Nach einer Studie von Psychologen halten Verschwörungstheoretiker aufgrund ihres Misstrauens gegenüber Mächtigen auch einander widersprechende Theorien für möglich.
Anhänger von Verschwörungstheorien sollen, selbst wenn diese eine verschwörerische Wirklichkeit treffen, auch wenn die Interpretation falsch sein mag, eine seltsame Veranlagung haben. Britische Psychologen wollen herausgefunden haben, dass sie in aller Regel nicht kritisch oder skeptisch sind, sondern ein «monologisches Glaubenssystem» ausbilden, das allgemein davon ausgeht, dass die Mächtigen oder gesellschaftlichen Eliten die Allgemeinheit hintergehen. Und diese Grundannahme würde dazu führen, dass sie auch inkompatible Ansichten vertreten, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie vom herrschenden Diskurs abweichen. Das würde auch heißen, Verschwörungstheoretiker aller Art sind hochgradig irrational. Es könnte allerdings auch sein, dass sie selbst widersprechenden Interpretationen zustimmen, weil sie zwar die vorherrschende Meinung ablehnen, aber nicht eine dezidierte Gegenposition einnehmen.
Verschwörungstheorien stellen eine Kritik an der Macht dar, die aber die Ohnmacht eigentlich fortschreibt.
Verschwörungstheorien gedeihen vor allem dann, wenn viel hinter den Türen geschieht und die Menschen den Eindruck haben, von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen zu sein, aber deren ohnmächtige Opfer zu werden. Verschwörungstheorien, die ja oft gar nicht falsch sind, weil permanent Verschwörungen oder geheime Absprachen zur Durchsetzung von Interessen stattfinden, oder die zu Recht nach Möglichkeiten suchen, wie sich Entscheidungen, Erklärungen und Darstellungen deuten lassen, stellen eine Kritik an der Macht dar, die aber die Ohnmacht eigentlich fortschreibt. Denn statt politisch aktiv zu werden und die verschwörerischen Verhältnisse zu verändern, wird lediglich Transparenz und Entlarvung der Mächtigen gefordert. Aber das wäre nur eine andere These.
Interessant ist auf jeden Fall, dass viele «Verschwörungstheoretiker», die man auch weniger verfänglich Skeptiker nennen könnte, rigoros die dominante Erzählung eines Sachverhalts ablehnen und überall Verschwörungen sehen, was heißt, dass sie glauben, die gesellschaftlichen Entwicklungen seien stets das Ergebnis bewusster und autonomer Entscheidungen von Mächtigen. Überdies sollen diese in der Lage sein, die Wirklichkeit wie in Platons Höhlenwelt konsistent vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Das ist eine starke Projektion, die die Ausübung von Macht durch Einzelne in aller Regel überhöht, während die Verhältnisse oft weitaus komplexer und undurchschaubarer, von vielen interagierenden Interessen und Annahmen bestimmt sind.Die Psychologen gehen in ihrer Studie, die in der Zeitschrift Social Psychological and Personality Science erschienen ist, davon aus, dass Verschwörungstheorien auf einem grundlegenden Verdacht gegenüber Mächtigen und damit auf dem Boden einer Ungewissheit entstehen, die gewissermaßen alles möglich macht, was von der herrschenden Erzählung abweicht, selbst wenn sich die alternativen Erzählungen direkt widersprechen.
Um die These zu prüfen, befragten die Psychologen 137 Studenten zum Tod von Prinzessin Diana. Wer der These anhing, dass es einen Geheimdienstplot oder eine Verschwörung von Geschäftsfeinden von Dodi und Mohammed al-Fayeds zur Tötung von
Diana gab, glaubte auch stärker daran, dass sie ihren eigenen Tod nur vortäuschte, um sich mit Dodi aus der Gesellschaft in die Isolation zurückzuziehen. Beides aber gehe nicht zusammen, sagen die Psychologen, Diana könne nicht wie Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig sein. Wer glaubte, dass der britische Geheimdienst hinter dem Tod von Diana stand, glaubte auch eher daran, dass die Mondlandung eine Fälschung war, dass die Regierungen die Existenz von Außerirdischen leugnen oder dass AIDS in einem Labor entstanden ist. Wer jedoch glaubte, dass der Tod von Diana ein Unfall war, hing den Verschwörungstheorien in aller Regel nicht an. In einem zweiten Experiment wurden 102 Studenten über den Tod von Osama bin Laden befragt. Wer angab, dass er schon vor dem Eindringen des Killerkommandos in sein pakistanisches Haus tot war, war auch eher der Meinung, er würde noch leben. Wer an der offiziellen Version zweifelte, war auch eher der Ansicht, das «Verhalten der Obama-Regierung» weise daraufhin, «dass sie irgendetwas Wichtiges oder eine für sie schädliche Information über den Einsatz verbergen».
Da die Regierung und das Pentagon tatsächlich nicht sonderlich offen waren, wären eigentlich eher jene naiv zu nennen, die unkritisch die offizielle Version übernehmen. Und die Regierung nahm zudem in Kauf, dass Verschwörungstheorien entstehen. Warum allerdings die Skeptiker einander widersprechende Szenarien gleichermaßen für gültig erachten, ist eine interessante Frage. Für die Psychologen stehen das grundsätzliche Misstrauen gegenüber den Mächtigen oder gar eine Paranoia hinter dem Hang zu Verschwörungstheorien, deren Anhänger oft notorisch gegenüber Falsifikation resistent seien. Erst das grundsätzliche Misstrauen untergrabe das vernünftige Denken und ermögliche es, dass man gleichzeitig einander widersprechenden Hypothesen anhänge. Die Psychologen vergleichen dies mit dem gerne in der Politik umgesetzten Prinzip, dass «der Feind meines Feindes mein Freund ist».
Allerdings ist die Hypothese der Psychologen von der monologischen Struktur der Verschwörungstheoretiker nicht ganz überzeigend. Sie gehen letztlich davon aus, dass Menschen eine Position einnehmen sollten, die sie gemäß argumentativen Gründen für überzeugend bzw. wahr halten. Zudem sollten sie bestrebt sein, Widersprüche zu vermeiden. So schreiben die Autoren als Schlussfolgerung, was aber eigentlich der Ausgangspunkt ihrer Fragestellung ist:
These results suggest that those who distrust the official story of Diana’s death do not tend to settle on a single conspiracist account as the only acceptable explanation; rather, they simultaneously endorse several contradictory accounts.
Was bei Verschwörungsanhängern, denen bereits unterstellt wird, sie würden nicht nur abweichlerische, sondern unhaltbare Meinungen vertreten, noch als Kritik plausibel erscheint, wäre als Haltung gegenüber einem Sachverhalt, für den es noch keine gesicherte Erklärung gibt, durchaus vernünftig. Man sucht dann nach Erklärungsmöglichkeiten, die sich zunächst auch widersprechen können, und schließt erst dann Alternativen aus, wenn eine richtige oder überzeugende Hypothese bzw. ein solches Narrativ gefunden wurde. Fraglich erscheint zudem, ob Anhänger von Verschwörungstheorien stets einen Schwarm von mitunter sich auch widersprechenden Narrativen für möglich halten. Schließlich ist doch auch ein Wahnsystem vorstellbar, in dem ein Narrativ geglaubt und alle anderen Erklärungen abgewiesen werden.
Erschienen auf Telepolis