Grossartig ist die Ferienzeit im heissen, armen Süden!
Palaver, Peroni, Pomodori – und all das zu einem Spottpreis. Die Früchte werden hier schliesslich von Sklaven geerntet, die freiwillig auf Booten herpilgern, damit wir armen Schweizer Künstler uns auch einmal freuen und mit beiden Händen zulangen dürfen.
Ein solcher selbstloser Marocchino – vom Hautton her das Vorbild aller Full-time-Bronzierenden – stiehlt mir in dem Moment die Sonne, als er seine hundert Kilo Kleiderstange kurz vor mir in den Sand fallen lässt. Er tut das wie ein Gewichtheber, nachdem die Hantel den obligatorischen Punkt über dem Kopf erreicht hat. Dieser alte Sehnige stemmt die vor Last gebogene Stange aber den ganzen Tag: Kilometerweit tippelt er damit den glühenden Sandstrand ab. (Die Ameise trägt das 100fache ihres Gewichts.)
Faulheit ist die höchste Tugend
Wir Feriengäste haben da eine ganz andere Moral: Faulheit ist hier die höchste Tugend. «Ich habe heute Mittag schon wieder drei Stunden geschlafen!», schallt der stolze Ruf der nachmittäglichen Rückkehrer an den Strand von einem Sonnenschirm zum nächsten.
Das sind wahrhaft erholsame Ferien, und ich habe ganze zehn Tage davon. Wie gemein schreit da die Ungerechtigkeit, dass manche meiner südländischen Freunde (nämlich jene, die ihre kalabresische Hood nicht verlassen haben, um nach Mailand oder Turin studieren zu gehen) diesen Lifestyle zwei, drei Monate durchziehen. Und dabei noch eine trampelhafte Unsensibilität an den Tag legen, indem sie sich beschweren, sie würden sich dabei langweilen!
Besser zu viel Arbeit, als gar keine
Wenn wir aus dem Norden ächzend die Beine hochlagern und klagen, wie überarbeitet wir sind, sagen sie trocken: «Besser zu viel Arbeit, als gar keine.» Sie trinken ihren selbstgemachten Wein und ziehen ein saures Gesicht. Alle wohnen sie noch bei ihren Eltern. Mittags und abends müssen sie zu bestimmten Zeiten nachhause; loben, was Mamma gekocht hat. Sie behaupten, sie studieren Wirtschaft, dabei haben sie das Studium längst abgebrochen – die Hochzeit der Schwester war zu teuer. Ein einziger hat einen Job, in der Haupstadt der Region. Gerade hat er Ferien, aber an den Strand kommt er immer erst abends. Tagsüber muss er ins Büro fahren und seinen Chef überzeugen, dass er ihm endlich seinen Lohn gibt. Manchmal kehrt er glorreich zurück, mit einem 50 Euro Schein. Meist vertröstet ihn der Chef auf domani.
Andere sitzen den ganzen Tag in der Strandbar und lernen. Sie sagen: «Hier kann ich mich besser konzentrieren. Die Musik kann ich ausblenden – nicht so die Stimmen meiner Eltern.» Sie bereiten sich auf den Wettbewerb vor, der in Italien veranstaltet wird, wenn eine staatliche Stelle ausgeschrieben wird – zusammen mit zehntausend anderen hochqualifizierten jungen Menschen. In vierzehn Fächern wird geprüft, wer zum Beispiel Hilfspolizist werden will: Mathe, Geometrie, Geografie, Geschichte, Englisch, Italienisch…
«Ich kann nicht mehr», seufzen sie, während wir Hartarbeitenden aus dem Norden unseren wohlverdienten Spritz schlürfen, «es ist auch viel zu heiss.» «Naja», sage ich gönnerisch nuschelnd – Schuld ist eine sehr grosse Olive zwischen Zunge und Gaumen – «geniesst es doch. Ihr habt tipo immer Ferien. Ich muss schon bald wieder nachhause und schuften: Kolumnen schreiben…»