WEHE – ein Beitrag zum offenen Format des Autorinnenkollektivs Rauf. Anja Nora Schulthess arbeitet sich am Begriff «Frauenliteratur» ab – und an seinen Klischees: Weshalb Frauen angeblich Befindlichkeitsliteratur schreiben und das Männer nicht interessieren kann. Und warum es nur männliche Schriftsteller diskriminiert, wenn sie sexy genannt werden.
«Es ist doch merkwürdig, welch einen Unterschied ein Schwanz macht […].» Der Satz stammt von Virginia Woolf aus dem viel diskutierten Essay A room of one’s own. Gemeint ist bei Woolf der Schwanz einer Katze bzw. das Nichtvorhandensein eines Schwanzes (tail) einer bestimmten Katze. Wenn Sie vorhin an das männliche offensichtlichste Geschlechtsteil gedacht haben: Fair enough – auch Virginia Woolf hat in der Manuskriptfassung zu A room of one’s own geschrieben, eine Katze ohne Schwanz erwecke Freudsche Assoziationen. Damit sind wir beim Thema: Schwänze und Literatur.
Ein Mann, belesen, differenziert in der Wortwahl, einer, der Literatur von Frauen liest, sich nicht nur für Feminismus interessiert, sondern auch für den Streit darüber, hat kürzlich in einem Gespräch mit mir diesen unsäglichen Begriff verwendet, der mir reichlich auf den Sack geht: «Frauenliteratur». Er hat gezögert ihn auszusprechen und hätte es vielleicht nicht getan, wenn ich ihn nicht dazu aufgefordert hätte, zu sagen, was er sichtbar dachte. Anlass dazu war der Roman einer jungen Schweizer Autorin. (Als «jung» gilt in der Literaturszene eine Autorin, die noch nicht in einem renommierten Verlag publiziert hat und plötzlich Gegenstand eines flüchtigen Mediengewitters, egal welchen Inhalts, wird.) Ob er den Begriff in despektierlicher Hinsicht verwende, fragte ich den Mann. Er zögerte wieder und bejahte irgendwann. (Er fand den Roman nicht gut.) Was das mit Frauenliteratur zu tun habe, fragte ich ihn. Es folgte ein mittellanges, nicht gerade gehässiges, aber eines dieser Gespräche, von denen man nicht genau wusste, welche Konsequenzen es auf den weiteren Verlauf des Abends und die Beziehung zwischen den beiden am Gespräch Beteiligten insgesamt haben würde. Es kamen Schlagworte wie Befindlichkeit, «nervige Frauenfiguren», die nicht aus ihrer Opferrolle hinausfänden, und schliesslich das Verhältnis von Allgemeinem und Konkretem und die Behauptung, bestimmte Themen wären in der Tendenz wohl eher für Frauen interessant, aber gute Literatur habe beide Geschlechter zu begeistern.
Ich kann mich nicht erinnern, wie das Gespräch endete, ob es einen Konsens zwischen uns gab und wenn ja, ob dieser der Müdigkeit, dem Alkohol oder dem Drängen nach Katharsis durch Penetration geschuldet war.
Der Begriff «Frauenliteratur» jedenfalls ging mir nach und überfiel mich da und dort, in Gesprächen über Autorinnen, in Feuilletondebatten oder endlosen Kommentaren von Männern in sozialen Netzwerken – zuletzt vermehrt zum Hashtag #dichterdran. Dieser wurde von drei Schweizer Autorinnen ins Leben gerufen, als ein Literaturkritiker die Autorin Salley Rooney als «aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen» bezeichnet hatte. Interessanterweise beobachte ich vor allem Männer, die sich zu diesen Themen öffentlich äussern, um nicht zu sagen entblössen. Das scheint plausibel, wenn im Ansatz noch gilt, was Virginia Woolf 1928 über Männer geschrieben hat: «[…] betreten sie einen Raum, sagen sie sich, ich bin der Hälfte der Menschen hier überlegen, und daher sprechen sie mit einem Selbstvertrauen, jener Selbstsicherheit, die im öffentlichen Leben so weitreichende Folgen gehabt und in der Privatsphäre zu so sonderbaren Randerscheinungen geführt hat.» So enervierte sich ein Autor, der im Rahmen von #dichterdran im Blick als einer von «fünf sexy Schriftstellern, die man kennen muss» vorgestellt wurde, darüber, dass auf Diskriminierung mit Diskriminierung reagiert würde. Zur Sally-Rooney-Debatte meinte er lapidar: «Wenn ich mich als aufgeschrecktes Reh inszeniere, muss ich auch damit rechnen, als aufgeschrecktes Reh wahrgenommen zu werden.» Was soll man dazu sagen?
Ich könnte sagen, wie unverschämt es ist, dass die Figur oder die Frisur einer Autorin für Männer oft interessanter zu sein scheinen als ihr literarisches Schaffen; wie entwürdigend es ist, von einem Journalisten oder einem Autor, Anfragen zu erhalten, um dann zu merken, dass das Autorinnenfoto oder ein Lächeln den Mann dazu veranlasst, sich einzubilden, die Autorin hätte vielleicht gerne Sex mit ihm; wie energieraubend es ist, bei jedem Interesse eines Mannes aus dem Literaturbetrieb irgendeine allfällig auflauernde Falle zu wittern.
Ich entschied mich fürs Schweigen und stattdessen zu schreiben. Mir fiel eine Ausgabe des Zeit-Literatur-Magazins wieder ein, betitelt mit «Die Waffen der Frau. Effi und Emilia, Gretchen und Käthchen – wurden alle von Männern erfunden. Aber wie sehen sich Schriftstellerinnen heute selbst?» Auf dem Cover eine hipsterisierte Lolitafigur mit Achselhaaren, als würde das Vorhandensein von Körperbehaarung das Ganze ikonographisch irgendwie feministisch machen und die «Waffe» der Frau sich in pornographischen Posen erschöpfen. Ich bat einen Freund mir das Heft auszuleihen. Er schrieb, ich könne es haben, müsse es aber bei ihm, High Heels tragend, abholen. Ein Witz – das Heft kam per Post. Mit einer Grusskarte: «Ich hoffe, es verleiht deinem Text die nötige Schärfe».
Spoiler: Der Titel wird nicht eingelöst, Schriftstellerinnen kommen darüber, wie sie sich selbst sehen, nicht zu Wort. Dafür schreibt Iris Radisch im Leitartikel «Lieber peinlich als männlich» über das Schweigen der Frauen, den fehlenden «weiblichen Kanon» und den weiblichen Opferdiskurs, dem zu entkommen es gerade den bedeutendsten Schriftstellerinnen nicht möglich gewesen wäre. Als Beispiele zeitgenössischer Ausdrucksformen des Weiblichen werden von Frauen geschriebene Neuerscheinungen herbeigezogen, die sich – wie könnte es anders sein – an weiblichen Körpererfahrungen, Menstruation, Sex und Schamgefühlen abarbeiten. Das Fazit: «Lieber peinlich sein, lieber Schiffbruch erleiden als so wie die Männer weitermachen». Radisch perpetuiert damit, ob absichtlich oder nicht, den eingangs erwähnten diffusen Begriff der «Frauenliteratur» in Verbindung mit «weiblicher Erfahrung» und «Opferdiskurs».
Der Sammelbegriff «Frauenliteratur» meint zunächst alle von Frauen verfassten Texten, im engeren Sinne aber von Frauen für Frauen geschriebene Texte. Diese Zuschreibung ist zugleich Strategie für die Vermarktung von Texten; «chick lit» ist ein eigenes Genre der Unterhaltungsliteratur, eine gezielt «feminine Buchcovergestaltung» bei Verlagen und «Frauenregale» in den Buchhandlungen sind Ausdruck davon. Der Begriff «Männerliteratur» als Pendant ist weitgehend inexistent, obwohl es in der gesamten Literatur wimmelt von nervigen, leidenden Männerfiguren, die ihre prekäre männliche Innerlichkeit, mal sprachlich versierter, mal unbeholfener nach aussen tragen. Befindlichkeitsliteratur hat so wenig mit dem Geschlecht des Autors zu tun wie Sally Rooneys Augen mit den stillen Leiden eines Literaturkritikers.
Romanfiguren haben Tiefe oder nicht, ihr Reden und Handeln ist komplex oder nicht, die Sprache ist überraschend und klar oder nicht, und daraus lässt sich meines Erachtens weitgehend ableiten, ob es sich bei einem Text um gute Literatur handelt oder nicht.
Zur weiteren Verbreitung von «Opferdiskursen» in Literatur von Frauen und der Verhandlung «weiblicher Erfahrung» hier noch ein Zitat von Virginia Woolf: «Literatur gleicht einem Spinnennetz, das, und sei es noch so lose, an allen vier Ecken mit dem Leben verknüpft ist.» Und diese Netze werden eben nicht «[…] von körperlosen Wesen mitten in der Luft gewebt».
Zum impliziten Vorwurf, Literatur von Frauen würde oft nicht über das Konkrete hinausgehen, schrieb die Autorin Monique Wittig 1983: «Es gibt kein weibliches Schreiben. Was sollte denn das Weibliche im weiblichen Schreiben sein? Ein Mythos, aufgebaut auf Unterschied, Spezifizität, dem weiblichen Körper/der weiblichen Natur? Weibliches Schreiben würde darauf hinauslaufen, dass Frauen nicht Teil der Literaturgeschichte sind. […] Es gibt das weibliche Geschlecht, weil männlich nicht das Männliche ist sondern das Allgemeine. Deshalb kann man auch nicht die weibliche Form benutzen, um zu verallgemeinern. Denn das Männliche ist das abstrakte und das Weibliche das konkrete Geschlecht in der Sprache.»
Man kann diese Feststellung ebenso bestreiten wie hinnehmen, sich wahlweise darüber beklagen, dass Frauen «in der Phantasie von grösster Wichtigkeit, tatsächlich aber völlig bedeutungslos sind» (Woolf), man kann sich dafür entscheiden «lieber peinlich als männlich» (Radisch) zu sein oder aber man kann einfach schweigen und weiterschreiben wie bisher.
Ich plädiere hier nicht für eine Suspendierung des Begriffs, sondern eher dafür, entweder den Mund zu halten oder einer Umdeutung und positiven Konnotation des Begriffs zuzuarbeiten. Mit dem männlichen Phantasma des Weiblichen lässt sich spielen, ohne das Spiel der Männer mitzuspielen. Solange ein Schwanz noch einen Unterschied im Literaturbetrieb macht, werde ich mit einem süffisanten Lächeln affirmativ behaupten: Ich schreibe als Frau. Ich mache Frauenliteratur. Das ist ganz besonders andersartig, ungeheuerlich und mysteriös, eine ganz andere Perspektive. Wer davon Kastrationsangst kriegt, beisst sich in den eigenen Schwanz.