Der Immobilienhandel hat sich seit den 1990er Jahren neu strukturiert. Inzwischen dominieren ihn globale Fonds und Aktiengesellschaften, die sich jenseits vom «bösen Spekulanten» und Hauseigentümerinnen entpersonalisiert haben. Das Geschäftsmodell dreht sich in der Spirale vom Hochfrequenzhandel. Innert einer Stunde können Grundstücke und auch ganze Stadteile mehrmals gekauft, verkauft oder verschuldet werden. Mit dieser «künstlichen Börsenintelligenz» ist verbunden, dass die Immobilie als blosse Zahl existiert, die immer grösser werden will. Weder die Immobilie geschweige denn die Mieterinnen sind bei diesem Geschäftsmodell existent. Um ein Beispiel zu erwähnen: Eine Performancemaschine hat 2019 in einer New Yorker Siedlung mit über 1000 Wohnungen die Mietpreise um 30% erhöht. Der Inhaberin Blackstone, eine der weltweit grössten Immobilienhändlerinnen, ist dabei entgangen, dass die Bewohnerinnen dafür fast ihr gesamtes Einkommen für die Miete aufbringen müssten. Blackstone wurde mit ihrem Realitätsverlust konfrontiert und musste den fiktiven Aktienrun abbrechen.
Auch wenn es sich um einen extremen Fall handelt: Der globale Immobilienhandel bewegt sich in einem Selbstzerstörungsmodus (wie u.a. der Nobelpreisträger Joe Stiglitz feststellt). Solange Deregulierungen und die Niedrigzins-Geldpolitik anhalten, wird dieser Modus sich allerdings latent erhalten und die «Finanzialisierung der Städte» (Saskia Sassen) weiter radikalisieren.

Auf der anderen Seite regen sich Widerstände, wie etwa in Berlin, wo laut Umfragen vom Tagesspiegel über 70 Prozent der Stadtbevölkerung eine Enteignung der Wohnbaukonzerne fordern (über die im Herbst abgestimmt wird). Ähnliche Quoten werden erreicht, wenn Abstimmungen sich um «Das Recht auf Wohnen» (Basel) oder um die Förderung gemeinnützigen Wohnungsbaus (Zürich) drehen. Insofern steht auch die Ökonomisierung der Politik unter Druck, die Stadtpolitik durch Stadtwirtschaft ersetzt hat, und der Förderung und Finanzierung von Standortvorteilen für globale Konzerne den Vorzug gibt.

Reprivatisierung und die Mikrophysik der Deregulierung

In diesem deregulierten Strom sind politische und städtebauliche Lenkungsinstrumente marginalisiert, aufgeweicht oder abgeschafft worden. In vielen europäischen Städten wurde auch städtisches Wohneigentum verkauft und privatisiert – mit der Folge enormer Boden- und Mietpreissteigerungen. Vorhandene Mietbremsen und dergleichen sind weitgehend wirkungslos geworden; sie konnten durch Billigsanierungen oder Ersatzbauten umgangen werden, was die Niedrigzinspolitik gefördert hat.
Mit der deregulierten Stadtentwicklung ist auch ein Mentalitätsbruch innerhalb der Institutionen verbunden. In Zürich galt Stadtplanung noch bis Ende der 1990er Jahre als strategisches Instrument für einen «konzeptionellen Städtebau». Nach städtebaulichen Vorgaben der Behörden wurden öffentliche gegen private Interessen abgewogen und ausgehandelt. Als Grundlage dienten vor allem Gestaltungspläne, deren Bewilligung an gemeinderätliche Beschlüsse und Urnengänge gebunden waren. Dieses und ähnliche Planungsinstrumente stehen nach wie vor zur Verfügung. Nur wurden sie in den letzten Jahrzehnten anders gehandhabt; sie beschränken sich zunehmend auf ein formelles Verfahren, das öffentliche Interessen zurückstellt.
Exemplarisch ist das Sulzer Escher-Wyss Areal, die grösste Industriebrache in Zürich-West. Die Transformation in einen Stadtteil wurde Ende der 1980er Jahre in einem kooperativen Verfahren ausgehandelt vor dem Hintergrund möglicher Zukunftsszenarien für die Stadtentwicklung. Dabei gab es zahlreiche Verhandlungen und Debatten über Perspektiven der Industrie und des Gewerbes, zum Übergang von industriellen in moderne IT-Produktionsformen. Ende der 1990er Jahre wurde schliesslich ein Gestaltungsplan (Herczog Hubeli) genehmigt, der langfristige Zwischennutzungen (mit tiefen Mieten) mit Um- wie Neubauten kombinierte, die Defizite im Quartier behoben und Mischnutzungen ermöglicht haben.
Aktuell, rund 30 Jahre später, stellt sich die Frage nach einer Justierung der Arealentwicklung erneut. Unter anderem, weil vom Kanton eine «Nachverdichtung nach Innen» mit einem Bevölkerungswachstum von 80’000 Personen gefordert wird, um eine weitere Zersiedlung zu bremsen. Damit hat der Kanton die Stadt beauftragt.Insofern sind entsprechende Anpassungen von Stadtteilentwicklungen ein relevantes Mittel, um Nachverdichtungen abzuwägen und zu ermöglichen.

Nachverdichten als Tabula rasa

Nun stellt sich heraus, dass die Stadtbehörden davon ausgehen, dass Nachverdichtungen automatisch geschehen und keiner besonderen Regulierung bedürfen, da Neubauten in der Regel höhere Ausnützung erlauben als Altbauten. Das schafft Anreiz, alte Häuser – in der Regel mit relativ tiefen Mieten – abzubrechen, um sie mit mehr und neuen Wohnungen zu ersetzen, was unter deregulierten Bedingungen eine massive Verteuerung der Mieten zur Folge hat. Dieses Geschäftsmodell wird seit Jahrzehnten umgesetzt, was dazu führt, dass nicht nur Bevölkerungsschichten mit tiefen, sondern auch mit mittlerem Einkommen aus der Stadt verdrängt werden. Selbst Genossenschaften sind im Sog, mit Neubauten den Bestand zu verdrängen bzw. «aufzuwerten» – was zwangsläufig mit höheren Mietpreisen verbunden ist und Niedriglohn-Genossenschafter*innen ausgrenzt.
Die Zürcher Stadtregierung ist seit über zehn Jahren mit der Abstimmung von 2011 konfrontiert, als 73 Prozent der Stimmen mehr gemeinnützigen Wohnungsbau forderten. Nun versucht die Stadt Land zu kaufen und «Kostenmiet-Anteile» bei Grossprojekten auszuhandeln. Auch gibt es die PWG, eine städtische Stiftung für preisgünstiges Wohnen und Gewerbe . An Bemühungen fehlt es also nicht. Gemessen am Gesamtmarkt sind sie allerdings marginal, im besten Fall werden 25-30 Prozent Anteile an gemeinnützigen und städtischen Immobilien erreicht, was – siehe oben – nicht zwangsläufig angemessene Mieten generiert. In Wien weiss man seit 100 Jahren, dass solche Minderheitsanteile nicht genügen, um den Markt für ein «Wohnen für alle» zu lenken. Deshalb beträgt dort bis heute der gemeinnützige Anteil um 65 Prozent, damit der private Markt dominiert werden kann. Natürlich sind auch so nicht alle Wohnungsprobleme verschwunden – aber die Voraussetzungen sind besser, diese zu lösen.

Laut einer ZKB-Studie von 2011 muss über die Hälfte der Zürcher Stadtbevölkerung mehr als einen Drittel des Einkommens für die Miete aufbringen. Heute, rund zehn Jahre später werden es vermutlich 60-70 Prozent der Bevölkerung sein. Die erwähnte marktkonforme
Art der Nachverdichtung führt also zu einer Gentrifizierung, welche die Stadt sozial homogenisiert. Die Unter- und Mittelschicht wird in die Agglomeration verbannt. Das betrifft vor allem Menschen, die in Ausbildung sind oder in der Serviceindustrie arbeiten, deren Anteil an Arbeitsplätzen (Gastro, Unterhalt und andere Niedriglohnjobs) in der Stadt über 30 Prozent beträgt.

Steigende Preise

Miet- und Bodenpreissteigerungen entstehen zum einen durch Wohnungsknappheit bzw. durch einen Nachfrageschock, von dem der Markt profitiert; zum anderen durch Standortaufwertungen und verbesserte Infrastrukturen (und in neuerer Zeit auch durch die Billig-Geld-Politik). In Zürich-West haben Stadt und Kanton seit den 1990er Jahren rund 5 Milliarden investiert, vor allem in Erschliessungen und den öffentlichen Verkehr. Miet- und Bodenpreise haben sich in der Folge verdoppelt, teilweise auch verdreifacht. Überrascht von dieser Entwicklung haben die Kantons- und Stadtregierungen Mehrwertabschöpfungen eingeführt – jedoch viel zu spät. Fast alle Areale in Zürich-West sind ohne relevante Auflagen mit mehr oder weniger maximaler Ausnützung kommerziell verwertet worden. Und in der Stadt Zürich bestehen bis heute keine wirksamen, flankierenden Massnahmen gegen Mietpreissteigerungen, wie etwa eine Mietobergrenze. Das hat zur Folge, dass sich in Zürich tendenziell nur Doppelverdiener und Wohlhabende neue Wohnungen leisten können. Historisch und zivilisatorisch gesehen, kippt die Stadt damit ins Mittelalter zurück, als sie nur reiche Kaufleute bewohnten, während alle anderen vors Stadttor verbannt wurden.

Wohnform und Stadtform

Mit dieser strukturellen Wohnungsnot ist verbunden, dass der freie Markt den demografischen Wandel und veränderte Wohnbedürfnisse ignorieren kann: In der Not ist jede Wohnung begehrt. Das bedeutet, dass das Angebot keinem qualitativen und volkswirtschaftlichen Bedarf entsprechen muss, was sich darin spiegelt, dass immer noch am meisten das Wohn-Schlafzimmer-Küche-Bad-Schema gebaut wird, das sich an der Kleinfamilie aus den 1950 Jahren orientiert. Diese Haushaltform ist in Zürich (wie auch in den meisten anderen Städten) auf einen Anteil um 10 Prozent geschrumpft. Hingegen sind urbane Milieus stark gewachsen und haben sich ausdifferenziert. Gemeinsam ist ihnen, dass sie dem nahen Umfeld einen hohen Stellenwert beimessen: Eine inspirierende Aussenwelt ist ihnen wichtiger als die Wohninnenwelt, das öffentliche Leben in der Stadt wichtiger als der private Rückzugsort – als das eigene «Etui» (Walter Benjamin). Dem widersprechend dominieren die kleinfamiliären Haushaltformen immer noch den Wohnungsmarkt. Das heisst: die grosse Mehrheit lebt in der falschen Wohnform.

Repolitisierung der Stadtentwicklung

Mit der «Verdichtung nach Innen» wäre eine Empfangspolitik erforderlich, welche eine Stadtrückwanderung ermöglicht. Das würde ein sozial durchlässiges Wohnungsangebot voraussetzen. Die Stadtpolitik müsste dazu spezifische Voraussetzungen schaffen und aushandeln, damit Nachverdichtungen Bestandteil der Stadtentwicklungen werden können, um gesellschaftlichen Veränderungen nicht nachzuhinken.
Wie diese Chancen vertan werden, veranschaulicht exemplarisch der oben erwähnte Fall: die grösste ehemalige Industriebrache in Zürich-West, das Sulzer Escher-Wyss-Areal. Rückfragen ergaben, dass die Stadtbehörden keine Vorstellung haben, wie sich dieses Areal weiterentwickeln und allenfalls nachverdichtet werden könnte. Auch nicht, welches planerische Verfahren angewendet werden soll und was Gegenstand der Verhandlungen sein könnte. Mit anderen Worten: Wie und was auf dem Areal transformiert werden soll, ist den Eigentümern vorbehalten – in diesem Fall einem grossen, aktiencodierten Baukonzern, der als Eigentümerin den grossen Arealanteil besitzt.

Eine Repolitisierung der Stadtentwicklung ist nicht nur nötig – sie ist zwingend. Es stellt sich heute nicht die Frage, ob die Städte wachsen, sondern wie. Auch UN-Habitat kommt in ihren weltweiten Stadtanalysen zu diesem Schluss: Rund 80 Prozent der Bevölkerung werden in naher Zukunft in Städten leben. Der Drang, in die Städte zurückzukehren, ist seit Jahrzehnten anhaltend, sozial durchlässig und generationenübergreifend. Nur: was sind die Bedingungen, damit eine Stadtrückwanderung stattfinden kann?
Für städtebauliche Verdichtungsszenarien gibt es kein Ideal – aber Erfahrungen. Zum einen verlangt bauliche Dichte nach ihrer Entdichtung: Eine Perforierung des Stadtganzen mit Parks, Höfen, Brachen und Orten, die dem Nichtstun als Nichtstun dienen. Zum anderen öffnen Nachverdichtungen Chancen. Sie ermöglichen städtebauliche Verfeinerungen: Defizite an Bildung, Dienstleistungen, Läden, Kneipen und Parklandschaften können so ausgeglichen werden. Die Vielfalt an Nutzungen und Versorgung setzt weiter oft bauliche Nachverdichtungen voraus, da eine relativ hohe Bevölkerungsdichte nötig ist, damit die Angebote auch gebraucht werden. Dabei sind kleine Eingriffe – sogenannte Mikroverdichtungen – subtiler und geeigneter als eine Nachverdichtung mit Grossüberbauungen aus redundanten Immobiliengestellen.

Empfangspolitik

Die Kernfrage der Nachverdichtung dreht sich um eine Empfangspolitik. Ob die Stadtrückwanderung überhaupt stattfinden kann, steht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Angebot an Wohnungen. Nicht bloss, ob sie «bezahlbar» sind, sondern ob sie auch dem unterschiedlichen Bedarf und Bedürfnissen entsprechen.
Es gibt ein Mittel, das ein geringes bauliches Wachstum voraussetzt und innerhalb bestehender Städte geeignet ist. Es entspricht eher einem Prozess: wenn Wohnformen in eine andere Stadtform übergehen.
Das ist möglich, wenn Wohnen, Arbeiten, Erholen nicht weiter auf Funktionen beschränkt, sondern als Möglichkeit für verschiedene, wechselnde Tätigkeiten erweitert werden. Ausserdem müssen private mit öffentlichen Räumen anders kombiniert und weniger trennend strukturiert werden. Wenn städtische Öffentlichkeit nicht als «Event» ausgesondert wird, sondern in den Alltag integriert ist. Wenn das Öffentliche sich nicht auf erzwungene Nachbarschaften oder Gemeinschaften reduziert, sondern angereichert ist mit Orten unbekannter Möglichkeiten, die weder Funktionen determinieren noch ausgrenzend einen spezifischen Habitus voraussetzen.

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