Es ist kurz vor Weltuntergang. Das wurde ja schon öfter gesagt, aber diesmal wird’s ernst: Genmanipulierter Raps überwächst alle anderen Pflanzen und zieht Killerbienen heran; im März sind 40 Grad in heimischen Graden und statt Fleisch gibt’s Quallenlasagne aus der überbordenen Qualleninvasion. Frauen haben die politische Weltmacht übernommen – naja eigentlich wurde sie ihnen von den Männern dankend übergegeben, als klar geworden war, dass da nichts mehr zu machen ist.
Die durch krebserregende Pillen auf Twentysomethings verjüngte Menschheit mit gummielastischer Haut baut sich Bunker im Keller ein, um die drohenden Naturkatastrophen zuhause vor dem Fernseher überstehen zu können, bis die Essenskonserven aufgebraucht sind. Laut wissenschaftlichen Schätzungen bleiben der Erde noch fünf Jahre. So die Voraussagen für 2031 in Karen Duves Roman ‹Macht›.
Es ist kurz vor Weltuntergang.
In Zeiten, wo man in Berlin Zombie-Apokalypse Kurse buchen kann, in denen pfadfinderische Basics wie Feuermachen oder Schlösser knacken gelernt werden, und wo die ständige Flut lebensbedrohlicher Ereignisse wie Attentaten in der Nachbarsstadt oder die atomare Aufrüstung Amerikas bis zum «tippie-top» einen ähnlichen Schreckensmoment hervorrufen wie die Einsicht, dass man dem Onenightstand gerade verschimmelten Toast zum Frühstück gemacht hat – oh scheisse, ich hoffe wir sehen uns nie wieder – und die Zeugen Jehovas fröhlich in dunkelroten Mänteln von Tür zu Tür tingeln, mit immer mehr und immer jüngeren Mitgliedern – in unseren Zeiten also ist der Weltuntergang ja sowieso schon eine gewohnte Nebenerscheinung im täglichen Leben.
Abstrakt ist er ja schon lange nicht mehr: Es ist März und wir haben fünfundzwanzig Grad. Zivildienstler reissen monatelang invasive Schädlingspflanzen aus, die sich munter weiterverbreiten. Deine Tante botoxt sich ihr Gesicht ein, bis du beim nächsten Weihnachtsdinner mehr Falten im Gesicht hast als sie. Die Schweiz hat Bunker für alle Bürger*innen gebaut, nur so im Falle, äh, dass man sie eben braucht. Meine Mittzwanzigerfreunde reden davon, ihr Sperma einzufrieren, weil es vielleicht bald mehr funktionieren könnte, da hormonähnliche Weichmacher in Plastikflaschen schwimmen. Und alles verursacht Krebs. Future never looked so un-bright. And now, the weather.
Future never looked so un-bright.
Während ich nicht denke, dass der möglicherweise drohende Weltuntergang allein den Männern geschuldet ist, was zu implizieren Duves Werk vorgeworfen wird, so sind es doch die Geschichten von starken Frauen, die Hoffnung machen: Frauen, die gegen Genitalverstümmelung an Mädchen kämpfen; Frauen, die gegen Trump mobilisieren; Frauen, die gegen Mädchen- und Menschenhandel kämpfen; arabische Frauen, die gegen Terrorismus kämpfen und Fahrrad fahren lernen.
Dabei fällt auf: Viele dieser starken Frauen, die von der Welt gerade emporgehoben und gefeiert werden, lösen einen von Männern verursachten Ärger. Angela Merkel, die «Mutti», wird als neues Oberhaupt der freien westlichen Welt gehandelt, während Trump im Wahnsinn schwelgt; Theresa May soll David Camerons Brexitdebakel aushandeln; Marine le Pen übernimmt die Führung des rechts-extremen Front National, kickt ihren Vater aus der Partei und führt sie zu nie erreichten Höchstzahlen. Sogar Trumps Beraterin Kellyane Conway muss die von Trump und seinem Pressesprecher Sean Spicer verbreiteten Lügen und Unwissenheiten zu verteidigen versuchen, indem sie diese als «alternative facts» verkauft.
Viele Frauen, die von der Welt gefeiert werden, lösen einen von Männern verursachten Ärger.
Von links bis rechts durchs politische Spektrum wird Frauen die Macht übergeben, nachdem mann den Karren an die Wand gefahren hat – ganz wie ein pubertierender Jugendlicher, der nach dem ersten WG-Rauswurf dankend wieder bei Mama einzieht und sich von ihr die ausstehende Miete bezahlen lässt: Mama wird’s schon regeln. Aber erst, wenn ich schon wirklich, wirklich Scheisse gebaut habe.
Dafür ist mann in Duves Roman aber nicht dankbar: Protagonist Sebastian, nach aussen Feminist und Umweltschützer, sperrt seine erfolgreichere Frau kurzerhand in den Schutzbunker im Keller, damit sie sich wieder dem Recht des natürlich Stärkeren biegen muss, also seine Lieblingskekse bäckt und ab und zu von ihm vergewaltigt wird. Und der pubertierende Boy wird wahrscheinlich am gleichen Abend noch seine Mama anmotzen, dass sie ihm zu wenig Freiraum lässt.
Mama wird’s schon regeln.
Die Frage ist nur: Was lässt sich dagegen machen? Schliesslich will frau ebensowenig, dass ihr Kind auf der Strasse landet, wie frau sich nach politischen Katastrophen zurücklehnen und sagen kann: Easy, das war dein Fehler, lassen wir die Welt halt untergehen – ich als Frau werde das jetzt nicht für dich geradebiegen. Wir haben nunmal nur diese eine Welt, in der Frauen und Männer, Schuldige und Unschuldige gleichermassen zusammenleben müssen.
Vielleicht hätte Trump ja Conway als Pressesprecherin engagieren sollen (dass man statt Trump hätte Clinton wählen müssen, ist wahrscheinlich mittlerweile allen klar); vielleicht sollte man den von Männern angezettelten Kriegen in Afghanistan, Irak, Iran und afrikanischen Ländern die Schuld geben und diese Konflikte zu lösen versuchen, statt «Merkel muss weg!» zu schreien; vielleicht sollte man statt Sobotka und Kurt Frauen gewählt haben; und warum genau haben sich Blocher und Köppel so lange im Amt gehalten oder tun es noch? Warum können wir Frauen nicht stark und einflussreich sein lassen, bevor Männer versagt haben?
Vielleicht sollte man Frauen gewählt haben.
Nein, es sind nicht die Männer, welche die Apokalypse hervorrufen. Nein, Quoten führen nicht zum Staatsfeminismus, und Nein, eine Stärkung der Position der Frauen führt nicht (zwangsläufig) dazu, dass Männer ihre Ehefrauen in den Keller sperren und vergewaltigen. Sehr wenige Männer sind wie Sebastian, genauso wenig wie wahrscheinlich – hoffentlich! – niemand ähnlich dumm und gefährlich wie Trump ist. Aber um uns nicht mit Frauen wie Marine Le Pen herumschlagen zu müssen, die einspringen, wenn die Krise eine Chance bringt, müssen wir jetzt anfangen, Frauen eine angemessene Position zu ermöglichen. Weil wie im Roman Realität gewordene CO2 Punkte auf Fleisch, Benzin und Flüge Sinn machen. Weil es besser ist, einen Gegenpol zu haben, der sagt: «Das ist eine dumme Idee», als nach Katastrophen zu verschwinden, um derjenigen die Verantwortung zu überlassen, die bis dahin unsichtbar im Hintergrund bleiben musste. Und weil eine offene, freie Wahl, wen man als Menschen, als Partner*in, als Chef*in, als Politiker*in besser findet, die Wahrscheinlichkeit einer Wahl für das geringere Übel schmälert.
Und schliesslich, weil Duves Buch nur vorgeworfen wird, männerhassend zu sein. Anstatt darauf einzugehen, dass Klimawandel, Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, häusliche Gewalt und fragwürdige gesundheitsschädigende medizinische Neuerung dringende Themen sind, die jetzt verhandelt werden müssen.