Das war meine Übersetzerin Jen, die mir davon erzählte. Wir sassen in Rom in einem Restaurant und redeten über Jobs, die wir früher gemacht haben, Verkauf, Gastro, Fleischtheke, und wie wir nun so selbstverständlich hier sitzen und unseren Traum von Büchern leben. Verrückt, sage ich, wie ist denn das passiert? Und Jen sagt, sie könne oft nicht glauben, dass das nun ihr Leben sei. Aber, sagt sie, ich habe auch Impostor-Syndrom. «The fear of being a fraud». Und wie sie es beschreibt, weiss ich sofort, dass ich das auch habe. Ein Gefühl von: das ist doch alles ein Missverständnis; im besten Fall ein Glück, das sich drehen wird; im schlechtesten eine grosse Verarschung, bald lachen alle im Chor: du hast das tatsächlich geglaubt? – in jedem Fall eine Zufälligkeit, die jeden Moment aufzufliegen droht.

Ich beginne, das Syndrom bei mir zu beobachten und merke, es gibt chronische und akute Phasen. Letztere war kürzlich sehr ausgeprägt: Die Proben zu meinem ersten Theaterstück rückten bedrohlich nahe, während ich noch daran verzweifelte, dieses überhaupt erst zu schreiben. Die Impostor-Lampe blinkte Strobo: Wie bescheuert grössenwahnsinnig bin ich, dass ich den Auftrag angenommen habe? Und was für ein verblendeter Idiot, der mich überhaupt erst anfragt!

Die chronische Ausprägung des Syndroms ist sanfter: Sie beinhaltet ein wiederkehrendes Staunen über das lächerlich unwahrscheinliche Glück, dass ich gerade spiele, was ich mit 8 Jahren als Berufswunsch ins Freundschaftsbuch geschrieben habe.

Wie bescheuert grössenwahnsinnig bin ich?

Mir war das Syndrom von Anfang an sympathisch. Erstens ist es immer eine interessante Entdeckung, wenn konfuse Gedanken und Gefühle plötzlich einen Namen haben, und man merkt, dass man damit nicht allein ist. Es hat etwas Beruhigendes, in einer Schaffenskrise Gleichgesinnten das eigene Scheitern zu offenbaren und nebenbei das Leiden am Syndrom zu erwähnen – dessen Symptome man ja selbst nach dem Finden des Begriffes für echt hält. Und all die hochgeschätzten Eingeweihten – sicher keine Frauds – rufen erstaunt: Das hab ich auch!

Das Hochstaplersyndrom, wie es auf Deutsch heisst, ist offenbar sehr verbreitet. Es heisst, selbst Obama hätte es, und es komme daher, dass jemand nicht fähig sei, die eigenen Erfolge als solche anzuerkennen und zu internalisieren. Aber ist das überhaupt so schlecht? Wäre es umgekehrt nicht naiv zu glauben, dass nicht alles noch tausendmal schief gehen kann? Oder noch schlimmer: erwartungsvoll einem angeblichen Erfolgsrezept zu folgen? Ist es nicht sogar nötig, immer aufs Neue Risiken einzugehen – eben hoch zu stapeln? Mir zumindest scheint es reizvoll. Gerade das Schreiben kommt mir oft so vor: Ich beginne jedes Mal komplett von vorn. Ich nehme eine hirnrissige Idee, füge eine noch abwegigere dazu; so staple ich hoch und höher, und warte nur drauf, dass das unwahrscheinliche Konstrukt unter grossem Hurra zusammenkracht. Wenn’s aber hält, und ich allen Gravitationen zum Trotz weiterbastle und tüftle, bis da ein wunderkomischer Pisaturm steht… Der dann noch beklatscht wird?

Das internalisier ich doch nicht!

 

 

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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