Eine Frage wird uns in der Stiftung Sitterwerk oft gestellt: Nach was wird hier gesucht? Die Sammlungen der Kunstbibliothek und des Werkstoffarchivs bedienen primär das Interesse nach dem «wie» und «mit was» «etwas» gemacht werden kann. Im letzten Jahr aber nahmen in unseren Gesprächen andere Themen überhand: Die Zunahme an Digitalisierungsprojekten im Zuge der Corona-Pandemie. Die Verlagerung von sozialen und professionellen Bereichen ins Virtuelle. Die Nachhaltigkeit in der Produktion kam vielfach zur Sprache und wir fragten uns nach der Herkunft von Sammlungen, nach der Diversität von Sammlungen. Ganz grundsätzlich stand im Raum: Wie lassen sich unsere Sammlungen mit aktuellen, wichtigen Fragestellungen kombinieren? Und darüber hinaus: Wie können wir unsere Sammlungen fit machen für die Fragen der Zukunft? Wie schaffen wir ein Umfeld, deren Datenbanken, physische Präsenz und Infrastruktur nicht immer das gleiche beantworten, sondern auch auf neue, sich verändernde Fragen und das dazugehörende Vokabular reagieren können? Als Folge formulierten wir im Winter 2021 eine Einladung an das Team von Literaturhaus & Bibliothek Wyborada in St.Gallen, für einige Tage in der Sammlung der Kunstbibliothek zu arbeiten und den Bestand einer kritischen Evaluation nach feministischen Grundsätzen zu unterziehen. Verbunden mit der Einladung waren auch spezifische Fragen: Was ist eine feministische Kunstbibliothek? Wie kann die white-cis-male Prominenz in der Kunstgeschichte aufgelöst werden? Wie sieht ein feministischer Blick auf die Kunstbibliothek aus?
Eine Intervention der Bibliothek Wyborada in der Stiftung Sitterwerk
Die Leiterin der Bibliothek Wyborada, Karin K. Bühler, stellte auf diese Einladung eine Arbeitsgruppe aus der feministischen Spezialbibliothek zugwandten Personen zusammen. Ruth Erat (Autorin), Marina Schütz (Kunsthistorikerin und ehem. Leiterin der Kunstbibliothek Sitterwerk), Karin K. Bühler (Informationswissenschaftlerin und Künstlerin) und die Kunst-wissenschaftlerin Sibylle Omlin als externe Expertin im Thema Frauen und Kunst. Zusammen näherten sie sich der Aufgabe auf verschiedenen Ebenen an. Das Team traf sich im März 2021 zum gemeinsamen und individuellen Arbeiten, pflegte Austausch in kleineren Teams und fand auch beim gemeinsamen Essen Themen zum Diskutieren. Zu Beginn wurde diskutiert, wie die Kunstbibliothek nach einem «feministischen Blick» beurteilt werden kann. Bei der Diskussion um die Begriffsklärung von «feministisch» wurden die Adjektive anti-hierarchisch, kooperativ, kollaborativ, polyphon, inklusiv und non-binär formuliert. Da die Kunstbibliothek seit mehr als zehn Jahren mit dem hauseigenen Prinzip der stets ändernden und veränder-baren dynamischen Ordnung arbeitet, war schnell klar, dass hier nicht die Ordnung an sich diskutiert werden kann, sondern dass sozusagen «hinter» die Ordnung geschaut werden soll.
Jede Teilnehmerin nahm sich dann ein «Stück Bibliothek» vor, z.B. durch Abschreiten von beliebigen Regalen, intuitivem Herausgreifen von Titeln und ihren Nachbarschaften. Weiter wurde online im Sitterwerk-Katalog nach grundlegenden Werken zu feministischer Kunst gesucht. Es folgen gezielte Titelsuchen zu Feminismus, Frau, Mann, Künstler, Künstlerin, Körper, Gender, aber auch Namen von Kunstwissenschaftlerinnen wie Lucy Lippard, Bice Curiger, etc. und eine Abfrage des Online-Katalogs nach Künstlerinnen wie Pipilotti Rist oder Sophie Taeuber-Arp in Gruppenausstellungen und die Untersuchung der hinter dem Katalog verborgenen Struktur der Stich- und Schlagwortfunktion.
Das Ergebnis ist eine Dokumentationsreihe, die auf der Sitterwerk Website nachgelesen werden kann. Diese Reihe ist (noch) lückenhaft, weil das Thema nicht lückenlos zu behandeln ist und vielleicht auch das Scheitern am Thema darlegt. So war zum Beispiel ein Umordnen der Bibliothek (beispielsweise nach Künstlerinnen) nur schon daran gescheitert, dass diese
bei der Suche im Online-Katalog per Name (z.B. in Publikationen zu Gruppenausstellungen) nicht auffindbar sind.
Hier weiterlesen: Wyborada Edition Nr. 8