So fängt es an. Jede*r kennt Vertigo.
Wir hatten in unserem Garten einen Reifen an einem Baum hängen. Den haben wir immer maximal aufgedreht und dann losgelassen.
Ich muss zwei oder drei gewesen sein. Ich bin auf dem Deich gelaufen, Teer und dazwischen Steine, recht grobes Material. Ich hatte eine grosse weisse Muschel gefunden und ich war so aufgeregt. Und ich renne hinter den Eltern her mit dieser Muschel in der Hand… und falle… Knie kaputt, Muschel kaputt, dieser eine Moment, und alles ist schon wieder fort.
Ich hab‘ Velofahren gelernt in Holland. Wir haben eine Tour gemacht und ich wusste, das muss jetzt klappen, ich will diese Stützräder nicht mehr. Und dann kam dieser Seitenwind und hat mich einfach so in den Graben geschüttet. Ich mach die Augen auf und guck den Himmel an, das Velo noch zwischen den Beinen.
Ich hab‘ Velo fahren gelernt in unserer Einfahrt. Die war abschüssig. Ich steig auf, lass die Räder rollen, Füsse auf den Pedalen, das Herz rast, es beginnt zu schlingern, erst klein, dann immer doller. Und rumms, beide Knie aufgeschlagen, Velo kaputt. Tränen. Aber danach konnte ich’s.
Es war Ansegeln mit grossem Fest und dem ganzen Verein. Ich mit meinem neuen Segelboot, Bootsklasse «kleiner Optimist», vom Sparbuch gezahlt, der hiess Hippo, blau, hab ich selbst angestrichen. Wind und Wellen auf dem See, hundert Meter raus, umgekippt. Ich im Wasser und schreie nach Papa. Das waren Anfang und Ende meiner Segelkarriere.
Wir nennen es die Käfergeschichte. Sehr viele Erdbeer-Margarithas. So viele, dass wir die Rechnung nicht zahlen konnten. Raus aus dem Lokal. Tür aufgemacht. Ins Freie getreten. Einmal eigeatmet und umgefallen. Auf allen Vieren an Zäunen und Geländern langgekrochen nach Hause. Vor Lachen kaum Luft gekriegt. Rechnung haben wir am nächsten Tag bezahlt, stone-faced, als wenn nichts gewesen wäre.
Ich hatte den schlimmsten Kater meines Lebens auf einem Segelboot. Wir waren zu fünft und haben 35 Mai Tais
getrunken. Also durchschnittlich sieben Mai Tais pro
Person. Ich kann mich an Musik erinnern, und dass ich spätabends an der Hafenmauer sass, und dass ich das schwankende Boot angeguckt hab und an diese Festig-
keit der Hafenmauer im Rücken. Das hat mir irgendwie
geholfen.
Es fängt an mit einem Flimmern, als hätte man in eine zu helle Sonne geguckt. Und dann weiss ich, jetzt hab‘ ich nur noch soundso viel Zeit und dann sehe ich gar nichts mehr und dann muss ich irgendwo sein, wo ich sicher
bin. Dann kommt der Moment, wo ich mich nicht mehr orientieren kann, weil dann alles nur noch flimmert.
Ich weiss, dass da irgendwelche Dinge sind im Raum,
aber das war’s. Ich weiss, es dauert eine halbe Stunde, dann geht alles wieder weg und dann kommen die Kopfschmerzen.
Der klassische Blutdruckabfall. Wenn du lange unten warst, aufstehst und dann wird’s dir so schwarz und du weisst, ich muss nur zwanzig Sekunden durchhalten und dann ist es wieder weg. Aber du denkst in dem Moment, ich kipp um.
Einen Moment, da hab ich wirklich den Boden unter Füssen verloren. Mit der Nachricht vom Selbstmord einer Freundin. Ich hatte mein Handy zwei Tage nicht eingeschaltet und dann hab ich gesehen, dass eine Freundin tausend Mal versucht hat, mich anzurufen. Und dann
hab ich zurückgerufen und sie hat mir am Telefon gesagt, dass Mona sich umgebracht hat und dann war ich so in diesem ganzen Trubel drin und bin einfach zu Boden gegangen. Das war mein erster Reflex, raus und runter auf den Boden.
Ich sass beim Essen mit Freunden und dann hat’s an der Tür geklingelt und ein Freund kam mit der Nachricht, dass Tim tot ist. Ich bin aufgestanden und dann sind wir einfach gegangen. Wir sind gegangen, immer weiter gegangen. Wir konnten uns nicht hinsetzen, wir mussten immer weitergehen. Die ganze Nacht.
Es gibt so Tage, da wach ich auf und da ist es mir einfach schwindlig. Und ich weiss nicht warum. Und am nächsten Tag ist es wieder weg.
Ich bin als kleines Kind oft verloren gegangen. In der Fasnacht auf der Messe, die Erwachsenen laufen weiter und du bekommst es nicht mit.
Ich bin in Belgien verloren gegangen, in Spa, beim Autorennen. Und dann war ich plötzlich weg.
Du weisst während der Panikattacke, dass es keinen Sinn macht, aber du hast sie trotzdem. Das ist wie ein Konflikt mit der Realität, du weisst, es kann nicht sein. Ich schwim-
me im See und dann ist da die Überzeugung, da ist ein Haifisch hinter mir her und ich spür das mit meinem ganzen Körper. Der Kopf weiss, da ist kein Haifisch, das ist der Zürichsee.
Ich habe in Wohnungen so Zustände. Ich denke, da ist was unterm Sofa und wenn ich da noch lange hingucke, dann sehe ich es. Und wenn ich das noch dreimal denke, dann kommt es da raus.
Ich guck dann unters Sofa.
Als ich mal LSD genommen habe, dachte ich, ich hab‘ alles vergessen, alles, was ich jemals wusste. Dann dachte ich, meine Güte, was mach ich denn jetzt? Ach, gehste mal aufs Klo, dachte ich, und dieser profane Moment, der hat’s gebrochen. Seitdem weiss ich, das ist alles Einbildung. Du musst dir sagen vor ‘ner Viertelstunde war doch noch alles ok. Und dann musst du atmen.
Atmen ist alles.
Ja, atmen ist alles.
Wenn ich drüber nachdenke, dass mein Herz schlägt, hab‘ ich sofort Angst, dass es aufhört. Scheisse.
Diese Nervosität.
Mir passiert das manchmal, dass ich einfach eine Stufe verfehle oder was umschmeisse und dann bin ich überrascht, kennt ihr das? Plötzlich stimmt die Dimensionen im Raum nicht mehr. Die Sachen standen doch gerade noch 10 Zentimeter weiter rechts, die Stufe war doch
da vorne.
Das sind diese Störungen. Kleine Fehler im System.
Das Déjà-vu ist kein Déjà-vu. Das Hirn hat eine gewisse Taktung und manchmal kommt’s aus dem Takt raus und du denkst, du hast das schon mal erlebt, aber du hast es erlebt vor diesen drei Sekunden.
Aber diese Momente, wo du an jemanden denkst, und dann ruft dich dieser Mensch in diesem Augenblick an.
Das ist absolute Einbildung, denn der ruft tausendmal an, ohne dass du an ihn gedacht hast. Nein wirklich, das ist ein bekanntes Phänomen. Ich war auch enttäuscht.
Oder du triffst jemanden am Ende der Welt und denkst so, das kann doch nicht sein. Jetzt steht diese Delia da vor dir und es macht keinen Sinn. Naja, die hat halt auch ‘ne Vietnamreise gemacht, so abwegig ist das nicht.
Bei mir verschiebt sich dann kurz die Landkarte. Erst denke ich, ist doch klar, dass diese Person da ist und dann merke ich, nee wir sind ja einem ganz anderen Ort.
Aber ist das Vertigo?
Ich war noch nie ohnmächtig.
Wenn man bei was erwischt wird was einem sehr peinlich ist, dann kriegt man ja auch so einen heissen Kopf.
So ein Schauer, der dann hier so runtergeht.
Oder rauf. In den Kopf.
Wenn ich irgendwas erzählt hab, und ich wollte das gar nicht erzählen. Scheisse! Wieso habe ich das gesagt, wieso ist das jetzt in der Welt?
Bei mir zurrt sich die Wahrnehmung zusammen als wäre ich in einer Glocke. Da surrt es so auf die Ohren drauf.
Wenn ich Schwindel habe, dann zieht das hier innen die Schenkel hoch.
Ich dreh mich raus.
Mein Panik Modus ist low low low.
Alles verlangsamt sich.
Attention!
Countdown is running.
Main engine start.
Ignition VERTIGO booster and lift off!!
Komm ins Fabriktheater!
Steig auf die Maschine!
Gute Fahrt!
Von OH!Darling
Premiere: 20. April 2023
Aufführungen: 21. / 22. / 23. / 26. / 27. / 28./ 29. April 2023
Startzeiten jeweils um 19.00 / 20.00 / 21.00 Uhr,
am 23. April 2023 um 17.00 / 18.00 / 19.00 Uhr
Dauer: 60 Min
Fabriktheater Rote Fabrik Zürich