Es hätte ein Schnitt sein sollen. Daraus wurden jedoch zwei. Mir gefiel diese Symbolik.
Am 1. Oktober 2012 teilte ich auf Facebook folgende Statusmeldung:
«frühstück nach der vasektomie (eher zufall: am ersten tag, an dem ich nicht mehr im cabaret voltaire arbeite)»
Dazu teilte ich das Bild vom Tablett mit einem kümmerlichen Spitalfrühstück, das vor mir über dem Bett lag.
Ja, eigentlich war es Zufall. So weit ich mich erinnern kann, wurde dieser Termin nämlich festgelegt, bevor ich wusste, dass ich das Cabaret Voltaire verlassen muss. Aber eben, die Symbolik… Wobei ich da nicht zu viel darüber nachdenken möchte. Denn meine Arbeit war auch danach noch fruchtbar – oke, schlechter Scherz, pardon.
Apropos «nachdenken»: Mit der Unterbindung ist es wie mit der Entbindung. Wer zu viel nachdenkt, macht es nicht. Genau so darf Mann sich auch vor der Vasektomie nicht zu viel Gedanken machen.
Weil ich mir jedoch im Leben zu vielem viele Gedanken mache, versuche ich meinen profanen Alltag so einfach wie möglich zu gestalten. Ich gehe zum Beispiel gerne immer ins selbe Café. Oder eben: Ich lasse mich unterbinden. Dann ist wenigstens das geregelt.
Klar, die Umstände machten es mir einfach. Ich bin das zweite Mal verheiratet und habe mir zwischen den beiden langen Beziehungen die Hörner ordentlich abgestossen (ho-ho-ho). So gesehen muss ich mir nichts mehr beweisen. Auch fand ich, dass ich mich eher zu spät um Nachwuchs bemüht hatte. Der Altersunterschied zu meinem jüngeren Kind beträgt satte 40 Jahre. Und die zwei Kinder aus meiner aktuellen Beziehung sind ein Junge und ein Mädchen. Weshalb das in diesem Moment nicht unwichtig war, merkte ich erst später.
Weil ich von Beginn weg auf Facebook offenherzig meine Vasektomie kommunizierte, wurde ich zur Anlaufstelle von Facebook-Freunden, die mehr dazu wissen wollten. Das war auch meine Absicht: Aufklärung.
Einer dieser Freunde schrieb, dass ihm die Entscheidung schwer falle, obwohl er eigentlich dazu bereit sei. Er sei glücklich mit seiner Frau zusammen und möchte auch nicht noch mehr Kinder. Aber er fände es halt schade, dass seine beiden Kinder Jungs seien. Da merkte ich, dass mich dieselbe Situation wohl auch etwas verunsichert hätte.
Aber eben: Wer zu viel nachdenkt, der hat verloren. Denn der Gewinn ist riesig! Durch eine Vasektomie entsteht eine Art innere Ruhe. Es beruhigt ungemein, dass Mann dieses Thema abgeschlossen hat. Und weil ich mich bereits davor um die Verhütung kümmerte, war es auch befreiend, keinen Gummi mehr benutzen zu müssen.
Der Gewinn ist riesig!
Das einzige, das mich beim Schreiben dieses Textes ärgert, ist, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, wie ich überhaupt auf die Idee kam, mich unterbinden zu lassen. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich keine Argumente fand, die dagegen sprechen. Im Gegenteil: «Meine» Urologin liess sich zwei Jahre vor meiner Opration im Tages-Anzeiger folgendermassen zitieren:
Tagi: Welche Männer lassen sich unterbinden?
Miriam Huwyler: «Das sind meistens eher gut ausgebildete, moderne und aufgeschlossene Männer, die bereits Kinder haben und verstehen, dass ihre Partnerin genug davon hat, die Pille zu nehmen. Die wissen auch, dass ein Samenerguss nach einer Vasektomie immer noch ganz normal möglich ist. Umgekehrt gesagt: Männer mit einem machohaften Verständnis von Männlichkeit wünschen kaum eine Vasektomie.»
Bei der Vorbesprechung zum Eingriff zweifelte sie jedoch kurz an meinem Bildungsstand und lachte mich ein bisschen aus. Ich nahm alles derart auf die leichte Schulter, dass ich dachte, nach der ambulanten Operation – die übrigens rund CHF 800.- kostet und von der Krankenkasse meistens nicht übernommen wird – mit dem Velo nachhause fahren zu können. Sie bestand sogar darauf, dass mich danach jemand abholen soll. Und das mit dem Velofahren war noch wochen- wenn nicht sogar monatelang kein Zuckerschlecken. Es machte sich im Schritt ständig ein leichtes, fieses Ziehen bemerkbar.
Die Operation als solche war jedoch ziemlich unspektakulär. Ich war froh, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen, erstens freiwillig und zweitens nur sehr kurz im Spital sein musste. Der ganze Aufenthalt verlief extrem professionell und ruhig. Das einzig Unangenehme war ein sehr kurzes aber heftiges Ziehen auf jeder Seite. Diese Schmerzen wären für mich lange kein Grund für eine Vollnarkose. Nach ein paar Stunden war der Spuk vorbei.
Am 31. Oktober 2012, also 30 Tage später, teilte ich auf Facebook folgende Statusmeldung:
«nach einer vasektomie ist das ejakulat nach rund 30 orgasmen spermienfrei.»
In Wahrheit dauert es jedoch oft viel länger, bis das Ejakulat endgültig und garantiert spermienfrei ist. So leider auch bei mir. Am 19. Januar 2013 teilte ich auf Facebook folgenden Status:
«ich muss in die verlängerung #vasektomie»
Sprich: Nach drei Monaten und unzähligen Orgasmen musste ich nochmals drei Monate warten und möglichst oft an mir Hand anlegen (lassen). Inzwischen sind mehr als drei Jahre hin und ich habe diesen Eingriff keine Sekunde bereut. Im Gegenteil: Ich geniesse die neue Freiheit, ohne weitere (Klein-)Kinder und ohne Gummi.