Gleich zwei Grossanlässe bringt die Digitale Gesellschaft im Februar mit auf die Bühnen der Roten Fabrik: Den Winterkongress am 22. und den Reclaim Democracy Kongress «Reclaim the Internet»vom 27.–29. Eine Vorschau vom Mitorganisator und Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft.

Winterkongress

Am Samstag, 22. Februar 2020 kommen zum dritten Mal Hacker, Programmiererinnen, Aktivisten und Interessierte in Zürich zusammen, um sich zu den Themen rund um Informationstechnologie, Vernetzung und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft auszutauschen. Der Winterkongress findet in diesem Jahr zum ersten Mal in Kooperation mit der Roten Fabrik statt, was deutlich mehr Teilnehmer:innen zulässt.

Den Auftakt macht eine Keynote von Adrienne Fichter. Sie ist studierte Politologin und Tech-Reporterin beim Online-Magazin Republik.ch. In ihrem Vortrag wird sie den netzpolitischen Sonderfall Schweiz beleuchten. Fichter wird insbesondere den Fragen nachgehen, wieso der Technik-Diskurs dringlicher sein muss, und weshalb wir eine ethischere Debatte rund um die Digitialisierung benötigen.

Im Anschluss stehen 28 Vorträge und Workshops in vier parallelen Tracks auf dem Programm. Dabei werden gesellschaftspolitische Fragen diskutiert: Patrick Walder von Amnesty International wird über die neuen Antiterror-Gesetzen in der Schweiz sprechen. Timo Grossenbacher, Datenjournalist bei SRF Data, zeigt, was Vorratsdaten über uns verraten. Die Netzaktivistin Katharina Nocun wird Klartext sprechen zu: «Technik ist neutral. Code ist objektiv. Maschinen entscheiden gerecht – Bullshit!»

Aber auch Technik wird an dem Tag beleuchtet: Das Kollektiv immerda.ch wird «freie Mailbox Verschlüsselung für Alle» vorstellen. Max Mehl von der Free Software Foundation Europe wird aufzeigen, wieso es keine IT-Sicherheit ohne freie Software geben wird. Dies nur zwei Beispiele.

Der Winterkongress soll aber auch den Austausch unter den Teilnehmer:innen fördern sowie Debatten zu den verschiedenen Aspekten der Informationstechnologie und deren gesellschaftlichen Auswirkungen ermöglichen. Den Schlusstakt wird die Re:Public Domain Weltausstellung 2020 «BELIEVE IT OR NOT» vom Dock18 «Institut für Medienkulturen der Welt» setzen.

Reclaim Democracy: Reclaim the Internet

Wie finden wir angemessene Antworten auf die Okkupierung des Internets durch Kommerz, Datenextraktivismus, dominierende Plattformen, Überwachung und Zensur? Können wir das Internet wieder für offene demokratische Prozesse zurückerobern, und wenn ja wie?

Diesen Fragen gehen wir auch am Reclaim-Democracy-Kongress nach. Im ersten Teil des Doppelateliers «Re-claim the Internet» wird Markus Kummer von der Internet Society Switzerland Chapter (ISOC-CH) einen Blick auf die Internet Governance werfen, seine Geschichte beleuchten und Ausblicke auf mögliche Entwicklungen des Internets zeigen. Im zweiten Teil wird Erik Schönenberger aktuelle netzpolitische Auseinandersetzungen und Themen, wie die elektronische Identifizierung (E-ID), Netzsperren & Zensur, Überwachung & Datenschutz sowie Netzneutralität beleuchten. Der dritte Teil ist für Fragen und eine offene Diskussion reserviert.
Der Reclaim-Democracy-Kongress wird von 45 Kooperationspartnern getragen und vom Denknetz Schweiz organisiert. Erwartet werden rund 2000 Teilnehmende an fünf Plenarveranstaltungen und 50 Ateliers. Er soll der Diskussion und der Vernetzung all jener dienen, welche die Demokratie stärken wollen:

Um die Klimaerhitzung erfolgreich einzudämmen. Um Diskriminierungen wirksam zu bekämpfen und die Rechte von Minderheiten zu wahren. Um die Digitalisierung im Interesse aller zu nutzen. Und um eine Normalisierung des Lügens zurückzuweisen.

Richtschnur ist der globale Anspruch auf ein gutes Leben für alle, sowie ein System Change, um die Dominanz der Konzerne und der Banken zu überwinden und Kooperation über Konkurrenz stellen zu können.

Digitale Gesellschaft

Immer mehr Lebensbereiche werden von der Digitalisierung erfasst. Die Übergänge von on- zu offline sind fliessend geworden. Durch Tracking und Manipulation fallen immense Profite an. Aber auch die Demokratie ist durch staatliche und private Überwachung sowie Zensur bedroht.

Die Digitale Gesellschaft setzt sich daher seit 2011 für Grund-, Menschen- sowie Bürger:innenrechte im Internet ein. Als gemeinnützige Organisation begleitet sie diese gesellschaftlichen Umbrüche, die von der «digitalen Revolution» ausgehen. Dabei setzt sie sich aus zivilgesellschaftlicher Perspektive für eine offene, freie und nachhaltige (digitale) Gesellschaft ein.

2019 konnten beispielsweise erreicht werden, dass in der Schweiz die Netzneutralität gesetzlich verankert wird. Dadurch müssen sich die Zugangs- und Netzwerkanbieter auch zukünftig neutral gegenüber den angebotenen Diensten im Internet verhalten; sie dürfen also keine Produkte, Anbieter oder Protokolle bevorzugen bzw. diskriminieren. Dieses Best-Effort-Prinzip steht synonym für den Erfolg des (freien) Internets.

Mit der Verhinderung des Leistungsschutzrechts konnte 2019 zudem eine Linksteuer abgewendet werden, die nicht nur der Öffentlichkeit, sondern speziell auch den Medienverlagen geschadet hätte. Eine Informationskampagne im Frühling konnte das nötige Umdenken bewirken und damit die Meinungs- und Informationsfreiheit stärken.

Mit dem Referendum gegen die elektronische Identifikation (E-ID) soll 2020 eine breitere Debatte über den nötigen Ausbau der digitalen Demokratie und das Selbstverständnis des Staates in einer vernetzten und digitalisierten Welt geführt werden. Die nötigen 50’000 beglaubigten Unterschriften konnten Mitte Januar eingereicht werden. Nun kann an der Urne verhindert werden, dass der digitale Schweizer Ausweis und unsere persönlichen Daten in die Hände von Banken, Versicherungen und Konzerne fallen.

Daneben führt die Digitale Gesellschaft zur Zielerreichung auch strategische Klagen. Zwei Beschwerden für einen besseren Schutz der Privatsphäre und gegen Massenüberwachung sind an den Gerichten hängig:

In der Schweiz sind alle Personen von der Kabelaufklärung durch den Geheimdienst betroffen. Mit dieser Massnahme überwacht und durchsucht der Nachrichtendienst des Bundes die Telekommunikationsverbindungen, welche von der Schweiz ins Ausland führen, nach definierten Suchstichworten. Da die meiste Internetkommunikation der Schweizer Bevölkerung über ausländische Server und Netzwerke führen, sind wir alle von dieser Massenüberwachung betroffen. Menschenrechte machen aber grundsätzlich an der Grenze keinen Halt.

Die Digitale Gesellschaft gelangte daher 2019 an das Bundesgericht, nachdem die Vorinstanz mit einem mutlosen Entscheid den Beschwerdeführer:innen das Recht auf Beschwerde abgesprochen hat. Mit einem Entscheid kann 2020 gerechnet werden. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass das Verfahren weiter bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg gezogen werden muss.

Am EGMR ist bereits die Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung hängig. In der Schweiz sind sämtliche Anbieterinnen von Post-, Telefon- und Internetdiensten verpflichtet, das Kommunikationsverhalten ihrer Kund:innen – wer, wann, wo und mit wem kommuniziert – für sechs Monate aufzuzeichnen. Weil von dieser Überwachungsmassnahme ausnahmslos alle betroffen sind, stellt sie einen unverhältnismässigen Eingriff in den verfassungsmässig garantierten Schutz der Privatsphäre dar. Die Digitale Gesellschaft hat daher bereits 2014 eine Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung eingereicht. Mit einem Urteil vom EGMR ist leider erst in ein paar Jahren zu rechnen.

Der Reclaim-Democracy-Kongress findet vom Donnerstag, 27. bis Samstag, 29. Februar statt. www.reclaim-democracy.org
Der Winterkongress findet am Samstag, den 22. Februar ab 10 Uhr in der Roten Fabrik statt. Weitere Infos & Tickets: digiges.ch/kongress
www.digitale-gesellschaft.ch