Sechs dicke Stahlsaiten für ein Halleluja: Der US-amerikanische Bassist und Sänger Thundercat experimentiert sich durch seine Traumwelten. Im Dezember ist der schräge «Bassist der Stunde», der auch mit Kendrick Lamar, Erykah Badu und Flying Lotus musiziert, in der Roten Fabrik zu Gast.
Manche sagen, das Schlagzeug sei das wichtigste Instrument. Andere sprechen diese Rolle der Gitarre oder dem Klavier zu. Oder sie führen das ursprünglichste aller Instrumente, die menschliche Stimme, ins Feld. Vielleicht ist es aber auch der Bass.
Einige der spannendsten Szenen in «Some Kind Of Monster», dem Dokfilm über die Band und gigantische Maschinerie Metallica, gelten der Suche nach einem neuen Bassisten. Dafür führt die erfolgreichste Metallband der Welt im Jahr 2003 Auditions durch. Ein Bassist nach dem anderen darf vorspielen und beweisen, ob er den hohen Tempi und harten Anschlägen der Metallica-Songs gewachsen ist. Einer ist es: Robert Trujillo, ehemaliger Bassist von Infecious Grooves und den Suicidal Tendencies (1989-95). Ein Kalifornier mexikanischer Abstammung, dessen grosses Vorbild der Jazzbassist Jaco Pastorius war. Für seine Aufnahme bei Metallica wird er schliesslich gleich belohnt: Er erhält einen Koffer mit einer Million Dollar in bar. Damit begann das richtig grosse Rockstarleben des heute 51-Jährigen.
Ein anderer ehemaliger Bassist der Suicidal Tendencies (eine bereits 1981 gegründete Crossover Trash Metal Band aus Los Angeles – für alle, die es nicht wissen) hätte den Härtetest von Metallica mit Sicherheit auch bestanden: Stephen, genannt Thundercat, Bruner, der von 2002-2011 die dicken Stahlsaiten für die Tendencies zum Schwingen brachte.Allerdings hätte Bruner wahrscheinlich nicht ins Konzept des Unternehmens rund um die Alphatierchen James Hetfield und Lars Ulrich gepasst. Dafür ist der Mann, der heute Flying Lotus einen seiner besten Freunde nennt und auf dessen Brainfeeder Label er drei Soloalben veröffentlicht hat, selbst eine viel zu starke Persönlichkeit.
Nur schon optisch hätte er die dunkel gekleideten Schwermetaller locker an die Wand gespielt: An der Red Bull Music Academy in New York im Jahr 2013 – angestellt, um den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt mit Rat und Tat beiseite zu stehen – zeigte er sich jeden Tag in einem neuen, verrückten Outfit. Mal gehüllt in bunte Mexikaner-Gewänder, den Kopf mit einem Sombrero bedeckt, mal in gelber Hose und Strickparka mit Kopfweh-Muster, mal mit Indianerfedern geschmückt, mal im kompletten Motocross-Outfit samt gepolsterten Funktionshosen schlurfte der Afroamerikaner durchs Gebäude. Und statt Schuhen trug er meist einfach dicke, grellweisse Sportsocken.
An zwei aufeinanderfolgenden Abenden bereitete sein Trio damals in der Konzerthalle Terminal 5 in Manhattan als Vorband das Terrain für Kollege Flying Lotus vor. Und alle, die gekommen waren, um die hinkenden, konkreten Beats und trippigen Visuals des Maestros auf sich einwirken zu lassen, waren erst mal leicht irritiert. Sie fragten sich wohl, was diese drei Jazzer – und besonders dieser bunte Vogel mit dem dickbauchigen Sechssaiter – da auf der Bühne verloren haben.
Manchen, das sah man an den verstörten Gesichtsausdrücken und merkte man am Geräuschpegel, war diese Musik – immer wieder begleitet von schwebendem Falsettgesang – eine ganze Spur zu zärtelig. Andere – wie der Schreibende – waren begeistert und bejubelten später noch seinen kurzen Gastauftritt im Rahmen des Flying Lotus Sets: Dort durfte er seinen damals brandneuen Electrofunk-Disco-Track «Oh Sheit It’s X» vorstellen. Der schräge Indianer hatte plötzlich auch so eine Art Dancefloor-Hit.
Nun, jetzt ist hier so ungefähr Halbzeit. Und zumindest das dürfte dieser Artikel – ohne noch allzu konkret über die Musik gesprochen zu haben – mittlerweile ansatzweise vermittelt haben: Stephen Bruner, geboren 1984, steckt eine enorme musikalische Bandbreite ab. Er kann den Metal-Bassisten mimen, er tourt immer wieder mit Erykah Badu, er verfällt in reinrassigen Jazz, wenn ihm der Kopf danach steht, er versinkt in verschlappter Jazz Fusion, er singt den Schwebesoul, er bedient den spacigen Synthesizer. Kurz: Bruner hat sich unter dem Namen Thundercat in den letzten Jahren zu einer der spannendsten Figuren im Bereich der schwer zu fassenden Groove-Musik gemausert.
Dabei ist er zugleich ein Instrumentalist mit stupendem Können und ein Komponist, der alles in den Dienst des jeweiligen Songs stellt. Zum Glück verfällt er nicht in irgendwelche stundenlangen Solos oder dreht den Bass immer so laut auf, dass alles andere dahinter verschwindet.
Und wenn er dann doch mal ein Solo spielt, dann bleckt er die Zähne, lässt die Finger blitzschnell über den Hals krabbeln, schöpft aus einem immensen Fundus an Tonkombinationen und Spielarten. Er ist ein Bassist, der «bassistisch» komponiert, der alle Möglichkeiten seines Instruments ausschöpft, rhythmisch ausgeprägte Arrangements entwickelt und trotzdem eine gute Balance zwischen Melodie und der Grundierung und Begleitung – dem eigentlichen Metier eines Bassisten – findet.
Das ist nicht die Jazz- sondern die Alles-Schule. Seit er mit 17 begonnen hat, wie sein Bruder, der Schlagzeuger Ronald Bruner Jr., mit den Suicidal Tendencies zu spielen, hat sich seine Farbpalette in alle Richtungen erweitert. Jazz, Metal, Hardcore, Soul, R&B, Rap, Electronic – Thundercat tummelt sich überall und mischt sich die Farben, die er gerade benötigt.
Nach «The Golden Age of Apocalypse» von 2011 und «Apocalypse» von 2013 erschien dieses Jahr mit «The Beyond / Where The Giants Roam» das dritte Soloalbum. Besonders «Them Changes», die von Flying Lotus produzierte Single, zog via Youtube und alternative Verbreitungskanäle weite Kreise. Es ist denn auch ein Song, wie man ihn sich von Thundercat wünscht: Ein abgehangener Groove, eine simple, effektive, chromatische Bassline und eine hohe Stimme, die über allem hinwegschwebt.
Überhaupt diese ätherischen Vocals: Sie kontrastieren in seiner Musik stets mit dem griffigen Rhythmus, mit dem hochpräsenten Bass und dem Zusammenspiel der Rhythmusgruppe. Immer und immer wieder scheint er Tagträume zu vertonen. Kurze Flashes, ein paar Züge vom Joint und ab in eine Welt voller Gnome, Giganten und bunter Farben.
Gleichzeitig werden diese Trips mit der Realität verbunden. Für das eingangs zitierte «Lotus And The Jondy» aus dem Jahr 2013 mischte er aus seiner Tonpalette eine musikalische Widmung an seinen verstorbenen Freund und Mitmusiker Austin Peralta, Sohn des Skateboarders und Filmemachers Stacey Peralta, zusammen.
Live ist er mit seinen kongenialen Mitmusikern wie Drummer Thomas Pridgen stets in der Lage vom Protokoll abzuweichen und in aktuelle Tagträume einzutauchen. Auch weil es bei Konzerten des Mannes in den weissen Tennissocken nie ein festes Protokoll gibt. Das hat er, ebenso wie die Harmonie-Kompetenz, von der Tradition des Jazz, seiner Heimat, bewahrt.