Wie immer buhlt beim Fabrik Slam eine Auswahl der «tollsten, reifen und knackigeren Poet:innen des deutschsprachigen Raumes» um die Flasche Schnaps. Im März auch dabei: Lisa Christ. Sie begann ihre Bühnenkarriere bei Poetry Slams, mittlerweile tourt sie mit ihrer Soloshow «Ich brauchen neue Schuhe». Warum sie trotzdem noch gerne bei Slams auftritt, wie sich die Szene einwickelt hat und über die Arbeit des Vereins Slam Alphas – darüber spricht mit ihr Berufskollege Laurin Buser.
Laurin Buser: Du trittst also wieder mal bei einem Slam auf.
Lisa Christ: Ja, schiins.
Ach so, war es noch nicht fix?
Nicht wirklich. Ich wollte eigentlich ne Woche vor dem Slam definitiv zu- oder absagen, weil bei mir so viel los ist. Aber jetzt steht ich ja schon im Programm!
Was ist denn deine Motivation, noch bei einem klassischen Poetry Slam aufzutreten? Geht’s darum, neue Texte auszuprobieren?
Nein, neue Texte ausprobieren könnt ich auch woanders. Es geht eher darum, wieder mal die anderen Slammer/-innen zu sehen. Mir geht es viel mehr um den Vibe, als um den Auftritt selbst. Ich fühle mich dieser Szene immer noch sehr verbunden. Und ich finde es auch eine gute Abwechslung, nicht immer nur zu moderieren.
Zu moderieren – oder deine Soloshow zu spielen. Wie unterscheidet sich das Slam- vom Kabarettpublikum?
Das Slampublikum ist ein sehr reaktionsfreudiges Publikum. Man bekommt extrem viel Energie zurück. Und die Leute sind im Schnitt auch jünger. Aber die unterschiedliche Stimmung hängt natürlich mit dem Format zusammen. Es entsteht eine ganz andere Stimmung, wenn du dich einen ganzen Abend auf eine einzelne Person einlassen sollst. Ausserdem fordere ich in meiner Soloshow die Leute ja auch nicht die ganze Zeit dazu auf, Lärm zu machen. Beim Slam hingegen wird den Leuten richtiggehend eingebläut, dass sie und ihre Reaktion ein wichtiger Bestandteil der Show sind.
Was stört dich momentan am Slam?
Ach, das ist ein persönliches Problem, wofür niemand was kann: Slam ist für mich sehr berechenbar geworden. Es gibt zwar immer wieder Texte, die mich verblüffen und die ich toll finde. Aber wie die Texte bewertet werden oder, gerade beim Cupsystem, wer weiter kommt usw.: All das weiss ich mittlerweile meistens schon im Voraus.
Voll. Wir Slammenden sollten eigentlich ein Wettbüro aufmachen und selber mitwetten. Wir hätten hohe Gewinnchancen, wir wissen wie es läuft. Auch was die Performance angeht: Irgendwann wissen wir, welche Knöpfe wir drücken müssen. Manchmal überlegen wir uns dann ja sogar: Mach ich den Text, auf den ich Bock habe und dafür aber weniger Punkte erhalte – oder brauch ich heute die Flasche Schnaps.
Genau. Und das ist, was mich manchmal langweilt: Dass ich das Gefühl habe, es ist kaum mehr ein Zufallsfaktor drin. Vor allem was den eigenen Auftritt angeht. Ich kann voraussagen, was wie ankommt. Und das einzige was mich noch überraschen kann, ist, wenn ein Text schlechter ankommt, als ich es erwartet hätte. Aber, ok, das passiert dann schon noch hin und wieder.
Was fällt dir auf, wenn du dir die Entwicklung der Szene in den vergangenen zehn Jahren anguckst?
Also ich sehe generell die Entwicklung, dass man sehr viel sensibler geworden ist in Bezug darauf, wer in der Szene Macht ausübt, wer Verantwortungen trägt, und dass diesen Menschen mehr auf die Finger geguckt wird. Was konkret bedeutet, dass man mehr redet. Auch gerade was sexuelle Übergriffe angeht. Aber auch die ganzen Fragen rund um ausgeglichene Line Ups und gegenderte Sprache in den Moderationen. Ich finde da hat sich wahnsinnig viel gewandelt, zum Positiven hin.
Sicher schwer zu vergleichen, aber: Ist das schnell gegangen, im Verhältnis zu anderen Szenen? Jetzt ohne die Slamszene zu krass zu loben – denn diese Szene hatte durchaus grosse Probleme und einfach verschwunden sind diese nun natürlich auch nicht – aber trotzdem hatte ich das Gefühl, es gab relativ schnell einen Konsens, der lautete: Ok, wir müssen etwas ändern.
Ja, die Szene ist offen. Und diskussionsfreudig, was ja manchmal auch durchaus nervig sein kann. Aber hier natürlich sehr hilfreich. Und dennoch, als wir den Verein SLAM ALPHAS gegründet haben – dessen erklärtes Ziel es ist, Frauen* und Mädchen* im Poetry Slam zu fördern – waren wir am Anfang schnell dem Verdacht ausgesetzt, dass wir eine schwarze Liste oder so was führen würden. Da fragten wir uns natürlich: Woher kommt eigentlich diese Angst? Und als dann die schwerwiegenderen Fälle ans Licht kamen, was einige Jahre gedauert hat, verstanden wir auch, was da bei manchen dahintersteckte.
Die Gründung des Vereins wurde aber auch generell sehr kritisch beäugt. Da kam nicht das Feedback: Wir finden das super, was ihr macht. Eher Misstrauen: Warum braucht es das überhaupt? Ist das nicht zu aggressiv?
Dabei war die Gründung dieses Vereins und die Erschaffung von Institutionen wie Vertrauensgruppen etc. fundamental für die Entwicklung der Szene. Und ja, im Vergleich zu anderen Szenen schneidet die Slamszene da sicher nicht schlecht ab. Ich habe z.B. das Gefühl, dass sich die Schweizer Comedyszene in diesen Fragen da bewegt, wo die Slamszene vor 10, vielleicht sogar 20 Jahren war.
Thema Line Up-Kultur: Ich selber booke seit Jahren das Line Up für den Slam Basel. Als das Thema «Mehr Frauen in den Line Ups» aufkam, habe ich festgestellt, wie viele Mythen dahingehend im Umlauf sind: Es gäbe schlicht «zu wenig gute Slammerinnen», man möchte das «Niveau» halten – bis hin zu: «Unser Publikum besteht hauptsächlich aus Girls, und die wollen nun mal Typen auf der Bühne sehen». Alles so Sprüche, die sich in der Szene festgesetzt hatten. Und dann bucht man mal dem zum Trotz ein Line Up mit mehr Frauen als Männer – und was merkt man? Die Stimmung ist genauso gut, das Publikum läuft auch nicht davon…
…und es führt zu einer sehr nachhaltigen Veränderung! Es ändert ziemlich viel. Die Stimmung im Backstage zum Beispiel. Und jüngere Frauen und Mädchen bekommen mehr Vorbilder, wodurch es auf lange Sicht mehr Slammerinnen geben wird. Ich gebe zu, es ist heute manchmal tatsächlich noch etwas schwieriger, ein Line Up zu buchen, in welchem mehr Frauen sind. Auch weil die Top-Frauen ja tatsächlich sehr ausgebucht sind. Aber das zeigt ja den Missstand auf: Es muss noch mehr getan werden, damit Slammerinnen noch mehr Platz in dieser Szene einnehmen können.
Ok, es ist vielleicht momentan schwierig, sagen wir fünf Slams in einer Saison zu buchen, bei welchen immer mehr Frauen als Männer am Start sind. Aber statt jedes Mal, wie früher ja tatsächlich oft Praxis, einfach eine Frau pro Line Up zu buchen, sollte man doch unbedingt darauf achten, dass es immer wieder Veranstaltungen gibt, bei welchen das Geschlechterverhältnis einfach mal umgedreht wird.
Klar. Beim Capital Slam in Bern haben wir uns selber eine 50% Quote gegeben, die wir, ausser es gab krankheitsbedingte Ausfälle, immer einhalten konnten. Das hat dann dazu geführt, dass es immer wieder mehr Frauen auf der Bühne hatte – ohne dass wir uns darum jetzt aktiv bemüht hätten. Aber dass das überhaupt geht, hat viel Aufbauarbeit gebraucht.
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Alle zwei Wochen kommt ein Textbeitrag zu einem Thema rund um Poetry Slam, geschrieben von einer Frau* aus der Szene. Schaut gerne mal vorbei: www.slamalphas.org
Lisa Christ: «Im wilden Fruchtfleisch der Orange», Knapp Verlag, 2018
Der 78. Fabrik Slam findet statt am 6. März um 20.30 Uhr in der Aktionshalle.