Ein Journalist war mal einer, der was auf sich halten konnte. Heute ist er selbst bei den grössten Medienhäusern nicht davor gefeit, zur Volksverdummung beizutragen und fast ausschliesslich über Ekelhaftigkeiten zu schreiben. Eben das, was Klicks gibt und Likes und Kommentare; eben das, was die Leute wollen. Sein eingerahmtes Master-Diplom wird der junge Journalist spätestens während des ersten «Männer, die Menstruationsblut trinken»-Artikels schamvoll gegen die Wand drehen, und am Ende der Probewoche – es kamen noch «Fisting für Anfänger» und «Männer, die Windeln tragen» dazu – resigniert in den Papierkorb fallen lassen.

Künden kann er nicht, muss er doch sein 1500 fränkiges Zimmer in einer Kiffer-WG am Zürcher Stadtrand bezahlen. Falls er in einer mutigen Sekunde trotzdem sein institutionalisiertes Kulturkapital aus dem Abfall zieht, in der naiven Hoffnung, doch etwas finden zu müssen, was keine konstante Beleidigung seiner Bildung, geschweige denn seines Anstandes darstellt, so sitzt im nächsten Augenblick bereits seine Nachfolgerin am Platz, auf die schon die heissersehnte Story «Sex mit dem Ex» wartet.

Sie muss dann an seiner statt Kommentare von Usern über sich ergehen lassen, die so vollständig daneben, am Thema vorbei und vor allem unfassbar unkreativ sind, dass es die Neuangekommene schaudert. Egal worüber sie in den nächsten unterbezahlten Monaten schreiben wird, sie wird beschimpft, belästigt, bedroht, belächelt, im besten Fall wird ihr geraten, sie solle doch «etwas Richtiges» lernen. Nach kurzer Recherche wird ihr klar, dass sie noch gut wegkommt im Gegensatz zum Vorgänger, dem des Öfteren geraten wurde, er als Schwuler solle sich doch endlich umbringen.

Wenn sie, entsetzt von dieser offensichtlichen Barbarei, die sie mit ihren blödsinnigen Artikeln noch weiter anheizen soll, aufsteht und sich lautstark ins Grossraumbüro hinaus empört, es wird ihr doch nur geraten, sich schnell wieder zu setzen oder die Tür leise hinter sich zuzumachen. Wenn sie aber so in Rage wäre, dass sie sich nicht einschüchtern lassen und weiter pladoyieren würde, so hitzig gestikulierend inmitten aller Spanplatten-Bunks und Büropflanzen stehend, über die Köpfe der bleichen Roboter hinweg; wenn sie Begriffe wie «Verantwortung» und «Bildungsauftrag» in die stickige Luft spucken würde – vielleicht, ja wahrscheinlich würde sich einer der erfahreneren Textgeneratoren erbarmen und schulterzuckend sagen: «Ethik ist langweilig».

Die junge Journalistin räumt den Schreibtisch und geht hinaus in die Welt. Sie wird ein wenig reisen, ein paar weitere Praktika abbrechen, und vielleicht wird sie eine aufstrebende Künstlerin. Dann lädt man sie ein auf die Terrasse eines dieser Medienhäuser, wo sie mit einem kränklichen Jungjournalisten Zigaretten raucht. Der sagt, dass er sich freue, dass sie hier sei, dass er sonst nur Scheiss schreiben müsse. Aber er hätte die Redaktion überzeugen können, dass das Mädchen in einem kursierenden Sextape ihr sehr gleiche, dass es wahrscheinlich sie selbst wäre, und so hätten sie zum Interview zugestimmt. Er hätte sich sonst nicht vorbereitet, aber sie solle doch einfach mal drauflos, er würde schon was daraus machen, und die Kommentare, die solle sie am besten gar nicht lesen, oder einfach drüber lachen.

 

 

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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