Sophie Steinbeck: Ihr seid die ersten überhaupt,, die die Vagina Monologe nach Zürich bringen. Haben Frauen* in der Schweiz es einfach besser – oder wird hier besonders ungern über die Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen* geredet?

Roberta Spano: Mich hat das auch erstaunt. Das Stück ist in der Schweiz nicht so bekannt wie in anderen Ländern, besonders bei jüngeren Frauen* nicht. Ganz pragmatisch ist dies sicherlich ein Grund. Aber ja, es wird nicht gern über Gewalt gesprochen, aber auch nicht über die weibliche Sexualität, die in gewissen Belangen immer noch tabuisiert ist.

Justine Burkhalter: Unserer Meinung nach sind alle Frauen* und somit auch weibliche oder teils weibliche Identitäten über die cis-Frau hinaus von Unterdrückung betroffen, nämlich derjenigen des Patriarchats. Natürlich gibt es Unterschiede in den Kämpfen, die von Frauen* geführt werden und verschiedenste Problemfelder wie Forderungen. Klar ist, dass die allgemeine soziale Lage einer Person ihr Frau*-Sein wesentlich mitbestimmt, was sich beispielsweise an den Unterdrückungsverhältnissen von Sexarbeiter*innen ablesen lässt: Eine migrantische Frau*, welche sich illegal in der Schweiz aufhält und auf der offenen Strasse arbeiten muss, hat andere Bedingungen, als eine Person, die als High End Escort tätig ist. Aber von patriarchalen Strukturen betroffen sind alle. Deshalb solidarisieren wir uns auch mit allen Frauen*.

Sind die Vagina Monologe eine Art #metoo Vorgänger, oder bekommt man auch positive Momente des Frau*seins und des weiblichen* Körpers zu hören?

RS: Mir ist es wichtig, dass man das Stück nicht nur als schweres, trauriges Stück rund um Gewalt liest. Es gibt Monologe, die durchaus unterhaltend und lustig sind und sehr bestärkend. Wenn eine Frau erzählt, wie sie ihren Körper und ihre Sexualität kennen und lieben gelernt hat, ist das ein unheimlich positiver Moment. Dennoch glaube ich, man könnte vielleicht schon von einer Verbindung zu #metoo sprechen und zwar insofern, dass es darum geht, Erfahrungen aufzuzeigen, die von Frauen* gemacht werden: #metoo hat gezeigt (wortwörtlich) wie viele Frauen Opfer sexueller Belästigungen sind. Die Autorin Eve Ensler lässt in gewissen Monologen die Stimmen mehrere Frauen zu einer Geschichte verschmelzen, weil sie merkte, dass das, was die Frauen* erzählen, sehr ähnlich ist.

JB: In diesem Sinne ist beiden Phänomenen gleich, dass sie Gründe, weshalb sich Frauen* Feminist*innen nennen, offen legen und erfahrbar machen. Somit bleibt der Kampf um mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht länger ein politisch-abstrakter Kampfbegriff, sondern wird konkret nachvollziehbar. In diesem Sinne ist die Inszenierung der «Vagina Monologe» auch ein Stück Aufklärungsarbeit, weil wir damit darlegen können, wie es eben tatsächlich ist, als Frau* in einer Welt zu leben, die primär von Männern dominiert ist.

Die Vagina Monologe sind 1996 in New York entstanden. Was waren ihre Kernanliegen? Und was sind eure Anliegen heute als Schweizer Frauen* im Jahr 2019? Wie unterscheiden sie sich von den Aussagen der Frauen der ursprünglichen Vagina Monologe 1996?

RS und JB: Uns ist es wichtig, dass die Monologe als historische Zeugnisse gelesen werden. Zürich 2019 ist nicht New York 1996. Doch beim Lesen der Monologe wird einem schnell klar, dass sehr viele der Themen brandaktuell sind. Ich glaube, die Anliegen von damals und heute unterscheiden sich nicht wirklich. Es geht darum gehört zu werden, ernst genommen zu werden und darum Tabus anzusprechen und zum Nachdenken anzuregen. Eve Ensler hat ihr Stück mal als eine anthropologische Untersuchung beschrieben. Dadurch können verschiedenste Erfahrungen von Frauen* beschrieben und betrachtet werden. Als Kind und junge Frau war sie selbst Opfer sexuellen Missbrauchs. Sie gab an, diese traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten, indem sie Theaterstücke schrieb. Eines ihres Kernanliegens war und ist also sicher, auf Gewalt gegen Frauen* aufmerksam zu machen und Betroffenen zu helfen.

Hélène Hüsler und Laura Leupi, ihr führt beim Stück Regie und habt für die Aufführungen offene Castings gemacht – wie lief das ab? Wie habt ihr euch für eure Darsteller*innen entschieden?

HH und LL: Im offenen Casting ging es uns darum, alle kennenzulernen, die gerne beim Projekt dabei wären. Wir haben mit ihnen Übungen gemacht und zum Text erste Improvisationen gemacht. Dabei geht es für beide Seiten darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist zusammen zu arbeiten, da wir jede Produktion als wechselseitigen und kollektiven Prozess angehen. Uns war es von Anfang an ein Anliegen, dass alle, die sich für diese Sache, Gruppe und Produktion einsetzen möchten, mitmachen können. Jede einzelne mit ihren individuellen Voraussetzungen auf die Bühne vorzubereiten ist unsere Aufgabe. Schlussendlich haben wir uns nicht für die Darsteller*innen entschieden, sondern sie sich für uns.

Mithu M. Sanyal schrieb 2009 mit «Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts» eine Kulturgeschichte der Unsichtbarmachung des weiblichen Geschlechts, indem es auf das «Loch», die Vagina reduziert wird. Sollten die Monologe umgetauft werden in Vulva-Monologe?

RS und JB: Ja, müssten sie eigentlich, möchte man das weibliche Geschlechtsteil als titelgebend nehmen. Liv Strömquist hat sich in ihrem Werk «Der Ursprung der Welt» (2014) u.a. auch dem gewidmet und zeigt, welche Mechanismen mit dieser Art von «Unwissen» verbunden waren. Ich glaube, da ist in den letzten Jahren einiges passiert. Nicht nur auf kritischen Plattformen in den sozialen Medien wird darüber diskutiert, sondern auch Tageszeitungen berichten über das Thema Vulva und nicht Vagina. Das ist wichtig und durchaus auch ein Fortschritt. Wir wurden im Vorfeld unserer Produktion einige Male auf den Namen angesprochen und auch kritisiert, dass wir ein Wort im Stücktitel haben, welche die Frau* auf ein «Penetrationsloch» reduziert. Uns ist es bewusst, dass die Verwendung von «Vagina» nicht «unheikel» ist, allerdings war es uns bezüglich den Rechten am Stück unmöglich den Titel zu ändern. Wir hoffen auf ein kritisches Publikum, das eben unsere historische Dimension liest und den Entstehungskontext der «Vagina Monologe» versteht.

Feminismus erlebt derzeit eine grosse Anerkennungswelle, z.B. in der Mode oder unter Prominenten. Diese Entwicklung wird von vielen kritisch betrachtet: Sie verwässere die Aussagen und Anliegen des Feminismus. Würdet ihr hier zustimmen? Was bedeutet Feminismus für euch? Bezeichnet ihr euch als Feminist*innen?

RS: Wir bezeichnen uns als Feministinnen, ja. Und ich finde es problematisch, wenn ich im Tally Weijl eine Jeans kaufen kann, auf der in grossen Buchstaben FEMINIST aufgedruckt ist, einfach weil es sich verkauft. Und wenn Selbstoptimierung und die Unterwerfung unter vorherrschende Schönheitsideale mit dem Hashtag GRLPWR als Selbstermächtigung verkauft werden. Es ist schon ein Tool geworden. Andi Zeisler hat darüber ein sehr spannendes Buch geschrieben. Andererseits denke ich aber, wenn ein junges Mädchen oder ein Junge sich über Instagram Posts und Co. beginnt mit Feminismus auseinanderzusetzen und verstehen will, was dahinter steht, dann ist das ja irgendwie auch gut.

JB: Handkehrum sind wir noch lange nicht so weit, dass Feminismus in allen gesellschaftlichen und politischen Kreisen angekommen oder etabliert ist. Man exponiert sich nach wie vor, wenn man sich fernab von Social Media für emanzipatorische Anliegen der Frauen* einsetzt – insbesondere, wenn man die linke, universitäre Blase verlässt. Daher kann man es auch so sehen, dass jede Entwicklung, auch diejenige des kommerziellen Popfeminismus, ein Schritt dahingehend ist, die gesellschaftliche Grundstimmung zu verändern, damit die politischen Forderungen von Frauen* nach Selbstbestimmung und Gleichberechtigung möglich gemacht werden können.

RS: Und: es gibt ja nicht nur einen Feminismus. Oft wird das so verkauft. Ich glaube, das hängt irgendwo auch mit Vorstellungen von Schwesternschaft zusammen, von Harmoniebedürftigkeit, die halt von Frauen* erwartet und ihnen zugeschrieben wird.

Die Monologe sollen die Themen verhandeln, die tabuisiert, scham- oder gewaltbehaftet sind. Welche sind das? Und warum ist es wichtig, in einem theatralen Rahmen darüber zu sprechen?

RS und JB: Nebst Gewalt, Vergewaltigungen ist hier etwa auch die Menstruation zu nennen: Immer noch ein Tabu. Der weibliche Orgasmus: Ein sagenumwobenes Ding! Das Theater, Kunst im Allgemeinen, kann Menschen zum Denken anregen.

Einer der vier «core beliefs» der Vday Kampagne heisst: «Art has the power to transform thinking and inspire people to act» – was für ein Handeln oder verändertes Denken wünscht ihr euch?

RS und JB: Wenn sich nach den Aufführungen Menschen mit der Frage auseinandersetzen, was es heisst, Mann oder Frau zu sein, welche Erfahrungen Menschen aufgrund ihres Geschlechts machen oder nicht, dann glaube ich, haben wir schon etwas Kleines erreicht.

Interview von Sophie Steinbeck

Sophie Steinbeck, *1994 in Lenzburg, studiert Dramaturgie in Leipzig, davor Sprachkunst in Wien. Arbeitet als Autorin und Dramaturgin in den Theaterkollektiven «saft» und «Rohe Eier 3000».
«Die Vagina Monologe» werden vom 20. – 22. Februar in der Aktionshalle der Roten Fabrik aufgeführt.
Mit Frauen* sind alle Genderidentitäten gemeint, die sich selbst unabhängig vom biologischen Geschlecht als weiblich oder teilweise weiblich verstehen.

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