Samstagmittag vor dem Fabriktheater. Auf dem Weg hierher traf ich Spaziergänger*innen und spielende Kinder am See. Im Ziegel wurde das Mittagessen von der Terrasse geräumt und unter dem KIBAG-Kran entstand gerade ein neues Graffito. Das linke Seeufer zeigt sich von seiner Sonnenseite. Dies könnte sich jedoch bald ändern, wenn die KIBAG ihren Plan mit den Luxuswohnungen realisiert. Für die Verhinderung dieser Pläne mobilisiert seit letztem Jahr die Grassrootbewegung «Linkes Seeufer für Alle». Ich habe drei von ihnen zum Gespräch getroffen.
Noemi: Wie ist «Linkes Seeufer für Alle» entstanden?
M — Es begann alles mit einer Person, die angefangen hat, zu den Plänen der KIBAG zu recherchieren. Die gefundenen Infos trug sie dann an den runden Tisch des Clubbüros in der Roten Fabrik. Wir waren schockiert und haben sofort eine Sitzung beschlossen. Aus der Empörung ist Energie entstanden, wir haben Arbeitsgruppen gebildet und direkt mit der Arbeit angefangen. Es hat sich angefühlt wie eine kleine Detektei, die einen Skandal aufdeckt: Nämlich wie die Stadt der KIBAG, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Umnutzung des Areals für Luxuswohnungen ermöglicht.
Wie hat sich die Bewegung dann entwickelt und wie sieht sie heute aus?
M — Am Anfang waren es vor allem Menschen mit einem Bezug zur Roten Fabrik. Dazu kamen schnell Menschen der lokalen Bevölkerung.
R — Dabei gibt es verschiedene Stufen und Arten von involviert sein. Einige sind beratend aktiv, etwa Leute, die sich mit Stadtplanung, Landschaftsarchitektur oder Rechtlichem auskennen. Das ist super wertvoll. Was alle verbindet, ist die Empörung. Darüber, was passiert und darüber, wie unzugänglich die Informationen gemacht wurden.
A — Es kommen immer mehr Leute dazu. Es ist schön und erschreckend zugleich, weil es scheint wirklich niemand ein solches Bauprojekt zu wollen. Ausser der KIBAG.
Wie konkret ist der Plan der KIBAG, Luxuswohnungen zu bauen?
R — In der Weisung des Gemeinderats zur Sonderbauvorschrift stand explizit «Villen am See». Beim letzten Echoraum meinten die Leute von der KIBAG jedoch, dass sie dies nie geplant oder gewollt hätten. Wir haben es jedoch schwarz auf weiss. Sie spielen überhaupt nicht mit offenen Karten.
Wisst ihr, ob und wie die Stadt davon profitiert?
M — Ich glaube nicht, dass sie heute davon profitieren. Sie haben es damals mit dem Erlass der Sonderbauvorschrift 2008 vergeigt. Jetzt müssten sie dafür geradestehen und aufräumen. Das wird aber nicht gemacht, sondern irgendwelche Alibiübungen, um die Stadtbevölkerung zu befragen.
Ich nehme an, damit meinst du den «Echoraum», der aktuell am Laufen ist. Wie sieht dieser genau aus und wie seid ihr involviert worden?
M — So wie ich es mitbekommen habe, hat die Stadt eine Firma beauftragt, die die Interessen der Bevölkerung zusammentragen soll. Damals hatte das «Linke Seeufer für alle» bereits einige Followers auf Instagram und dadurch eine gewisse Sichtbarkeit.
R — Genau, das war, nachdem Wollishofer Gemeinderätinnen eine Motion im Stadtrat eingereicht haben. Wir haben dann eine E-Mail gekriegt, mit der wir zu diesem Prozess eingeladen wurden. In dieser war jedoch nicht erklärt, was ein Echoraum oder eine Testplanung überhaupt sind. Glücklicherweise haben wir an einem Soliabend im Ziegel Menschen kennengelernt, die sich damit auskennen und uns seither unterstützen. Nach und nach haben wir herausgefunden, dass bei dieser Testplanung nicht-verbindliche Entwürfe für eine gewisse Arealentwicklung ausgearbeitet werden. In diesem Fall vom Cassiopeiasteg bis zur Rentenwiese. Die Entwürfe werden von Teams aus Stadtplanerinnen, Architektinnen, Soziologinnen etc. erstellt. Sie entwickeln verschiedene Entwürfe und aus diesen wird dann ein Masterplan erarbeitet. Dieser dient als Basis für politische Entscheidungen wie z.B. Gesetzesänderungen. Der Echoraum ist eine Art Kontrollgruppe, die aus Akteur*innen, die mit dem Areal zu tun haben, zusammengestellt ist: Menschen aus der Fabrik, der Politik, Leute vom Franz Areal, der Seepfadi, vom Quartierverein, von der KIBAG und weitere. Leider ist ein «Echoraum» jedoch ein ziemlich bezeichnender Name für das Ganze: Wir können zwar unsere Meinung sagen und Feedback geben, aber Entscheidungsrecht haben wir keines. Dies hat nur das Steuerungsgremium, das entscheidet, wie der Masterplan ausgearbeitet wird. Wir können nur reden und hoffen, wir werden gehört.
A — Ein wichtiger Punkt bei allem ist auch, dass die Leute von der KIBAG, die in diesen Prozess involviert sind, Angestellte sind. Sie verdienen mit dieser Arbeit ihr Geld. Wir sind eine aus unterschiedlichsten Ecken zusammengewürfelte Gruppe mit einem Interesse. Wir machen diese Arbeit ehrenamtlich in unserer Freizeit und mit bis zu 100% Jobs nebenbei.
R — Die Zugänglichkeit zu den Prozessen ist auf vielen Ebenen nicht durchdacht worden. Wir mussten selbst recherchieren, was unsere Rechte sind, was wir fordern können und was nicht. Von Seiten Stadt wurden ganze Wochentage eingeplant für Workshops: Das musst du dir finanziell erst einmal leisten können, einen flexiblen Job haben und womöglich noch Kinderbetreuung organisieren. Vor diesen Problemen steht die KIBAG nicht.
Welche Bedeutung hat das linke Seeufer für euch?
M — Es ist ein Ort mit viel Platz für viele verschiedene Menschen. Es ist laut, es wird Sport gemacht und es gibt einen Seezugang für verschiedene Sportarten. Für mich ist es ein Lebe- und Erholungsort.
R — Ein Ort, an dem noch so vieles passieren kann. Ein Freiraum und Begegnungsort von unterschiedlichen Menschen. Der Ort ist nicht strukturiert und gibt nicht vor, was hier passieren oder welche Menschen sich hier bewegen sollen. Es entsteht viel Unerwartetes. Solche Orte gibt es in der Stadt nur selten und genau solche brauchen wir: Orte, an denen entstehen kann, was die Menschen brauchen. Dies könnte zum Beispiel eine Vergrösserung des GZ Wollishofen sein. Dort betonen sie immer wieder, dass sie völlig an ihre Grenzen stossen, weil so viele Leute an dem Ort interessiert sind.
A — Hier findet noch richtig Stadtleben statt und gleichzeitig ist es wie ein Urlaubsort in der Stadt. Ein Rückzugsort, der über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Zudem lockt er Tourist*innen an, die einen bestimmten Charme der Stadt erleben wollen. Es ist wichtig für die Lebensqualität der Stadt, dass es noch solche Freiräume gibt. Dass es immer weniger werden, macht die Situation noch dringlicher.
Welche Folgen hätten die Pläne der KIBAG für das Gebiet und die Menschen?
A — Dieser Ort ist richtungsweisend. Wenn die Pläne der KIBAG hier durchkommen und Luxuswohnungen gebaut werden, ist es fast schon ein Freifahrtschein für solche Projekte. Es könnte ein Domino-Effekt angestossen werden. Was es für das Quartier bedeuten könnte, haben wir während des Lockdowns auf der anderen Seeseite gesehen. Als die Chinawiese geschlossen wurde, sind die jungen Leute stattdessen in die Quartiere gezogen – und die Anwohner*innen sind durchgedreht. Die Stadt wird sich ins eigene Fleisch schneiden. Der See wird lebloser werden und der Freiraum wird in die Quartiere getragen.
M — Es ist eine Gefährdung des Raums, die zu einem Kulturclash führen wird. Die Rote Fabrik ist historisch wichtig für die Stadt und ist heute wie damals ein wichtiger Treffpunkt für die Jugend. Wenn daneben hochpreisige Wohnungen gebaut werden, gefährdet dies die Rote Fabrik langfristig.
R — Ein persönlicher Aha-Moment war, als ich realisiert habe, dass es nicht allein um hochpreisige Wohnungen geht. Selbst wenn hier bezahlbarer Wohnraum gebaut würde, wäre es unsinnig für dieses Areal. Durch die Strasse ist es heute gut von Wohnquartieren abgetrennt, wodurch Lärm gemacht werden und vieles entstehen kann, was in einem Wohnquartier nicht möglich wäre. Auch bei bezahlbarem Wohnraum wird es zwangsläufig einen Clash von unterschiedlichen Vorstellungen geben.
Was fordert ihr daher von der Stadt und der KIBAG?
A — Wir wollen, dass die Stadt das Areal zurückkauft und es in Zukunft bedürfnisorientiert, unkommerziell und nachhaltig gestaltet und genutzt wird.
R — Zudem fordern wir einen öffentlichen, transparenten Prozess und eine inklusive und zugängliche Debatte über die zukünftige Nutzung.
Habt ihr Ideen oder Vorschläge, wie das Seeseitige KIBAG-Areal in Zukunft gestaltet und genutzt werden kann?
M — Einer unserer ersten Events war ein Basteltreffen. Damals haben wir informiert, weiter recherchiert und mit Legos und Bastelsachen angefangen, Ideen zu gestalten. Zusammen mit verschiedenen Menschen von jung bis alt sind dabei über 40 Alternativen zu den Luxuswohnungen entstanden.
R — Von einer Brache über Werkstätte…
M — …einer Lärmschutzzone, einem autonomen Kunstmuseum und Ausstellungsort für Jugendliche, vom Open Mic bis zur Sportwiese und vieles mehr. Ein offener Ort, ein bisschen wie ein selbstorganisiertes, grosses GZ.
A — Es soll ein Ort sein, der mit den Menschen entsteht, die ihn nutzen. Es soll nicht zu viel vorgegeben sein. Aber uns ist wichtig, dass wir Alternativen aufzeigen.
Wie geht es für euch nun weiter?
R — Einerseits findet das nächste Echoraumtreffen statt. Dort werden die ersten Ideen der Teams präsentiert, zu denen wir Feedback geben können. Dieser Prozess geht noch bis im Mai. Danach wird der Masterplan ausgearbeitet.
A — Was jetzt besonders wichtig ist, ist Öffentlichkeitsarbeit, um die Bevölkerung zu informieren. Zudem wollen wir bald eine Initiative lancieren. Am Wochenende vom 21.– 22. Mai planen wir ein Quartierfest, bei dem wir das Maximum aus dem Ort rausholen wollen. Es soll ein Vorgeschmack dafür sein, was passieren könnte, wenn die KIBAG das Areal der Stadt zurückverkauft.
R — Davor gibt es am 12. März einen Konzertabend auf dem Park Platz. Ein Abend zum Informieren, um über Ideen zu Sprechen und Geld zu sammeln. Es ist uns wichtig, das Thema in die Stadt und in andere Freiräume zu tragen.