Die Dezemberausgabe 2019 der Fabrikzeitung war dem Cut-up-Autor Jürgen Ploog gewidmet. Im dazugehörigen Editorial beschrieb Redakteurin Michelle Steinbeck die Mühen, in San Francisco ein Buch von einer Frau aus der Beat- Generation aufzutreiben. Sie geriet schliesslich einzig an Diane di Primas «Memoirs of a Beatnik» (1969). Von diesem, di Primas bekanntestem Werk existieren noch immer die Druckfahnen, auf die Maurice Girodias, Verleger der Olympia Press, «MORE SEX» geschrieben hatte. In der Olympia Press erschienen einerseits pornografische Titel, mit denen Girodias den Schreibenden einen Ausweg aus der Armut freischaufeln wollte, anderseits, durch erstere querfinanziert, avantgardistische Titel, darunter die Erstausgabe von Burroughs‘ «Naked Lunch». Die Autorin kam der Aufforderung des Verlegers nach, indem sie einen Hybridtext zwischen fiktiver Pornografie und authentischem Sittengemälde der Beat-Generation lieferte. Im Hinblick auf Diane di Primas ganzes Schaffen sind die «Memoirs of a Beatnik» jedoch ein Sonderfall.

Warum scheint es selbst in der Geburtsstadt der Beat-Bewegung schwierig, ein repräsentatives Werk dieser Dichterin zu finden? Meines Erachtens hat das mit einer fatalen Einschätzung des Sprachrohrs der Beat-Generation zu tun, mit Allen Ginsbergs unbedachter, aber berühmt gewordener Bemerkung: «Die für den Künstler angemessene Form der gesellschaftlichen Organisation ist die Jungenhorde. Nicht die parfümierte Ehe der Gesellschaft.» Wirft man denn nur einen flüchtigen Blick auf die Beat- Generation, so kann es leicht passieren, dass die Schriftstellerinnen, die ihr angehörten, übersehen werden und man annimmt, dass die Beat-Generation tatsächlich aus einer Boy-Gang bestanden habe: aus dem Dreigestirn Burroughs, Ginsberg und Kerouac, erweitert um Herbert Huncke, Gregory Corso, Lawrence Ferlinghetti, Michael McClure, Philip Whalen etc. Und dass Frauen lediglich «Nebenrollen als Sexpartner, Muttergestalten und Erlöserinnen» besetzt hätten, wie Steven Watson über die Ära bemerkte, dass Frauen «Minor Characters» gewesen seien, wie Joyce Johnsons Erinnerungen an Jack Kerouac im Original heissen.

Mit dieser Wahrnehmung hat es zu tun, dass nur selten Bücher von Frauen aus der Beat-Generation in den Läden aufliegen.

Gregory Corso, nach den Frauen gefragt, antwortete 1994 in einem Interview anders: «Es gab Frauen, sie waren da, ich kannte sie, ihre Familien zwangen sie in Anstalten, wo sie Elektroschocks erhielten. Es gab Fälle, ich kannte sie, eines Tages wird jemand über sie schreiben.» – Corso scheint etwa an Elise Cowen, Ginsbergs letzte weibliche Lebensgefährtin, gedacht zu haben. Nach einer klinischen Behandlung beging sie, noch nicht einmal 30-jährig, Suizid; darauf vernichteten ihre Eltern grosse Teile ihres Werks unter der Begründung, es sei eine Schande, schmutzig und obszön. Ein schmaler Band der Arbeiten dieser Beat-Woman überlebte, insbesondere dank ihres Freunds Leo Skir.

Doch anstatt Corsos Hinweis zumindest diesbezüglich nachzugehen, dauert das Übersehen des Beitrags der Frauen zur Beat-Generation in der Rezeption derselben bis heute an, wenn auch nicht in den USA, wo seit den 1990er Jahren wegweisende Publikationen erschienen sind, darunter «Women of the Beat Generation – The Writers, Artists, and Muses at the Heart of Revolution» (1996), herausgegeben von Brenda Knight, mit einem Vorwort von Anne Waldman und einem Nachwort von Ann Charters, oder «Out Of The Shadows – Beat Women Are Not Beaten Women» (2015), herausgegeben von Frida Forsgren und Michael J. Prince. Doch in Europa und Asien wurde der Blick in der allgemeinen Wahrnehmung der Beat-Generation kaum erweitert (löbliche Ausnahmen im deutschsprachigen Raum stellen Kleinverlage wie Altaquito, Peter Engstler, Eco und die Stadtlichter Presse dar).

In einer E-Mail vom 10. August 2021 meldet die Post-Beat-Allround-Künstlerin Louise Landes Levi aus dem fernen Kyoto: «Ging zweimal an eine Ausstellung von Jack Kerouacs Schriftrolle für On the Road, eine faksimilierte Edition, ausgelegt wie die mittelalterlichen japanischen Schriftrollen, lange Vitrinen. Die Schriftrolle war die Hauptattraktion, umgeben von vielen Büchern, Postern, Krimskrams aus der Epoche. (..) Im Museum wurde ich sehr traurig – die Ausstellung liess die schreibenden Frauen aus dieser Epoche total weg, zeigte nur ein einziges handgeschriebenes Manuskript von Kazuko…»

Mit Kazuko ist die japanische Beat- Dichterin Kazuko Shiraishi gemeint, die 1975 bei New Directions den Band mit dem schlagenden Titel «Seasons of Sacred Lust» veröffentlichte, herausgegeben von Kenneth Rexroth, der die junge Dichterin «Japans Allen Ginsberg» nannte. Jener Rexroth hatte am 7. Oktober 1955 die in die Literaturgeschichte eingegangene Lesung «Six Read at Six Gallery» in San Francisco höchstpersönlich moderiert; damals hatte Allen Ginsberg erstmals aus dem bahnbrechenden Gedicht «Howl» vorgetragen.

Es gibt sie also, die Beat-Women! Sehr wohl. Man braucht nur neugierig an der männlich repräsentierten Oberfläche der Bewegung zu kratzen, und schon purzelt einem ein ganzer Reigen von Beat- Women entgegen. Lange wurde dabei vor allem an die Frauen gedacht, die einfach da waren und wirkten: Musen, Mütter, Ehefrauen der männlichen Beats, die sie inspirierten und umsorgten. Einige von ihnen haben ihre Erinnerungen als Chronistinnen festgehalten. Joyce Johnson, Kerouacs Freundin in den Jahren 1956 bis 1958, wurde bereits erwähnt, doch man könnte, gerade was diesen Autor betrifft, auch an Edie Parker denken, seine erste Frau. Ihre Ehe dauerte von 1944 bis 1948. Die Kunststudentin von George Grosz teilte sich eine Wohnung mit Joan Vollmer Adams an der 118. Strasse in New York, in der die Beats aus- und eingingen. Bezüglich Kerouac sollte man auch die Memoiren seiner zweiten Frau Joan Haverty Kerouac konsultieren, deren Erinnerungsbuch «Nobody’s Wife – The Smart Aleck and The King of Beats» postum erschienen ist. Zu den Chronistinnen ihrer Zeit zählt ebenso Carolyn Cassady, die Gattin von Neal Cassady aka Dean Moriarty in «On the Road»; ihre Memoiren «Off the Road» versah sie mit dem Untertitel «Twenty Years with Cassady, Kerouac, and Ginsberg». Oder die gebeutelte Bonnie Bremser, Ray Bremsers Frau, die 1969 «Troia – Mexican Memoirs» veröffentlichte: ein Zeugnis ihrer Liebe zu dem Poète maudit, aber auch ihres Leidenswegs durch Prostitution, Kriminalität und Sucht. Nicht zuletzt bereichert Hettie Jones (geb. Cohen) die Fraktion der Chronistinnen. 1990 erschien ihre Autobiografie «How I Became Hettie Jones», in der sie von den gesellschaftlichen Hindernissen erzählt, auf die sie als Nachfahrin einer jüdischen Familie durch ihre Heirat mit dem afroamerikanischen Autor LeRoi Jones (später Amiri Baraka) stiess.

Mit Hettie Jones, die mit LeRoi Jones das Little mag «Yugen» (1958–1962) herausgegeben sowie die Totem Press gegründet hat und bis heute publiziert, zeigt sich ein dritter Typus: Frauen, die selber Literatur losschlagen und mit den Beats auf Augenhöhe verkehren. Denn während die Rezeption und Vermarktung der Beat-Generation die patriarchalischen Strukturen zum Teil bis heute reproduziert, würde die Ideenwelt der Beat-Generation selbst gerade die Werkzeuge zu deren Sprengung liefern. Als erste von deren zentralen Ideen, die Ginsberg, trotz seiner fatalen Bemerkung zur Beat-Generation als Boy-Gang, für die Ausstellung «Beat Culture and The New America» (Whitney Museum of American Art, NY 1995) zusammenfasste, listete er folgende Maxime auf: «Spirituelle Befreiung, sexuelle Revolution oder Befreiung i.e. Befreiung der Homosexuellen, welche gewissermassen die Befreiung der Frau, die Befreiung der Schwarzen katalysiert, Gray Panther Activism».
Ob nicht vielmehr die Emanzipation der Frau und antirassistische Bewegungen die «Befreiung» der Homosexuellen katalysiert haben, sei dahingestellt. Ginsberg war jedenfalls keineswegs blind für die Arbeiten der Frauen. 1974 gründete er in Boulder, Colorado, mit Anne Waldman und Diane di Prima – wahrlich keine Boy-Gang! – die Jack Kerouac School of Disembodied Poetics an der Naropa University, welche noch heute blüht und gedeiht.

Diane di Prima, der diese Ausgabe gewidmet ist, gehört klar zu dem Segment der selbständig kreativen Beat- Women. Jan Herman, Autor und Kenner der Szene, meinte, angesprochen auf Diane di Primas Poesie: «Ich mag ihre Intensität. Sie ist direkt, stark und überhaupt nicht sentimental. Ihre Gedichte altern gut. Mich würd’s nicht überraschen, wenn ihre Poesie die Poesie von vielen Beats überdauern würde…» Ebenfalls zu diesem Segment zählen Anne Waldman, Joanne Kyger, Denise Levertov oder Joanna McClure, die alle ein reiches literarisches Schaffen hervorgebracht haben. Ein Solitär ist die Cut-up-Autorin und Collage-Künstlerin Mary Beach; ihre «Elektrische Banane» kann Burroughs‘ «Naked Lunch» durchaus das Wasser reichen (ipse dixit). Oder Lenore Kandel, insbesondere das nach der Publikation indizierte «Love Book», das zweifelsfrei einen der erotischsten und zugleich spirituellsten Texte der Weltliteratur darstellt. «The Divine is not Separate from the Beast», lautete Lenore Kandels Credo, das man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen muss, um seine spinozistische Tragweite zu ermessen… Ferner war es eine Frau, die als erster Mensch überhaupt Jazz und Poesie verband: Die heimliche Göttin der Beats, Ruth Weiss. Sie schrieb mit fünf ihr erstes Gedicht, floh im Alter von zehn Jahren mit dem letztmöglichen Zug aus Nazi-Wien über Holland in die USA; ihre Familie musste zahlreiche Holocaust-Opfer beklagen. 1956 wurde sie im Club The Cellar, North Beach, San Francisco, bekannt, wo sie mit den Musikern Sonny Nelson, Jack Minger und Wil Carlton aus New Orleans Jazz und Beat-Poesie darbot. Kerouac und Cassady, mit denen sie Haikus austauschte, zählten zu den regelmässigen Gästen. Tatsächlich war es Ruth Weiss, die Jack Kerouac zu den mit den Bebop- Saxofonisten Al Cohn und Zoot Sims eingespielten legendären «American Haikus» (1959) inspirierte. Mit der Kombination von Jazz und Poesie legte sie den Grundstein für ein bis heute gepflegtes vielfältiges Performance-Genre. Auch Janine Pommy Vega integrierte Musik in ihre Lesungen, Rhythmusinstrumente zumal. Ihre Unabhängigkeit verdiente sie sich eine Zeitlang als Nackttänzerin in Schaufenstern, und sie war sich nicht zu schade, Poesie in die Gefängnisse und Schulen des Landes zu bringen:

HEXENKUNST

«Janine Vega hat die Fähigkeit, die Vorstellungswelt von Kindern auf den Tod, die Hölle & den Teufel zu lenken. Falls unser Kind in ihre Klasse kommt, werden wir Anzeige erstatten.» – Auszug aus einem Elternbrief an eine regionale Schule

Wünschte, sie hätten das nie gesagt über das Lenken der Vorstellungswelt

von Kindern,
als ob ich Kanäle in ihre

Ohren
bohrte. Wünschte, sie hätten

die Vorstellungskraft nicht für teuflisch befunden.

Einmal sah ich einen Teufel, er hatte ein Gesicht verschlossen wie eine Faust, eine
Mauer gegen jede Verständigung.
Die Bodhisattvas lehren: Solange nicht jeder frei ist, ist keiner wirklich frei.

Leg die Scheite zusammen für das nächste Feuer

und ich werde darum herumtanzen wie die

Hexen in der Walpurgisnacht

Sag Beltana, sag Aks aya trt jya
sag Marienmond oder Buddhas

Geburtstag im Feuer, Das brüllt

jeden Namen verkörpere ich

pyramidal auflodert,
und sein Spiegelbild erblick ich in meinem Herzen.

Feuer brennt und brennt nicht. Wo ist mein Besenstiel?

Vertrau mir.

Als weitere Mänaden geistern Judith Malina vom Living Theatre und Vali Myers durch die Ära; letztere war über den Post-Beat-Dichter Ira Cohen mit der Szene verbunden und verkörperte in Süditalien eine Legende als malende und dichtende Herrin der Tiere, als Hexe
von Positano.

Unabgeschlossen ist der hier aufgefächerte Reigen der Beat-Women. In ihrem Hintergrund funkeln auf der Zeitachse die Sterne Gertrude Stein, Anaïs Nin und Jane Bowles. Und im Vordergrund oszillieren die wilden Punk- Diven Patti Smith, Kathy Acker und La Loca, glänzt aber auch die Singer- Songwriterin Joni Mitchell… Sie alle haben sich explizit zu den Texten und Idealen der Beat-Generation bekannt, deren Stars zum Teil gekannt und die Fackel der Revolte auf ihre Weise fortgetragen…

Frauen denn also nur in den Nebenrollen der Bewegung? Mitnichten. Q.E.D.: Frauen besetzten Schlüssel- und tragende Rollen in der Beat-Generation. Und in der Rezeption derselben sollen sie zukünftig auch die ihnen zustehenden Hauptrollen besetzen.

Florian Vetsch, St.Gallen. Autor, Herausgeber, Übersetzer. Er co-edierte die Fabrikzeitungen Nr. 271, 289, 354 und 364. Gemeinsam mit Hadayatullah Hübsch schrieb er die Gedichtzyklen «Round & Round & Round» (Songdog, 2011) sowie «Eis bricht leis» (Gonzo, 2013). Zuletzt erschien «Quintessenz – Die zweiundzwanzig Grossen Tarot-Arkana» (San Marco Handpresse, 2020).

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