3

Was bisher geschah: Holger, ein fast kreisrunder Übersexueller mit korallenfarbener Haut, beginnt einen neuen Job als Mitarbeiter in einer Teleintuitionsgesellschaft. Als solcher leiht er Servicegeräten wie Zigarettenautomaten, Haushaltsrobotern oder Spielautomaten emotional-empathische Kapazitäten. Alle Versuche des Personal-Chefs Torry Wischer, den einsilbigen, eigenbrötlerischen Holger zu einem sozialeren Umgang mit seinen KollegInnen zu ermutigen, schlagen fehl. Dabei hat Wischer doch ganz andere Sorgen: Da ist etwas faul mit dem System. Ein mysteriöser Wasserschaden führt ihn auf Holgers Spur. Aber was hat dieser Antisexuelle mit der nassen, an hunderte Kabel angeschlossenen Frau zu tun, die aus der Decke fiel? Er scheint sie augenscheinlich zu kennen…

«Linca, Linca, ist alles in Ordnung?»
«Ja… ja… es geht.»
Torry Wischer blickte von der derangierten Frau namens Linca zu seinem seltsamen Mitarbeiter, der sich selber Holger nannte, und schüttelte unverständig den Kopf: «Sind Sie überhaupt wirklich ein Antisexueller?»
«Hmm… nein.»
«Dieses Ballonding, ist das ein Kostüm?»
«Ja. Linca?»
«Schon gut, mir geht’s gut… schon gut… wer ist dieser Mann da?»
«Der arbeitet hier… Linca, wir wurden entdeckt!»
«Ich bin Torry Wischer. Ich bin für die Einführung der neuen Mitarbeiter verantwortlich. Sind Sie in Ordnung?»
«Ja… ja… mir geht’s gut.»
«Gut. Holger, Sie ziehen jetzt bitte dieses Kostüm aus und dann erklären Sie und diese Linca mir, was hier los ist. Ich habe die Türverriegelung aktiviert, als wir hineinkamen und die elektornische Security verständigt. Sie kommen nicht weg.»
«Linca…»
«…»
«Linca, hilf mir das Kostüm auszuziehen.»
Unter der falschen, organgefarbenen Ballonhaut kam ein schmächtiger Mann mit adrettem schwarzen Haar und Adlernase zum Vorschein.

«Ich bin Jonaxan Pogel, das ist meine Frau Linca. Wir… schauen Sie. Ich war auf der Musicalschule, früher. Dann bin ich in die kommunistische Partei eingetreten. Dort… naja, man erwartete von mir, dass ich einen Arbeiterberuf lerne, also bin ich Elektriker geworden. Ich habe diesen Beruf nie gemocht. Und die Partei mochte ich auch immer weniger, aber dann habe ich Linca dort kennengelernt, und sie hat mir wieder Mut gegeben, Mut, an die revolutionäre Kraft des Musicals zu glauben. Linca ist eigentlich Schauspielerin, wissen Sie. Naja, jedenfalls, ich war ja Elektriker. Ich wusste, wenn man eine Datenleiche im System platziert, ein System, das viele Maschinen verwaltet, dann könnte man unglaublich viele Menschen erreichen. Mit unserer Botschaft, der Weltrevolution.»
«Okay, und wie sollte diese Botschaft aussehen?»
«Wir zeigen es ihnen,»

Die beiden etwas verschüchtert, aber dennoch entschlossen dreinschauenden Revolutionäre begannen zu singen und dabei eine Art Wedelchoreographie mit den Armen aufzuführen.

Mit Nitrospeed zum Queereinstieg

Die Herrschaft der Galaxis,
Liegt in der Hand von Fotoapparaten,
Seh ich einen Mann und er,
ersäuft im Ozean,
oder eine Frau, die tot im Schwimmbad liegt,
oder auch ein Kind,
das vor mir ertrinkt,
sehe ich mich um sie weinen
Als hätte ich das einstudiert

Genosse! Genossin!
Eine neue Welt entsteht,
nicht an einem Snackbuffet!

Kein Bild von dir, kein Bild von mir,
Kein Apparat, kein Hologramm,
Kein Aufprall wird mehr abgefangen,
Ich bin kein Werbefilm, und du kein Fotoapparat,
Kein Produkt, kein Accessoire,
alle werden unsichtbar

Genosse! Genossin!
Eine neue Welt entsteht,
nicht an einem Snackbuffet!

Singe für die Auferstehung,
jedes Menschen und Planeten,
versammelt euch, um ungebeten kundzutun:
Die in-ter-ga-laktische Re-vo-lution!

Genosse! Genossin!
Eine neue Welt entsteht,
nicht an einem Snackbuffet!
Elektrischer Strom, Laser und Radau,
Schlagt den Atmosphärenbau,
in hunderttausend Scherben klein,
wir wollen freie Kosmonauten sein!

«Wir wollten dass alle Apparate der Welt gleichzeitig, aber unabhängig voneinander dieses Lied singen, nach Möglichkeit auch mit der Choreographie, und damit eine neue Zeitrechnung einleiten.»
«Ah, ok, und das Lied haben Sie selber geschrieben?»
«Ja.»
«Ok.»
«Wieso fragen Sie das so?»
«Naja man merkt, dass Sie es selber geschrieben haben.»
«Meinen Sie, es ist ein schlechtes Lied?»
«Nein, also, dafür, dass sie es selber geschrieben haben ist es wirklich gut. Sie haben auch wirklich beide gute Singstimmen.»
«Danke.»
«Und was war das mit dem Snackbuffet? Wieso steht das da drin, das habe ich nicht verstanden.»
«Naja, die von der Partei waren immer so huorlos. Ich wollte was Witziges reinschreiben.»
«Ah ok, verstehe. Also, ich ruf jetzt mal die Polizei.»
«Hmh.»

Ende

Lara Hajj Sleiman studierte am Schweizerischen Literaturinstitut, lebt aktuell in Leipzig.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert