Christian Kracht, in den Schweizer Medien gerne als «Dandy», als «Bestsellerautor aus reichem Haus», als «Kosmopolit» (TA), «Provo-
kateur» und «Chamäleon» (SRF) bezeichnet, stand unlängst abermals im Zentrum negativer Schlagzeilen. Kracht hatte es gewagt, die Nomination vom Schweizer Buchpreis zurückzuziehen. Während man sich in gewissen Medien vor gut einem halben Jahr noch lauthals darüber empörte, dass Kracht von Pro Helvetia einen Werkbeitrag von 25 000 Franken erhielt und diesen auch noch annahm (!) – «Dandy vom Bund bezahlt» (TA) – und ihm vorwarf, sein Erfolg sei auf «Bro-Culture» bzw. einen «Herrenclub» gebaut (Sonntagszeitung), empörte man sich nun in derselben reisserischen Rhetorik über den Rückzug Krachts aus dem Preis–Wettrennen der vier verbliebenen Aufrechten. Nachdem SRF Kultur kurz nach Bekanntgabe der Shortlist zum diesjährigen Schweizer Buchpreis angeberisch behauptete, die nominierten Autor:innen seien, mit Ausnahme von Kracht, «Nobodies», wurde nun ebendort konstatiert, man möge Kracht die «gönnerhafte Geste nicht ganz abnehmen» und mutmasste, Kracht wolle nur den Deutschen Buchpreis, Aufmerksamkeit und Schlagzeilen – ob aus «strategischem Kalkül oder exzentrischer Inszenierung» (SRF). Man kann nun sagen: Even if, so what? Oder man kann hinter der verkrampften Aneinanderreihung von gewollt literarisch angehauchten Pleonasmen der Journalistin so etwas wie Neid vermuten. Überhaupt ist Missgunst im Schweizer Literatur- und Kulturbetrieb ein weit verbreitetes Phänomen. Wer hierzulande Erfolg hat und dazu über die Deutschschweizer-Grenze hinaus, der wird ebenso gefeiert wie verachtet. Auf Social Media waren es insbesondere Autor:innen und Kulturschaffende, die sich über Kracht enervierten und selbstgerecht auch nicht vor Bibel-Zitaten zurückschreckten, um die Ungerechtigkeit an sich und das unzureichende Fairplay-Prinzip bei Förderstrukturen zu beklagen: «Wer hat, dem wird gegeben» (Im Falle von Kracht: Er hat schon Geld und Erfolg, warum also soll er noch mehr davon bekommen). Manch eine:r befand auch, Kracht sei doch nicht einmal ein echter Schweizer!

Nun, ich weiss nicht, was ein echter Schweizer ist. Ich weiss nur: Die Welt ist seit jeher ungerecht. Warum sollte es im Literaturbetrieb anders sein? Die Haltung, man dürfe nicht mit den Spielregeln spielen, die einem vorgesetzt werden, ist, nett ausgedrückt, heuchlerisch. Existenzsicherung ist nicht Sache von Literaturpreisen. Ein Zyniker, wer denkt, Autor:innen müssten sich von Preisgeldern über Wasser halten. Manch:e Gerechtigkeits-verfechter:in kommt dabei unfreiwillig in die Argumentationslogik von neoliberalen Spinnern. Ebensolche Widersprüchlichkeiten machen im Übrigen Krachts Schreiben so grossartig und ihn zu Recht zu einem erfolgreichen Autor. Champagner und Kaviar aus den Buchverkäufen des «freien Marktes» (Achtung, Ironie!) seien ihm in rauen Mengen vergönnt.
Die ganze reisserische Empörung über Christian Kracht ist nichts weiter als Futterneid. Wer ihm «Kalkül» und «Spekulation» (SRF) vorwirft, sollte sich fragen wie der (Schweizer) Literaturbetrieb ohne Kalkül und Spekulation wohl aussähe. Utopie oder Dystopie? Schreibt doch erst mal selber ein grosses Buch!

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.