Leerstand als Ware: Profitorientierte Zwischennutzungsfirmen wie «Intermezzo» sind die neusten Protagonisten im Häuserkampf.

Unten steht Security, oben eine Ikea-Tasche. Inhalt: ein Tisch zum Selberbauen, drei Stühle, etwas Geschirr. Das Einzugsgeschenk für alle neuen Mieterinnen im Mehrfamilienhaus am Sihlquai 252 in Zürich. Gebraucht werden beide – Security wie Tasche: Letztere, weil die frisch Einziehenden nur 9 Monate bleiben dürfen und es sich deshalb kaum lohnt, Möbel anzuschaffen. Ersterer, weil sich Aktivistinnen darum bemühen, diese Liegenschaft zu besetzen. Den früheren Bewohnerinnen wurde gekündigt: Ein Umbau steht an. Mittendrin ist Marc, der eigentlich anders heisst. Er ist neu in eine 2,5-Zimmer-Wohnung am Sihlquai eingezogen. Vermietet hat ihm die Wohnung aber nicht der Eigentümer Coop, sondern die Zwischennutzungsfirma «Intermezzo». Marc zahlt 1400 Franken Miete, deutlich mehr als seine Vormieterinnen. «Aber für Zürich ist das vergleichsweise bezahlbar», sagt er. Er hatte keine unbefristete Wohnung gefunden, aber dringend eine gesucht.
Die «jungen Leute» von der Intermezzo hätten ihm gleich nach der Besichtigung zugesagt, erzählt er. Die Zeit hat gedrängt: Werden Liegenschaften besetzt, die schon vermietet sind, werden sie von der Polizei sofort geräumt. Auch wenn die Wohnungen darin nur für wenige Monate vergeben sind. So wie an Marc. Inzwischen sucht er wieder eine neue Wohnung. Die Security vor seinem Hauseingang ist verschwunden.

Win-Win-Win

Das Geschäft mit den Zwischennutzungen boomt. Inzwischen gibt es mehrere Unternehmen, die um den Profit mit temporär leerstehenden Immobilien buhlen. Keines von ihnen hat auf Anfragen reagiert. Neben «Intermezzo» etwa auch «Projekt Interim» und «Novac Solutions». Deren Geschäftsführer Alexandros Tyropolis spricht 2019 gegenüber der NZZ von einem potentiell riesigen Markt, den er mit seiner Firma erschliessen will. Auf ihrer Website bewirbt sie sich mit «zeitgemässem Leerstandsmanagement und maximaler Performance». Unter anderem habe das einen positiven Einfluss auf die Gentrifizierung. Was damit gemeint ist? Unklar. Aber Tyropolis bezeichnet sein Zwischennutzungsmodell als «Win-Win-Win»-Lösung.
Boomen Zwischennutzungen also, weil alle davon profitieren? Die Stadtgeographin Gabriela Debrunner sieht den Grund für die Zunahme von Zwischennutzungen eher in der Revision des Raumplanungsgesetzes von 2014. Das revidierte Gesetz verlangt, dass Gemeinden ihre Bauflächen nicht mehr vergrössern, sondern gegen innen verdichten.
Grünflächen und Landwirtschaftszonen ausserhalb von Dörfern und Städten werden damit besser geschützt; innerhalb der Gemeinden führt die Massnahme hingegen zu mehr Effizienzdruck. Zu mehr Druck auf brachliegende Flächen und Freiräume. Aber auch zu mehr Druck auf eigentlich intakten Bestand in den Städten: Den Immobilien, die nicht an der maximal zugelassenen Effizienzgrenze kratzen, drohen Ersatzneubau oder Totalsanierung. «In diesem Kontext kommt es dann zu zeitintensiven Baueingaben, Planungen werden komplizierter, Einsprachen sind häufig», sagt Debrunner. «Zwischennutzungen sind ein flexibles Instrument, um diesen Problemen zu begegnen.»

Konkret: Wenn ein ausgereiftes Sanierungsprojekt vorliegt, darf ein Eigentümer seine Liegenschaft leerkündigen. Am besten macht man das so früh wie möglich. Denn Mieterinnen haben Rechte – und können ihren Auszug verzögern. Sind sie einmal weg, werden die Wohnungen zwischengenutzt, bis der Umbau beginnen kann. Die Zwischennutzerinnen sind einfacher zu handhaben, weil ihr fristgerechter Auszug von Anfang an vereinbart wurde. «Der Mieter mietet das Mietobjekt ausdrücklich nur für die beschränkte Zeit bis zum Baubeginn. Eine Erstreckung über diesen Zeitraum hinaus ist ausdrücklich ausgeschlossen», steht etwa in Marcs Vertrag.
Wie genau Immobilien-Eigentümer wie Coop profitieren – das beschreibt die Branche selbst am besten: Auf der Website von Intermezzo sind die PowerPoint-Folien eines Vortrags von Mietrechtler Marco Giavarini einsehbar. Eine Zwischennutzung könne demnach ein «allenfalls positives Image in der Öffentlichkeit» kreieren, was im Fall von Coop doch recht krachend gescheitert ist. Weitere Vorteile: Generierung von Einnahmen, Pflege des Gebäudes, Vermeidung von Vandalen-Akten. Und immer wieder in diesem Kontext: die Vermeidung einer Besetzung.

Wo, wo Wohnige?!

Szenenwechsel. 80er Jahre in Zürich. Die Globus-Krawalle gelten für viele als Wendepunkt: Progressive Jugend gegen alteingesessenes Bürgertum. Die Stadt brennt. Entzündet hat sie sich zum einen an der Verteilung von Kultursubventionen. Zum anderen vor allem aber auch an der Forderung nach mehr Raum. Das Autonome Jugend Zentrum AJZ wurde erkämpft – und bald wieder geschlossen. Die Rote Fabrik lebt noch heute.
Die heutige Zürcher Sozialdemokratie blickt gern mit einer Mischung aus Nostalgie und Stolz zurück auf diese Bewegung. Nicht wenige ihrer ehemalige Mitglieder sind heute an den Schalthebeln der Stadt angelangt. Zürich hat sich verändert: Vom Bollwerk der Liberalen mit ihren «Glitzerfassaden steinharter Bürgerlichkeit», wie der Spiegel 1984 in einem vernichtenden Artikel schrieb, zu einer «lebendigen und dynamischen kleinen Metropole» – so beschreibt sich die Stadt heute selbst.
Im Fokus der Proteste der 80er Jahre standen nicht nur Kulturzentren, sondern auch Wohnraum: «Wo, wo Wohnige?», fragten die Demonstrant*innen und liessen auf die Globus-Krawalle eine Hochzeit der Besetzungen folgen. Damit artikulierten sie eine eigene Antwort auf die Parolen-Frage, an der Mehrheitsgesellschaft vorbei: Wohnen ausserhalb des kapitalistischen Immobilienmarkts als eine Form des Widerstands. Ohne Gott, Staat oder Mietvertrag. Die Zürcher Besetzungskultur erreichte in den 80er Jahren einen Höhepunkt, der darin mündete, dass der Gemeinderat 1989 entschied, die Stadt übernehme Kosten für Räumungen nur noch dann, wenn ein gutgeheissenes Baugesuch vorliegt.

Als Antwort auf die Wohnungsknappheit und ihre politischen Sprengkraft gewann aber auch eine zweites Konzept an Bedeutung. In seinem Fokus standen dieselben Immobilien wie für die Besetzerinnen. 1983 wurde der Verein Jugendwohnhilfe gegründet, um mit der Vermietung von temporär leerstehenden Immobilien der Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen entgegenzukommen. Die Zwischennutzung wurde institutionalisiert. Noch heute vermietet der Verein unter dem Namen Jugendwohnnetz Juwo rund 1500 Wohnungen an die Zürcher Jugend. Wie eine Geschichtsbroschüre der Studentischen Wohngenossenschaft WOKO berichtet, haben schon damals Spannungen zwischen Zwischennutzerinnen und der Besetzungsszene bestanden. Einmal sei die WOKO sogar besetzt worden. Denn Angebote wie das Juwo waren zum einen zwar ein Entgegenkommen gegenüber der Forderung nach bezahlbarem Wohnraum. Zum anderen boten sie aber eben auch eine (Übergangs-)Lösung des Problems im Sinn der Befriedung: Zwischennutzungen brennen kaum.

Immer weiter an die Ränder

Rund 30 Jahre später, 2011, wird ein scharfsinniger Wirtschaftsanwalt mit einer delikaten Mission beauftragt, wie der Tagesanzeiger berichtete. Raffael Büchi sollte im Interesse der UBS mit den Besetzerinnen einer Liegenschaft verhandeln, um sie loszuwerden. Diese boten der UBS an, einen Gebrauchsleihvertrag zu unterzeichnen und das Gebäude zu verlassen, wenn eine Baubewilligung vorliege. Bei Büchi fiel ein Groschen. Gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern gründete er zwei Jahre später das «Projekt Interim», mit dem er das Konzept der Besetzerinnen zu einem Geschäftsmodell verwandelte. Gezielte Auswahl der Nutzerinnen, weniger Anonymität, mehr Kontrolle für die Eigentümer. Krümel für die Dienstleistungsfirmen. Und in vielen Fällen ganz in der Tradition der Besetzungen: immer noch kein Mietvertrag. Der Begriff der Kommodifizierung beschreibt den Prozess des Zur-Ware-Werdens nach Marx: Die Erschliessung einer Sache oder Dienstleistung durch den zu immer neuen Horizonten aufbrechenden Markt. So geschehen im Fall der Zwischennutzungen in Zürich: Von der Forderung nach mehr Raum – hin zu einem entsprechenden Marktangebot. Die Kommodifizierung stand auch im Fokus des 2019 von Gabriela Debrunner gemeinsam mit Jean-David Gerber veröffentlichten Fachartikel «The commodification of temporary housing». «Paradox ist, dass sich aus der Forderung der Nutzerinnen eine Dienstleistung für die Eigentümer entwickelt hat», sagt Debrunner.

Urbane Asphyxie

Der milliardenschwere Immobilienmarkt hat sein Abfallprodukt für sich entdeckt und prescht vor an die Ränder seiner Stadt. Darunter leiden nicht zuletzt auch gemeinnützige Angebote: «Die zunehmende Konkurrenz ist spürbar», sagt Patrik Suter, CEO des Juwo. Es sei schwieriger geworden, an geeignete Objekte zur Weitervermietung zu gelangen. «Erstmals seit vielen Jahren werden die Anzahl Juwo-Wohnplätze im laufenden Jahr sinken.»
Aber die Folgen der Kommodifizierung von Zwischennutzung reichen noch viel weiter. «Mit der fortschreitenden kapitalistischen Stadtentwicklung bleibt immer weniger Raum für Abweichung», sagt der Stadtsoziologe Luca Pattaroni, der an der EPFL zu Freiräumen, Subkultur und Stadtentwicklung forscht. Er spricht von «urbaner Asphyxie»: von Atemstillstand. «Wir leben in Städten, in denen es kaum mehr Ränder gibt, die Raum lassen für Experimente und kritische Gegenpositionen.»
Das Bedürfnis, solche Gegenpositionen zu vertreten, verschwindet damit freilich nicht. Zwar haben sich Temporär-Verträge auf einem Markt unter Hochdruck im Häuserkampf als effektiver erwiesen als Knüppel und Gummischrot. Aber auch 40 Jahre nach den Opernhaus-Krawallen, dem vermeintlichen Wendepunkt, und der folgenden Machtübernahme durch die Sozialdemokratie ist die Raumfrage in Zürich noch nicht annährend geklärt. Und wer weiss: Vielleicht wird sie unter veränderten Vorzeichen bald neue Formen finden, sich zu artikulieren. Zum Beispiel: Brennen sie doch?

Lukas Tobler ist Redaktor beim selbstorganisierten Zürcher Onlinemagazin das Lamm und arbeitet als freier Journalist.

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