Kürzlich waren wir in einer Kunstausstellung und sahen uns das Video eines Künstlers an, da flüsterte mein Freund mir zu: «Auch schön, wenn es mal nicht um Feminismus» geht. Ich lachte, kniff ihn in den Arm und insgeheim gab ich ihm recht. Zumindest, wenn unter «Feminismus» das verstanden wird, was der grosse Medienzirkus unter diesem Label, weitgehend unterkomplex, zelebriert. Derzeit sind sie überall in den Feuilletons, den Radiosendungen, den Fernseh-Diskussionsformaten, auf Facebook und Instagram – die «klugen Frauen», die «starken Frauen», die «aussergewöhnlichen Frauen», die «Frauen in Führungspositionen», die «Pionierinnen». Regelmässig zum internationalen Frauentag wird das Arsenal der «starken Frauen» aufgefahren: Vorbildcharakter müssen sie haben, erfolgreich müssen sie sein und aussergewöhnlich. Die Schweizer Illustrierte gibt wertvolle Tipps: «So werden Mädchen erfolgreiche Frauen»; SRF zeigt Spielfilme über «wahre Pionierinnen»; 10 vor 10 fragt rhetorisch: «Kind und Karriere; ist das vereinbar?»; «junge Frauen» erzählen im Radio über ihren Weg zur «Selbstermächtigung»; die Sendung Eco zeigt Managerinnen, die es «an die Spitze eines Unternehmens geschafft haben» und fragt suggestiv, wie sie das geschafft haben.

Das mediale Erfolgs-Narrativ der «emanzipierten Frau» unterscheidet sich kaum mehr von den Werbekampagnen diverser Firmen, die jeweils am Frauentag irgendeine neue originelle Frauen-Kampagne lancieren. Etwa Schweiz Tourismus, die mit der Kampagne «100% Women» Frauen «ganz nach oben» bringen wollen und sie «mit einer Peak Challenge auf die 48 höchsten Gipfel der Schweizer Alpen schickt».

Wir können nun sagen: Steter Tropfen höhlt den Stein: Die unermüdliche Wiederholung der erfolgreichen Frau weicht vielleicht behutsam Genderstereotypenkrusten auf. Wir müssen aber auch für das Recht jeder Frau einstehen, vermeintlich langweilig, normal, schwach, erfolglos und unattraktiv sein zu dürfen. Und wir müssen auch sagen, dass die Eventisierung und Kommerzialisierung des Frauentags kein Grund zum Feiern ist. Ähnlich verhält es sich mit den meisten anderen internationalen Aktions- und Gedenktagen. Die Liste, hier eine repräsentative Auswahl, dürfte für sich sprechen:

– Tag der Blockflöte
– Weltknuddeltag
– Internationaler Tag der Jogging-Hose
– Welttag der Feuchtgebiete
– Tag des Regenwurms
– Tag der seltenen Erkrankungen
– Internationaler Frauentag
– Weltmundgesundheitstag
– Internationaler Kiffertag
– Internationaler Tag des Jazz
– Welt-Asthma-Tag
– Weltlachtag
– Welt-Yoga-Tag
– Internationaler Tag der Witwen
– Weltlinkshändlertag
– Internationaler Tag der Verschwundenen
– Internationaler Umarme-einen-Vegetarier-Tag
– Internationaler Tag der sauberen Luft
– Internationaler Hobbit-Tag
– Welt-Tollwut-Tag
– Welt-Hunde-Tag
– Welttoilettentag
– Welttag des Stotterns

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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