Heute brachte mein Sohn ein Formular aus der Schule mit und sagte, ich müsse es ausfüllen. Es waren zwei Felder darauf. Eines für die Unterschrift, das zweite für meinen Vor- und Nachnamen. «Ich, (Name), (Vorname), untersuchte mein Kind und fand an seinem/ihrem Körper keine Auffälligkeiten» Ich fragte meinen Sohn, was ich sehen müsste. Er zuckte

Kanalstück (Teil 3)

Was bisher geschah: Tom putzt den Kanal, Abschnitt für Abschnitt, gründlich und säuberlich. Er arbeitet im Boot und schläft im Bus. Nur in der Nähe des Dorfes macht er Halt und übernachtet in einer verlassenen Villa, die er von früher kennt. Er ist allein, nur in der Hosentasche sein himmlischer Fund: Eine Flügellizenz. Tom dachte

Kanalstück (Teil 2)

Was bisher geschah: Tom putzt den Kanal, Abschnitt für Abschnitt, gründlich und säuberlich. Er schläft im Bus und arbeitet im Boot. Dabei spricht er mit sich selber, löffelt Buntes aus Einmachgläsern und findet etwas Verlorenes aus der himmlischen Welt: Eine Flügellizenz. Inzwischen hatte der Kanal sich verengt, er trieb im Schatten. Das Wasser durchlief eine

Kanalstück (Teil 1)

Es war der dritte Tag am Kanal. Tom hatte den Bus noch kein Mal umgeparkt. Es würde ewig dauern. «Ziehst Fisch, Alter, ziehst Fisch?», sagte er, mit gesenktem Kopf, den Blick ins schwarze Wasser gerichtet. «Bist am Angeln?» Zwei Tage hatte er geschwiegen, dann begonnen, mit singender Stimme zu sich selbst zu sprechen. «Bist wieder

Helis Auflösung

Heute also Spargel. Mit Petersilienkartoffeln. Und drei Stück Katenschinken haben sie uns in einem zusätzlichen Plastikbehälter bereitgestellt. Drei. Vor noch nicht allzu langer Zeit hat mich das jedes Mal fertiggemacht. Dass sie nur noch drei Portionen mitgeben. Einmal bin ich einfach zusammengeklappt, ein andermal habe ich alles gegen die Wand geworfen, welche wir dann neu

Stromboli, Attenzione alla testa (Pt. 3)

Sizilien im Winter. Auf der Fähre nach Stromboli trifft der Erzähler einen mysteriösen Amerikaner und eine Frau, die er wegen ihrer ikonischen Sonnenbrille Lolita nennt. Nachts erreichen sie die Insel, schon ziemlich betrunken, und wandern umher. Bis der Amerikaner einen Gullydeckel hebt und sie runter in die Finsternis steigen. Es wurde immer verrückter. Bald war

Stromboli, Attenzione alla testa (Pt. 2)

Was bisher geschah: Sizilien im Winter. Der Erzähler trifft auf der Fähre nach Stromboli einen mysteriösen Amerikaner, der sich den Kopf angeschlagen hat, sowie eine Frau, die er wegen ihrer ikonischen Sonnenbrille Lolita nennt. Auf Deck hören sie Musik mit dem Handy, trinken Vodka aus der Flasche und essen Brote. Wir legten an, es war

Stromboli, Attenzione alla testa (Pt. 1)

Das Schiff, in der Saison eine Touristenfähre, war beinahe leer. Wir, keine Handvoll Passagiere, sassen in grosszügigen Abständen voneinander entfernt im Unterdeck, das angenehm, nicht zu sehr, geheizt war. Es kamen keine lästigen Durchsagen über das Bordmikrofon, wo man hinfahre, was man sehen werde, wie die Inseln beschaffen seien, nichts davon; es war alles klar.

Bundesrat Liechti im Seich (Pt. 3)

Was bisher geschah: Bundesrat Liechti hat es schwer. Die Nachbarn nerven, der persönliche Assistent hat Verdauungsprobleme und seine jahrelang ausgearbeitete Gesetzesänderung wird abgelehnt. Auf einer Helikopterreise ins Liechtenstein schreibt er bereits sein Testament. Fehlt nur noch das bundesrätliche Berglager. Bundesrat Liechti ist deprimiert. Er sitzt auf der Latrine in der Blüemlisalp-Hütte ob Kandersteg auf 2800

Bundesrat Liechti im Seich (Pt. 2)

Was bisher geschah: Bundesrat Liechti regt sich über seine Nachbarn auf – sie schneiden ihre Bäume nicht! Ausserdem braucht er eine Auszeit vom Bundeshaus. Er haut ab und reist mit der SBB nach Herzogenbuchsee. Auf dem Weg findet er ein seltenes, köstliches Gut wieder: Langeweile. Bundesrat Liechti ist im Elend. Das Parlament hat eine von

Bundesrat Liechti im Seich

Bundesrat Liechti ist deprimiert. Seine Nachbarn, also die Steiners, fangen immer an zu pöbeln. Sie stehen am Gartenzaun und beschimpfen den Salat und die Schnecken und Liechtis zweite Frau. Mehr als einmal ist Herr Steiner über den Zaun gestiegen und mit einer Konservendose durch ihr Gemüsebeet gegangen. Bundesrat Liechti hat den Kantonalen Polizeichef gebeten, ihm

Di ganz wält i minere gwallt (Pt. 3)

i mim muul e ferschteinerig fonere zunge. e töibi. es nüüt. nach jedem abtauche ufte rükbank. zunge. rache. lippe. iitröchnet. ferschteineret. e mumie useme drütuusigjöörige schlaf fewacht. alles nur immer no mee. widas in abseebarer zit ände söll ischmer es räzel. ghöre nur immer das ewig gliiche rolle. blinke. faare. näbemir alles am schlafe. am

Di ganz wält i minere gwallt (Pt. 2)

hüpmorge hät de röne sini zwei täsche i oise kofferruum kuetscht unzich zwüsche piär ummir uft rükbank zwängt. zude grüüschkulisse im auto xellzich ez sändlose unrüpmische klike fom röne sim fotiapparat. tömpwines winzikliises maschine-gweer. de röne isch fotograaf. de röne repwinen wasserfall. de röne bringt früschi luft. kä foif minuute im auto untscho schnurrter mitte

Di ganz wält i minere gwallt

ziitewiis nur s brumme fom motor. schlukpfasch alles mängisch. gangschaltig. beschloinigung. uusrolle. macht alles grüüsch. ruuschet. zwüscheture tikkt de blinker. luut passiärendi laschtwäge. meermals pro minute. es lauft musig im auto. apschtrakt. deet chlopft eine ufe schachtle. ufe guezlibüchse. ufes schtük holz. schüttlet dezue glöggli. murmlet es mantra. minuutelang. immer s gliich. unklar was schtraassegrüüsch.

Von Angst zerfressen (Pt. 3)

Was bisher geschah: Ein Ich und ein Er leben zusammen. Eine enge Beziehung, eine einzige Unsicherheit. Während das Er zunehmen kränker wird, steigert sich das Ich in eine Bessessenheit hinein. Er verschwindet, hinterlässt Wut und Sorge, taucht wieder auf. Vor dem Haus lag sein Handy, zertreten. Teile der Zukunft. Dass er, der solche Angst davor

Von Angst zerfressen (Pt. 2)

Was bisher geschah: Ein Ich und ein Er leben zusammen. Eine Spannung, eine Trennung. Eine Krankheit. Ein Fortgehen. Das Ich schreibt, heimlich. Schreibt Er auch? Auf jeden Fall verschimmeln seine Pflanzen. Das Ich lauscht an der Tür: Was er wohl in seinem Zimmer gerade tut? Am nächsten Morgen verschwand er. Wir standen in der Küche,

Von Angst zerfressen

Ich nehme mich immer noch zu wichtig. Das werfe ich mir vor. Nachdem das Taxi am Ende der Strasse nicht mehr zu sehen gewesen war, ging ich zurück ins Haus und trank, am Wasserhahn, bis ich nicht mehr konnte. Dann ging ich ins Zimmer und begann zu schreiben. Der erste Satz war eine Frage. Ob

Call Rona (Pt. 3)

3 Was bisher geschah: Holger, ein fast kreisrunder Übersexueller mit korallenfarbener Haut, beginnt einen neuen Job als Mitarbeiter in einer Teleintuitionsgesellschaft. Als solcher leiht er Servicegeräten wie Zigarettenautomaten, Haushaltsrobotern oder Spielautomaten emotional-empathische Kapazitäten. Alle Versuche des Personal-Chefs Torry Wischer, den einsilbigen, eigenbrötlerischen Holger zu einem sozialeren Umgang mit seinen KollegInnen zu ermutigen, schlagen fehl. Dabei

Call Rona (Pt. 2)

2 «Was machen Sie hier?» Torry Wischer betrat das weite, leere Büro. Holger, ein fast kreisrunder Übersexueller mit korallenfarbener Haut sass auf einem der verlassenen Bürostühle und war gerade dabei, ein überdimensional grosses Sandwich aus Seetangbrot auszuwickeln. «Pause. Kann mir das Gequatsche von denen auf dem Balkon nicht anhören.» «Man darf hier nicht rein, ist

Call Rona

1 Im Flur befanden sich zwei Personen. Die eine eher gross, schmal, mit langen Gliedern, die andere ein drei Meter hoher, orangefarbener Ballon. «Sie kennen mich ja schon aus dem Tutorial. Ich heisse Torry Wischer», sagte die langgliedrige Person und hielt ihrem asexualisierten Mitbürger die Hand hin. «Ich bin weniger seriös als ich im Tutorial

Subjekttango

1 Das Radio spielt cholerische, spanische Lieder, die Observierungssubjekte wühlen in ihren Sachen. Immer liegen die Sachen herum, nie herrscht Ordnung. Subjekt Beta sucht ein Dokument. Das Dokument ist selbsttätig verschwunden, das ist ungünstig, denn eigentlich wollte Subjekt Beta es verschwinden lassen. Subjekt Omega gräbt den Inhalt einer Schublade um. Subjekt Omega sucht die Quittung

Vendémiaire, Brumaire, Frimaire 2017

Teil 1 Die Facebook-Page eines genialen Indie-Animes, von dem keine neuen Folgen mehr produziert werden, postet Inzestwitz-Memes: Ein Hacker agiert sich aus, Doranga nennt er sich. Ich scrolle mit der rechten Hand, mit der linken setz ich an. Club Mate-Wodka. Wenn man nicht weiss, ob man klarer oder besoffener sein will oder überhaupt je wieder

am weg

1. verärgert laufe ich die strasse entlang, schreibe: bin am weg, das kleingeld klirrt in meiner tasche. eine tür stellt sich mir in den weg, mit lichtern und pflanzen gefüllt. ich reisse sie auf, sie haut mir auf die nase. ein schwarm heuschrecken löst sich aus der tür und klebt sich mir auf den körper,

Überfluss

I. Es ist fast zwei Uhr nachts und ich will seit Wochen einen Text für die Zeitung schreiben über die Dinge, die man hortet. Vor allem über die Notizen, die tausendfachen Notizen, die Fotofilme, die unentwickelten, die entwickelten, die Handyfotos, die Pläne, alles. Die Kisten voller irgendwo ausgerissener Schnipsel, auf denen ich mal die Farben

Antony

1. Bei jedem Aufwachen denke ich, ich hätte am Vorabend besser doch meine Zähne putzen sollen. Ich schaue an die Decke, lausche den Nachbarsschritten, wie sie über meinen Kopf herziehen. Heute bin ich vierzig geworden, über Nacht. Ich denke mir, dass mein Rücken weniger schmerzt als gestern. Ich höre Schritte vor meiner Tür, ein Klopfen,

Tagebuch

Das Tagebuchschreiben praktiziere ich unregelmässig. Normalerweise lese ich meine Einträge erst Jahre später. Vielleicht, um zu sehen, was ich ab wann eigentlich schon wusste, was ich alles verdrängte, wo ich zu viel oder zu wenig Optimismus im Blut hatte, wem oder was ich mehr Zeit hätte widmen können. Ich schreibe im Tagebuch alles so, wie

Der Schwarze Panther

Es war Sonntag, und nachdem die Dorfgemeinschaft das Blut des Erlösers getrunken hatte –  das übrigens wie der zuckersüsse Traubensaft schmeckte, den man Kindern an Geburtstagen einschenkte –, entschied sich eine Handvoll älterer Herren, in die Beiz einzukehren, die den Namen «Zum Staubigen Esel» trug. Warum die Beiz diesen Namen trug, wusste niemand zu sagen,

Mit einem Fuss draussen

1 Ich atme in den Schilfbast. Ich atme in den Schilfbast und hoffe, dass sie mich nicht sehen. Haben sie aber. Hier, im hinteren Bast des Sees. Jetzt werden sie mich herausholen, aber vorher werden sie noch ihre Gummihosen anziehen müssen, weil sie ohne nicht Mumm genug sind. Wie ich hierhin gekommen bin, in der