-August-Rede. Dieser Anlass ist auch ein gutes Beispiel für das Zusammengehen von Kultur und Politik. Eine theoretische Einführung zu Judith Butlers ‹Undoing Gender› hat da ebenso Platz wie DJ-Sets auf dem Kiesplatz. Das ist eben kein Widerspruch, sondern soll Lust machen auf Zusammenarbeit.»
«Das Summer Camp ist ein idealer Ally für uns.» Das sagt Jeannie von der Neuen Neuen Zeitung NNZ, die im Juli ebenfalls in der Roten Fabrik anzutreffen sein wird. «Diese DIY-Einstellung, die teilen wir absolut. Wir sind ein reines FINTA-Kollektiv. Uns ist wichtig, Texte von Menschen zu veröffentlichen, die andernorts vielleicht mehr Mühe hätten, überhaupt publiziert zu werden. Die NNZ soll Stimmen aus und über Zürich einfangen, setzt sich inhaltlich sonst aber keine Grenzen – gerade arbeiten wir an unserer dritten Ausgabe. Am Summer Camp organisieren wir verschiedene Werkstätten. Weil wir gemerkt haben, dass es einen Haufen Leute gibt, die eigentlich gern einmal etwas schreiben würden, aber keine Idee haben, worüber – oder sich gar nicht erst trauen, anzufangen. So wollen wir es vielen verschiedenen Leuten ermöglichen, zu schreiben und zu veröffentlichen. Gemeinsam ist das leichter. Neben den Workshops wird es am Summer Camp auch eine Art Speaker’s Corner geben: Leute können in eine Box reinsitzen und einfach erzählen, irgendetwas aus ihrem Leben, was sie eben gerade beschäftigt. Wir laden das dann auf unseren Soundcloud-Account und basteln daraus einen Text zusammen. Stimmen aus und für Zürich.»