Dies ist meine letzte News-von-gestern-Kolumne. Da ich meinen Medienkonsum aus starkem Desinteresse auf das Notwendigste reduziert habe, weiss ich nicht mehr, was gestern in den Nachrichten war. Insofern: Blick in die nahe Zukunft. Mit dem stellvertretenden Chefredaktor der Letzten Zürcher Zeitung (der Chefredaktor selbst weilte gerade in Seoul für Gespräche über eine Medienpartnerschaft mit dem südkoreanischen Top-Tube-Channel) sprach ich über den digital turn und partizipative und andere ungewöhnliche Formate, die Klicks von denen generieren, die unserer aller Zukunft und Hoffnung sind: Die User:innen.

ans: Herr Riedel, sterben die Leser:innen von Zeitungen nicht langsam aus?

Richard Riedel: Richie, bitte. Wir haben flache Hierarchien (lacht).

Also, Richie. Hat Ihre Zeitung nicht ausgedient?

Natürlich stehen wir vor grossen Herausforderungen. Man muss mit der Zeit gehen. Regelmässige Umfragen bei unserer Online-Community haben jedoch gezeigt, dass die Konsumentinnen nach wie vor das Bedürfnis nach zuverlässigen Informationsquellen, interessant aufbereiteten Fakten und guten Stories haben. Dies gewährleistet unser junges, dynamisches, sich immer wieder erneuerndes Team. 

Kürzlich musste sich der Chefredaktor in einer Stellungnahme persönlich für unwahrheitsgemässe Aussagen in einem Artikel in der Rubrik «Rise and Fall» entschuldigen.

Die Fakten sind bei uns in aller Regel wahrheitsgemäss. Natürlich lässt das Storytelling mancher Journalist:innen einen gewissen Interpretationsspielraum offen.

Oft ist es auch mangelhaftes journalistisches Handwerk.

Man muss heute andere Prioritäten setzten. Wir sind keine Schreibwerkstatt für angehende Literaten und Edelschreibfedern. 

Die da wären?

Diversität. Ein breitfächriges Angebot. Gewagte, neue Formate. Eine enge Kund:innenbindung durch partizipative Formate, Online-Community-Pflege, Social Media-Kanäle und regelmässige gross angelegte Evaluationen. 

Und Klicks?

Du bist lustig. Natürlich Klicks. Mehr ist mehr.

Oft liegt mangelnde Qualität auch an schlechten Arbeitsbedingungen.

Kommen Sie mir nicht mit diesem Syndikalismus. Wir leben nicht mehr in den 50ern. Wichtig für Journalist:innen sind Prakitkas! Praktikas! Praktikas! Jeder hat mal klein angefangen.

Welche Formate gedenken Sie in Zukunft auf- oder auszubauen?

Die Konkurrenz liest mit, ich werde hier nicht aus unseren prozessorientierten Creative- Meetings plaudern. Verraten kann ich aber, dass wir vermehrt auf partizipative multimediale Formate setzen, in denen die User:innen selbst Videos oder Stories einschicken können, die dann von der Redaktion nur noch geframt und gepitcht werden müssen. Auch wollen wir weiterhin unbedingt auf Podcasts setzen und natürlich die thematischen heissen Trends.

Wissen Sie wer ihre «Userinnen» sind?

Wir führen Statistiken. Dank Algorithmen und Controlling kann man ziemlich genau sagen, wer, wann, wo und aus welchen Gründen unsere Formate konsumiert. 

Wie verpackt man politische Informationen für die U-30-Mediendeprimierten?

Ich sage nur: Rankings und Listen. Die Leute wollen Rankings und Listen. «10 Merkmale an denen du einen Tindler-Swindler erkennst» – zieht! Und man muss auf Unterhaltung und positive Geschichten vertrauen. Depp-Heard, for example, beides in einem, Bingo!

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Ich danke dir!  

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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