Die heutigen Mittzwanziger sind aufgeklärt wie keine Generation zuvor. Gebildet, kreativ, innovativ, erfolgs- und konsumorientiert; Individualität zum Beispiel in Form von Apple-Logo-Tattoos gilt als höchstes sich anzueignendes Gut. Zugegebene und ausgelebte Zugehörigkeit zu etwas wie einer doch eher altmodischen und einschränkenden Religion hat in diesem Konzept keinen Platz. Oder doch?
Wer heute Theologie studiert, ist entweder Freikirchler, Trotzkopf oder nur auf den ASVZ-Ausweis und die Legi aus. Ein ehemaliger Kanti-Mitschüler, der auf Facebook seine Kandidatur für die Kirchensynode bewirbt, tut dies im Rahmen einer dadaistischen Kunstaktion – davon war ich bis vor kurzem überzeugt. Zu unwahrscheinlich schien mir (abgesehen von meinem Unvermögen ihn als einen gläubigen Menschen zu sehen) echtes Engagement in einer Institution, die mir in meiner Umgebung so veraltet wie verlassen vorkommt. Als der Wahlzettel tatsächlich in meinem Briefkasten lag, habe ich für ihn gestimmt; er hat gewonnen. Seither entdeckte ich immer mehr junge (Kultur-) Menschen, die sich willentlich in religiöse Gefüge gegeben haben und ihren Glauben ausleben. Damit brechen sie das, was mir als gesellschaftliches Tabu erscheint, als letzte Privatsache fast überhaupt, nämlich öffentlich zu diskutieren, ob und woran man glaubt, sofern es sich nicht um materielle Dinge handelt.
Beim Versenden der Anfragen für diese Ausgabe war ich deshalb auf der Hut; ich wollte niemanden beleidigen, indem ich ihn als irgendwie gläubig beschuldigen würde. Was ich am meisten wissen, aber niemanden so direkt fragen wollte: Könnt ihr Gott wirklich hören? Fünf junge Menschen – Studenten, Schriftsteller & Performer – schreiben im Folgenden über Glauben, ihren eigenen und den anderer. Sie tänzeln um meine Frage und überlegen: Was ist eigentlich Religion abseits von Konfirmationsunterricht, Zeugen Jehovas, IS, Nahostkonflikt und wie wird sie heute gelebt? Es geht um «the call»; um Kirchen, Bibeln, Mütter, Funktionäre, Schönheit, Liebe, Jesus in Brooklyn und auch ein wenig um Gott.