Vielleicht habt ihr’s gar nicht bemerkt: Die paar Rastas, Anarchos und Transparente mehr, die grad vor dem Clubraum rumhängen, verschmelzen ja harmonisch mit der Graffitiwand. Aber jetzt wisst ihr’s: Die Rote Fabrik ist besetzt. Eine Truppe aus Geflüchteten und Hausbesetzern hat die Kulturfestung eingenommen.

Hineingestiefelt sind sie, direkt ins grosse Theaterfestival zum In-Thema Flucht. Ha, Timing!
Stellen sie also ihr eigenes Bühnenbild auf: Zelte und Leintücher – «Yuppies raus». Kostüme und Rollen sind schon verteilt: Velokurier, «Kein Mensch ist illegal»-Gymnasiast, und der richtige, echte Bsetzi im obligaten versifften Hoodie. Die Flüchtlinge probieren derweil erheitert das Megafon.

Lustig, aber worum geht’s? Die Besetzer zogen die letzten drei Tage durch Flüchtlingscamps im Kanton. Soll heissen: Sie spürten zwischen Autobahnausfahrten versteckte Luftschutzbunker auf, in denen pro Zimmer 30 Menschen eingepfercht auf ihre Schicksals-Bescheide warten. Um die menschenunwürdigen Bedingungen anzuprangern, wurde beschlossen: Ein Occupy muss her.

Unbedingt, aber warum in der Roten Fabrik? «Denk wegen dem paternalistischen Kulturmensch-Getue», referieren die Kuriere. «Der schaut sich ein schön nachdenkliches Theater an, geht heim, trinkt Wein und vergisst alles wieder.» Also die Fabrik als zum linksbürgerlichen Unterhaltungstempel verkommenen Verräter? Die Kuriere zucken die Schultern, sie wollen nicht mehr dazugehören – «wir gehn grillieren». Es sei doch scheisse, Streit anzufangen mit dem Theater, den Technikern. Die nun nicht mehr in den Clubraum dürfen, in dem ein Flucht-Spezial-Poetry Slam hätte stattfinden sollen. Denen von den Hoodies Tische unter den Ellenbogen weggezogen werden: «Die gehören jetzt uns!» Die ausgelacht werden, wenn sie zu Performance und Diskurs einladen: «Wir sollten die Chance nutzen, wo wir doch fürs Gleiche kämpfen.» Aber diese drehen nur die Musik auf.

Das Stück nimmt fröhlich seinen Lauf: Die Besetzer beleidigen sich gegenseitig mit «Hippie», die Fabrikler schütteln die Köpfe, die Kulturbesucher sind verwundert, dass die Flüchtlinge nicht nur nur konsumfertig zubereitet in den Stücken vorkommen, sondern live und ohne klar definierbare Rolle direkt vor der Nase zu orientalischer Technomusik rumstehen. Oder gehört das zur Inszenierung?

Ich sitze und schaue zu, wie die Hoodies grosse Pfannen herantragen. Hungrig vom eifrigen Urteilen überlege ich, wofür ich mich am besten ausgeben und einen Pappteller füllen könnte. Da setzt sich einer neben mich und teilt mit mir seinen Reis. Darauf gehen wir ins Theater, der kurdische Syrer und ich. Gesagt wird drinnen dasselbe wie draussen: Privilegierte, die sich über Geflüchtete unterhalten; Kommunales Wahlrecht; Stadt für alle. Usw.

Der Syrer sagt, das Theater hat ihm gefallen. Vor allem findet er super, dass er grad nicht in seiner Asylantenwohnung in Bülach hocken muss und warten, bis er genug Deutsch kann, um in der Shisha-Bar oder im Spital zu arbeiten, wie seine Freunde.

Ich musste dann auf den letzten Zug. Das Tanzen habe ich verpasst. Angeblich hat es stattgefunden, alle Fronten vereint – wie aufgelöst. Bleibt nur zu hoffen, dass die Versöhnung nicht mit dem Kater verschwindet. Denn dieser Kampf, Linkere linken Linke, ist verschwendete Energie. Und hilft sicher nicht denen, die im Bunker sitzen und warten.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

Ein Kommentar auf “BESETZT – Ein Volksstück

  1. Hildegard Lang sagt:

    _Wohl leider nicht verstanden- Wen wunderst’s?_

    Geht man davon aus, dass dies ein Links gegen mehr Links ist… Sorry, aber was ist den noch Links in der Zeit von „die Mitte ist das neue Rechts“? …hat man(Mensch?) wohl leider nicht verstanden.

    Lasst doch zusammen für eine Sache kämpfen? ääh ja, für was kämpft ihr den so?

    „..,dass die Flüchtlinge nicht nur nur konsumfertig zubereitet in den Stücken vorkommen, sondern live und ohne klar definierbare Rolle direkt vor der Nase..“
    Hier steht’s geschrieben und trozdem die Frage wozu?

    Naja, ich erklär mal einen Aspek:
    Kommt nun der privilegierte Bewohner von Zürich in die „Roti“ um mal ein bisschen politisches Theater zu gniessen, geht nachhause und sagen wir mal vergisst nicht alles wieder.
    Hurrah. Der Privilegierte, fühlt sich gut, weil er hat sich ja interessiert, sein täglich „involvement“ mit den bitteren Umständen anderer absolviert.
    Ein bisschen Leid der Leute am Rand der Gesellschaft (oder könnten wir hier sogar sagen ausserhalb des Randes??!?- es steht ja unglaublicherweise zur Frage ob die geflüchteten Menschen hier überhaupt existieren dürfen- illegal-legal-illegal- legal u.s.w.) in Form von kulturellem Input hat er konsumiert.
    Mit dem vorprogrammierten Flüchtling auf der Bühne kommt er klar, das ist Kunst, und Kulturell, und vorgekaute Politik, wie wir sie kennen.
    Mit den Geflüchteten Menschen, die ohne Rolle „rumstehen“, die nicht im Theater performen oder an einer Diskussion teilnehmen, die vielleicht keine lust haben sich ein Theater über ihre Situation anzuschauen, den Poetryslam gar nicht verstehen würden, weil ihnen der Deutschkurs verwehrt bleibt, ist das schwierig… die sind viel zu realitäts 3D!
    Mit denen müsste man(Mensch?) dann tatsächlich sprechen, von sich aus auf sie zugehen, gesprächsmaterial finden. …meint ihr es interessiert sie mein 5 Tages 9 to 5 Job, das Problem mit den zwei Autos(wahlweise auch mit dem GA für die ganze Familie) oder die Frage ob ich jetzt doch lieber die schick neu renovierte Wohnung direkt neben der langsam doch recht feschen Langstrasse (Gentrifizierung sei dank!) nehmen soll oder im Seefeld bleiben und damit klar kommen, dass mein Umzug in den Kreis 4 der Zürcher Mischkultur möglicherweise nicht zuträglich ist.

    Nicht die Geflüchteten sind Teil der Inszenierung, sondern jeder einzelne Veranstaltungsteilnemer, die Fabrikler, die guten Bürger, die Techniker, der Zufallspassant(In?), die PoetryslamerInnen, die hauseigene Journalistin- mit den schlau verwirrten Fragen und selbst die Besetzer (ja klar, auch die – war doch bestimmt so gewollt).
    Ein Satyre-Spiegel über das „political involvement of the priviledged“. Oder eben „BESETZT-Ein Volksstück“.

    Ja bitte zusammen tanzen! Und aus der Reihe!
    Der Zürcher hat’s gelernt, mit den Besetzern tanzt man(Mensch?-haha) am besten. Alljährlich hat der allgemein-Zürcher sich das Binzfest einverleibt und sich sonst nicht so dafür interessiert was da Passiert. Wollten die nicht irgendetwas soziales da hin bauen? Vor drei Jahren…? Hei! Liebe mit-Zürcher die haben uns drei Binzpartys weggenommen, für ne brache! Vielleicht bewegt euch das?(Wohnraum, Subkultur, Freiheit und Selbstbestimmung ist doch sowas von Gestern!)

    Fand das Poetryslam-Spezial fluchtecht irgendwo anders noch statt? Fühlt man sich als Fabrikler wirklich gelinkt und nicht eher erfreut, vielleicht sogar erleichter, dass mal ein bisschen „fresher“ Wind kommt?
    Selbst-Hinterfragung und -Ironie tut übrigens manchmal recht gut. Ist natürlich einfacher belächelnd auf die Besetzer zu zeigen, es ist halt bequemer in den eigenen Gewohnheiten drinn, sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen.

    Ist ja auch tatsächlich gut und wichtig Ausstellungs, Theater und Diskussionsräume zu bieten. In „alternativer“(etwa ein so schwammiger begriff wie „Links“) aber staatlich geregelter Form.
    Nur, wenn dann mal etwas kommt, das nicht im Programm steht….
    „wir sollten die chance nutzen, wo wir doch für’s gleiche kämpfen“.
    Eh? Ja? Genau! Warum nutzt Mensch dann nicht die Chance, schränkt das unverhofte Zusatzprogramm nicht ein, versucht es nicht in Schranken zu zwängen, in die es nicht passt und auch nicht passen will, wird selbst kreativ und findet Alternativen für das eigene Alternativ-Kultur-Programm?
    Sind wir nicht alle ein bisschen alternativ? Also Schwamm drüber.

    Und gings jetzt um die Frage Links oder um Geflüchtete Menschen? Schlussendlich geht’s ums Machen, vorallem aber um Freiheit und Offenheit für Neues!

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