Wir haben die alte Leier satt: Goethe spielt Flöte auf Schiller seinem Piller. Also mischen wir den Literatur-Kanon auf! Und widmen eine Ausgabe den Alten Meisterinnen, unseren weiblichen literarischen Vorbildern, die schon viel zu lange im Schatten der angeblichen Männer-Genies stehen. Von Annette von Droste-Hülshoff über Agota Kristof bis Lucia Berlin stellen wir weibliche Schreibende auf den Sockel – und schreiben gegen das immer noch vorherrschende Klischee von der irgendwie anderen «Frauenliteratur» an.
Es ist nun genau fünf Jahre her, dass ich in Italien in einem roten Fiat Panda sass, hinten in der Mitte, um mich vier Freunde, wir fuhren gerade durch einen Bach, scheuchten Wildschweinferkel auf, als einer sagte: «Ich habe noch nie ein Buch von einer Frau gelesen.» Die anderen stimmten zu; einer hatte vielleicht einmal ein Buch von einer Frau gelesen, konnte sich gerade aber nicht an ihren Namen erinnern, vielleicht war es auch doch ein Mann gewesen.
Ich warf ihnen Karen Duve an den Kopf, Virginie Despentes, Lisa Tetzner – sie aber merkten sich die Namen nicht, sie sahen aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Felder und sagten: «Es ist wohl, weil alle Klassiker von Männern sind.» Vielleicht muss ich noch sagen, dass diese Freunde sich allesamt als belesen gegeben haben, als künstlerisch-literarisch tätig, echte Bohèmes.
Es gab mir zu denken, einerseits, dass sie so ignorant waren und keinerlei Interesse zeigten, ihr gestandenes Defizit zu überwinden – «Literatur von Frauen» schien ihnen nicht nötig, um ihren angeschimmelten Kanon zu würzen. Andrerseits, dass ich ihnen nicht viel entgegenhalten konnte; auch in meiner Bibliografie – abgesehen von Kinder- und Jugendbüchern – befanden sich viel mehr Autoren als Autorinnen.
Glücklicherweise hat sich seither einiges verändert. Im Buchladen entscheide ich mich heute prinzipiell für das Werk einer Autorin – um das Ungleichgewicht der vergangenen Jahrzehnte auszugleichen. Auch in der Branche scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben: Veranstaltende haben oft spürbar eine Frauenquote eingeführt; 2018 wurde u.a. von Sibylle Berg und Simone Meier «die Kanon» gegründet – eine Liste mit ausschliesslich weiblichen Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen etc.; und in London stellt Sophie Baggott, die für ein Jahr keine Männerbücher las, im Podcast bookSHElf internationale Autorinnen vor.
Diese Ausgabe soll ein weiterer Beitrag sein, um zu zeigen, dass «Frauenliteratur» unmöglich als solche kategorisierbar ist. Vor allem aber soll sie Lust wecken, mehr geniale Autorinnen zu lesen.