Die Trends bei Google-Suchanfragen sind an sich schon relativ aussagekräftig für die Sensationsgier der Schweizer Durchschnitts-Medien-Konsument*innen.. Am Ostermontag sind die Trend-Schlagworte neben Ukraine-Russland: Pierin Vincenz, Marco Fritsche und August Wick, Gletscherspalte Unfall, Traumschiff Mauritius (In dieser Reihenfolge). Noch aussagekräftiger wird das Ganze, wenn Algorithmen die häufigsten Fragen zu den betreffenden Schlagworten vorschlagen: «Was hat Pierin Vincenz gemacht?» ist eine solche. Gefolgt von Fragen zum Beziehungsstatus seiner Exfrau und jener Tänzerin, der Pierin Vincenz im Hyatt (man muss das nicht schönreden) mit höchster Wahrscheinlichkeit grobe Gewalt angetan hat. Ja, was hat er eigentlich gemacht, der Vincenz? Zur Erinnerung: unrechtmässige Gewinne von rund 25 Millionen, Betrug, Urkundenfälschung, Bestechung, Schattenbeteiligungen. Dass Erni, Staranwalt und Verteidiger von Vincenz, in diesem Zusammenhang von «Erbsenzählerei» sprach war nur eine schöne Pointe in diesem Prozess im Volkshaus. Auch nach dem Urteil im April, sparte Erni nicht mit wilden Behauptungen: «Das Urteil ist falsch», sagte er säuerlich in die Kamera, man gehe in Berufung. Vincenz sagte gar nichts. 3 Jahre und 9 Monate und Rückzahlungen in Millionenhöhe kassierte er in Erstinstanz vom Zürcher Bezirksgericht, für seinen Kollegen Stocker gab es sogar noch mehr. Stocker äusserte sich kurz und unverhohlen: «Nicht einverstanden mit dieser saloppen Beurteilung».
Interessant aber ist vor allem wie einstimmig die Kommentare in Deutschschweizer Medien (etwa SRF, CH-Media, Tamedia, NZZ) mehrheitlich ausfielen. Man gab sich «überrascht», «streng» sei dieses Urteil. SRF (G&G) gab sich abermals die Blösse, zu betonen, wie volksnah, umgänglich dieser Vincenz war, für jeden Spass sei er zu haben gewesen (Samschtigsjass, Sechseläuten, Fotoshooting mit Volleyballerinnen für einen guten Zweck). Experten wurden reihum herbeizitiert, die betonten wie hart dieses Urteil sei und wie untypisch dieses Strafmass für einen Wirtschaftsprozess. Kunz, Professor für Wirtschafsrecht, sagte bei 10vor10 im Expertengespräch, die Beweislage der Staatsanwaltschaft sei unsicher, die Argumente für das Urteil «dünn» gewesen. Er wette darauf, dass keiner der beiden Herren in zwei Jahren ins Gefängnis gehe, dann betonte er den «Graubereich» und wählte dafür schönfärberische Worte: «Interessenkonflikt und Spesengrosszügigkeit». In der Schweizer Justiz sei man mit Wirtschaftskriminellen immer «pfleglich» umgegangen, weil «dort geht’s um Geld nicht um Existenzielles.» Das sei also fast schon ein Traditionsbruch. Man rieb sich die Augen! Gerade schon erfrischend waren da im Gegenzug die Beiträge von Inside Paradeplatz und ziemlich unterhaltsam das Video, in dem sich ein Bankenprofessor mit dem Journalisten Lukas Hässig (Hässig hatte vor sechs Jahren seinen ersten Bericht im Fall Vincenz auf Investnet veröffentlicht) über das Urteil unterhält. Sichtlich erfreut schätzt Hässig das Urteil ein: Das Motiv für Bestechung und Betrug sei eben «Arglist und Verwerflichkeit», die kriminelle Energie vom Richter als beachtlich eingestuft, dies habe auch zu diesem Strafmass geführt. «Grosses Theater» sei das, sagte er verschmitzt, habe sich doch Stocker selbst als Schattenmann inszeniert und der Richter ihn kurzerhand zum Frontman gemacht. Sein Fazit: Eine harte Strafe, die aber vermutlich gar nicht übertrieben ist. Diese könnte in zweiter Instanz nämlich gar höher ausfallen. Vielleicht, meinte er süffisant, sollte sich Herr Vincenz überlegen, ob das für ihn gar nicht so ein schlechter Deal wäre, die 3 Jahre und 9 Monate anzunehmen.