Patricija Katica Bronić und Timon Jansen erzählen im Gespräch mit der Fabrikzeitung wie sie mit dem Stück «Diese Nachricht wurde gelöscht.»
das Schweigen des Vaters als Möglichkeitsraum erkunden und inwiefern
die Fiktionalisierung von eigenen Erfahrungen eine gemeinsame
Sprache ermöglicht.

FZ: Was erwartet das Publikum bei dem Stück «Diese Nachricht wurde gelöscht.»?

Timon: Das Stück handelt von einer Tochter, die versucht in einen Dialog mit ihrem schweigenden Vater zu treten. Es spielt mit Fiktion und bezieht das Publikum in eine Situation mit ein, die die Möglichkeiten von Begegnung in festgefahrenen Strukturen erkundet. Eigentlich etwas, was wir wahrscheinlich alle erleben, aber oft übersehen. Diesen Theaterabend haben wir verpackt in eine autofiktionale Erzählung, eine Heldinnenreise.

FZ: Eine Heldinnenreise?

Timon: Uns hat sich die Frage gestellt, was es bedeutet, eine Geschichte zu erzählen, die nicht aus dem Blickwinkel eines mythischen Helden erzählt ist, sondern von einer Frau. Und was es bedeutet, sich als weibliche Heldin in einer Welt der Männer auf Reise zu begeben. An einem Punkt auf der Reise entscheidet sich die Figur der Tochter, mit einem Mann, einem Vater einen Dialog zu starten.

Patricija: Das Publikum erwartet mit diesem Abend keine allgemeingültige Antwort oder Lösung auf anspruchsvolle Vater-Tochter-Beziehungen. Vielmehr ist es ein Wunsch von einem Zusammenbleiben, egal mit wem. Wenn man es ein bisschen kitschiger formulieren möchte. (Lacht)

FZ: Der Titel des Stücks «Diese Nachricht wurde gelöscht.» berührt und löst für mich ein Gefühl der Verunsicherung und eine gleichzeitige Frage nach dieser Leerstelle aus. Was bedeutet der Titel für euch?

Patricija: Die Stille oder Nicht-Kommunikation wird im Chat im Gegensatz zum realen Leben durch die gelöschte Nachricht sichtbar, manifestiert sich. Interessant ist auch, dass die Stille so dennoch versprachlicht wird. Was macht das mit uns? Und können wir das vielleicht benutzen, um nochmals in eine Kommunikation zu gehen und zu fragen: Warum hast du das gelöscht und willst du das vielleicht nicht doch noch teilen? 

Timon: Wenn der Abend «Hallo» heissen würde, dann würde niemand merken, dass da etwas passiert ist. (Lacht) «Diese Nachricht wurde gelöscht.» ist ein Moment der Störung in unserem täglichen Chatverlauf und ermöglicht verschiedene Anknüpfungspunkte. Inwiefern funktioniert unsere heutige Kommunikation mit unseren Eltern über Chats und was bedeutet das eigentlich für unsere Sprache? Was passiert mit all den Nachrichten, die nicht ausgesprochen worden sind? In welchem Raum liegen die eigentlich? Und dass dem Gegenüber auch der Freiraum gelassen werden muss, nicht alles aussprechen zu müssen, auch wenn man sich eine Antwort wünscht. Das ist auch ein Teil des Konflikts, mit dem die Tochter konfrontiert ist. 

FZ: Woher stammt der Stoff des Stücks? Handelt es sich beim schweigenden Vater um eine individuelle oder vielmehr eine kollektive Erfahrung?

Patricija: Wir haben als Team sehr viele Erinnerungen geteilt. Der intimste Moment war für mich, als ich gemerkt habe, dass es im Stück nicht um meinen Vater gehen soll. Er ist kein schlechter Mensch, sondern es gibt einfach eine Schwierigkeit, die wir irgendwie gemeinsam lösen müssen. Und es geht nicht darum, dass Männer per se schweigen oder toxisch sind. Für mich war es sehr gut, dass Timon als Sohn, aber auch als Mann Teil von diesem Prozess war. Weil wir dadurch auch aus unterschiedlichen Perspektiven zusammen über dieses Thema sprechen konnten. Auch Fabrizio, unser Musiker, und Klaus waren in diesen Gesprächen dabei. Sie stehen alle an sehr unterschiedlichen Punkten im Leben. Manche sind selber Väter, andere haben keine Kinder. Alle haben sich die Frage nach diesen Beziehungen gestellt und so für sich, aber auch im Kollektiv bearbeitet. Das war ein eindrücklicher Prozess.

FZ: Wie hat sich der gemeinsame Schreibprozess gestaltet, wenn ihr einen so persönlichen Stoff verhandelt habt? 

Timon: Wichtig war, früh auf eine Sprache zu kommen, in der wir diese Geschichte teilen können. Wir haben sehr viel Material gesammelt und geschrieben. Das gab uns die Möglichkeit über Szenen zu sprechen, auch wenn wir sie nicht selbst erlebt haben. Wir wollten das Geschriebene kritisierbar machen. Und da hilft es, das Material zu fiktionalisieren. Dadurch kamen wir auch auf bessere Inhalte. Die ersten Szenen waren vielleicht privatere, intimere Szenen. Am Ende sind Szenen herausgekommen, die gar nicht mehr so viel mit persönlichen Erfahrungen zu tun haben, aber sie sind dadurch stärker. Ich glaube, wir zwei schreiben grundsätzlich erstmal unterschiedlich. Durch die Fiktion haben wir es geschafft, eine gemeinsame Sprache zu finden. Das war schön.

Patricija: Dadurch, dass wir das Material fiktionalisiert haben, hat es sich verdichtet. Wir konnten nach Bedarf weglassen und verändern, damit es in der Form, in der wir uns bewegen, Sinn macht. Schlussendlich ist so auch von allen ein Teil ihrer eigenen Geschichte drin. 

FZ: Was bedeutet es den Abwesenden, den Schweigenden eine Stimme zu geben? Wer spricht dann? Eine Projektion von uns selbst?

Timon: Das war von Anfang an eine Frage: Wie gehen wir damit um, dass die Figur einfach nicht da ist? Da gibt es verschiedene Strategien. Das Publikum zum Vater zu machen oder in eine ganz andere Bilderwelt zu fallen, um Assoziationen des Vaters entstehen zu lassen. Aber wir bleiben natürlich immer in unserer Perspektive, da kommen wir nicht raus. 

Patricija: Es war eine ganz bewusste Entscheidung, dass der Vater nicht auftaucht. So stellt sich die Frage: Was machen wir in der Situation, wenn das Gegenüber nicht in einen Dialog treten kann? Was sind in diesem Moment unsere Wünsche und Möglichkeiten? Und am Ende bereitet es auch Spass, sich Strategien auszudenken, wie wir die Abwesenheit und das Schweigen genau brechen können.

FZ: Das Stück thematisiert verschiedene Ebenen, die Sprache herausfordern: Kommunikation über zwei Generationen, Kulturunterschiede und Technik. 

Patricija: Es ist schwierig diese Themen zu verhandeln. Migration und Sprache ist seit jeher ein eng verknüpftes Diskursthema. Das würde genügend Stoff für einen eigenen Abend bieten. Wir haben aber immer wieder versucht, dies konkret in der Beziehung zwischen den beiden zu belassen. 

Wie ist das wohl für den Vater, wenn die Tochter mit 12 Jahren für ihn im Krankenhaus übersetzen muss? Wenn sie besser mit bestimmten Situationen umgehen kann, weil sie über die Sprache einen einfacheren Zugang hat? So kippt es immer wieder in der Beziehung zwischen den beiden. Wer hat also welchen Status? Wer fühlt sich wann wohl? Und warum schweigt dann der Vater immer wieder? Um diese Generation des Vaters nicht ganz auszulassen, haben wir uns dafür entschieden, dass dann der Klaus Brömmelmeier noch mit auf die Bühne kommt. Für den letzten Teil. 

FZ: Klaus ist aber nicht der Vater? 

Patricija: Nein, er ist nicht ihr Vater. Es geht eher um die Begegnung mit einem Mann aus einer anderen Generation. Wie können wir zwischen uns eine Gemeinschaft finden, um bestimmte Dinge zu erfahren und erfragen? Wie verbringen wir Zeit zusammen, ohne uns gegenseitig auszuschliessen? Wir leben ja als zwei Generationen trotzdem gleichzeitig auf dieser Welt. 

FZ: Wie werden diese verschiedenen Ebenen im Bühnenbild wiedergespiegelt? 

Patricija: Für das Bühnenbild haben wir mit Laura Knüsel zusammengearbeitet. Unsere ästhetische Inspiration war «Knight Rider», eine Serie aus den 80er-Jahren. Ich habe sie gemeinsam mit meinem Vater geguckt, als ich ein Kind war. Kabel eins, Sonntagnachmittag. (Lacht.) Mein Vater hat damals auch mit Autos gearbeitet, deswegen waren Autos und das Wegfahren eine gute Visualisierung für die Heldinnenreise. Gleichzeitig hat das Bühnenbild auch etwas von einem riesigen Gameboy oder Spieleautomat. Sie ist flexibel und spielerisch. Aber wir müssen sie anmachen, damit sie funktioniert, sonst passiert ja nichts. Daher kommen zum Beispiel die Pneus, die auf der Bühne sind und natürlich der Bildschirm als Kommunikationsmittel unserer Zeit. 

Wir können ganz schön viel sagen, aber manchmal sind gewisse Dinge ohne Worte viel verständlicher. Die Bühne hat uns genau diesen Raum gegeben. 

FZ: Also ermöglicht das spielerische Bühnenbild einen Begegnungsraum?

Timon: Die Bühne hat uns in dieser Form einen Raum zum Denken und Spielen gegeben. Es gab eine Zeit, in der die Tochter und der Vater zusammen gespielt haben. Da war plötzlich alles möglich und das sind auch solche Erinnerungen, die bleiben. In der Fiktion haben wir auch herausgefunden, dass der Dialog keine Sprache ist, um eine Geschichte zu Ende zu erzählen. Das ist nicht immer zufriedenstellend. Wenn wir aber ein Stück gemacht hätten, das alles auserzählt, wäre es ein Märchen geworden. Das wollen wir nicht. Dieser Abend wird zur Begegnung und zum Dialog auffordern. 

Von Paula Steck

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