Die Zwangsversetzung von Filippo Leutenegger ins Schuldepartement war eine kleine Explosion im Zürcher Politibetrieb. Paradoxerweise war Leuteneggers Wutausbruch an der Pressekonferenz ein Bruch ebenjener Konkordanz, die er beschwören wollte. Es stellt sich die Frage, was er damit eigentlich bezwecken wollte.
Es war einer dieser seltenen Momente bei Pressekonferenzen, bei denen etwas geschieht, das man so nicht vor-
aussehen konnte. Die News im Kern der Konferenz hatte man natürlich schon: Ein Wechsel der Departemente bei einzelnen Stadträten hatte sich angebahnt – der Tages-Anzeiger hatte schon im März geschrieben, dass sich Filippo Leutenegger «ernsthaft einen Wechsel ins Schul- und Sportdepartement überlege». Und dass Richi Wolff nach den internen Querelen um den Umgang mit Hausbesetzern (und der unheiligen Frage um persönlichen Ausstand) eventuell das Departement wechseln müsste, war auch kein Geheimnis.
Die Bekanntgabe war also eigentlich nur noch eine Formalität. Was man so nicht erwartet hatte, war, dass Leutenegger vor laufenden Kameras mit dem Rest der Stadtregierung abrechnen würde. Er sei «gegen meinen Willen in dieses Amt versetzt worden», liess er verlauten und stellte damit auch klar, dass die vorgängigen Spekulationen nicht von ihm selber genährt worden waren. Doch das war noch nicht der überraschende Teil – vielmehr setzte er in der Folge zu einer veritablen Tirade gegen die Rot-Grüne Mehrheit im Stadtrat an, die diesen «massiven Schritt» aus «politisch-ideologischen Gründen» gewagt habe. Und dann beschwor er jene mythische «Konkordanz», mit der schon die SVP im Zusammenhang mit den Wahlwirren von Christoph Blocher in den Bundesrat immer argumentiert hatte: «Konkordanz lebt letztlich auch davon, dass man starke Minderheiten…» – das fehlende Verb hätte wahrscheinlich «respektiert» sein sollen, doch Leutenegger driftete mitten im Satz ab und erinnerte die Anwesenden stattdessen daran, dass die FDP die einzige Nicht-Linke Partei im Stadtrat sei.
Nun, dass die Departementszuteilung auch eine Frage von Mehrheiten ist, ist allgemein bekannt und somit ist es nur logisch, dass diese auch gegen den Willen einer Minderheit geschehen kann. In St.Gallen beispielsweise geschah dies dem parteilosen Architekten Markus Buschor genauso, der seinen ganzen Wahlkampf darauf ausgelegt hatte, dass er als Fachperson perfekt geeignet dafür sei, die städtische Baudirektion zu leiten – stattdessen wurde ihm vom Stadtrat (gleich wie nun Leutenegger) die Schule aufgezwungen.
Ein Mitglied einer Regierung ist grundsätzlich dem Amt und der Bevölkerung und eben nicht mehr der Partei verpflichtet
Das gehört zur Politik dazu. Unsere typisch schweizerische Form der grossen Koalition – eben jene oben erwähnte Konkordanz – basiert ja eben darauf, dass alle möglichen parteipolitischen Konstellationen innerhalb einer Regierung entstehen können. Daraus ergeben sich gewisse Grundsätze, zum Beispiel derjenige der Kollegialität – was nichts anderes heisst, als dass ein Mitglied einer Regierung die Entscheide des Gesamtgremiums in der Öffentlichkeit vertritt, egal ob er oder sie innerhalb des Gremiums diese Entscheide unterstützt hat oder nicht. Und ein zweiter ungeschriebener Grundsatz basiert darauf, dass ein Mitglied einer Regierung grundsätzlich dem Amt und der Bevölkerung und somit eben nicht mehr der Partei verpflichtet ist. Was natürlich nicht heisst, dass ein Mitglied einer Regierung eines Bundesrats seinen parteipolitischen Hintergrund komplett abstreifen muss – nur eben, dass man sich dazu in der Öffentlichkeit nur noch mit grösster Zurückhaltung bekennt.
Mit seinem Ausbruch hat Leutenegger gegen beide dieser Prinzipen verstossen – zwar nicht ganz unvorbereitet, wie man den Voten und Reaktionen seiner Mitstadträte in der Pressekonferenz ansah (Corinne Mauch gab sich sichtlich alle Mühe, während Leuteneggers Sermon verständig zu nicken), aber dennoch scheint der Konsens innerhalb des Stadtrates nachhaltig beschädigt. Kein Wunder, sagten Mauch und Leutenegger ein kurz darauf geplantes gemeinsames Gespräch bei Tele Züri ab: Zu gross die Gefahr einer Eskalation, einer weiteren Polarisierung – und für Mauch, die aufgrund ihres Amtes einem grösseren «präsidialen Zwang» unterliegt, war die Gefahr zu gross, dass Filippo weitere Vorwürfe macht, auf die sie nicht reagieren kann, und er sich somit weitere Underdog-Sympathien einheimst gegenüber der «Machtdemonstration» der rot-grünen Mehrheit.
Wenn Leutenegger bemängelt, dass er im Stadtrat keine FDP-Politik machen darf, zeigt er, dass er seine Position als FDP-Lobbyist innerhalb der Regierung versteht und nicht als Mitglied einer Regierung
Dass Leutenegger auf die Partei spielt, ist jedoch doppelt gefährlich. Einerseits haut er damit den Sack, wenn er eigentlich den Esel meint: Sein Vorwurf, insbesondere die SP sei aus «ideologischen Gründen» unzufrieden mit seiner Verkehrspolitik, greift zu kurz – denn es sind nicht einfach nur die linken Parteien, welche eine ökologische Verkehrspolitik verfolgen. Wie sich an jeder Abstimmung in den letzten Jahren gezeigt hat, will die Zürcher Stadtbevölkerung eine solche Politik – ganz im Gegensatz zum Kanton. Wenn Leutenegger also bemängelt, dass er im Stadtrat keine FDP-Politik machen darf, zeigt er, dass er seine Position als FDP-Lobbyist innerhalb der Regierung versteht und nicht als Mitglied einer Regierung, die zuallererst im Auftrag der Mehrheit der Bevölkerung zu handeln hat.
Dies mag ihm zwar Sympathien bei bürgerlichen WählerInnen verschaffen. Allerdings beweist er damit aber auch, dass er wahrscheinlich ungeeignet ist für jenes Amt, dass er eigentlich sowieso viel lieber hätte: Jenes des Stadtpräsidenten. Der Unterschied zwischen einer Grossstadt wie Zürich und einer kleineren (Land-)Kommune, in der die Präsidenten häufig die einzigen sind, die als Vollzeitpolitiker amten, besteht vor allem darin, dass das Amt des Stadtpräsidenten weniger mit zusätzlicher Macht und vielmehr mit zusätzlichen Repräsentationsaufgaben befrachtet ist – wie will er in dieser Rolle die Entscheidungen eines immer noch rot-grünen Stadtrates vertreten, wenn er es als einfacher Stadtrat schon nicht schafft?
Aber vielleicht ist ja alles gar nicht so schlimm. Natürlich betreibt Leutenegger vorgezogenen Wahlkampf, wenn er sich so zwischen Partei und Amt positioniert. Aber niemand kann daran zweifeln, dass er clever genug ist, sich nicht für unverwundbar zu halten. Denn längerfristig wird es nie belohnt, wenn ein Exekutivmitglied aus der Reihe tanzt. Diesen Fehler machte einst Christoph Blocher, der als Bundesrat gleichzeitig noch Partei- und Oppositionspolitik machen wollte. Das Resultat ist bekannt: Er wurde abgewählt – und seine Partei spaltete sich. Will Leutenegger nicht dereinst dasselbe Erbe eines polternden Stammtischopas erben, wird er lernen müssen, im Zweifelsfall einmal nichts zu sagen, egal wie gross sein Ärger ist.