Nur etwa sieben Prozent der Hunde in der Schweiz sind krankenversichert. Für den Rest gilt: Bist du krank und ist dein Mensch gerade nicht flüssig, wirst du nicht behandelt. Das ist ungerecht, findet Tierphilosoph und Aktivist Nico Müller. Er plädiert für eine öffentliche Tierkrankenversicherung.

«Wie behandle ich Preisnörgler, Rabattierer und andere schwierige Zeitgenossen?» fragt ein Webinar des Anbieters Vetinare. Das Zielpublikum sind Kleintierärzt*innen. Denn entgegen allen Klischees verhätscheln längst nicht alle Hündeler*innen ihre Lieblinge, behandeln sie als Familienmitglieder und würden alles für sie tun. Das können sich gar nicht alle leisten.

Laut dem Zürcher Tierschutz muss man bei einem Hund mit einem Geldaufwand von mindestens 1200 Franken im Jahr rechnen. Aber jeder Hund – wirklich ausnahmslos jeder – kann auch plötzlich mehr kosten. Eine komplizierte Bissverletzung, die operiert werden muss, kann gut und gerne 3000 Franken kosten. Und entwickelt ein Hund eine chronische Erkrankung wie eine Allergie, können schon nur Spezialfutter und Medikamente vierstellige Beträge im Jahr wegfressen.

Mit dem Thema Mittelknappheit sei sie tagtäglich konfrontiert, erzählt mir eine Tierärztin. Jede Veterinärin habe Kundschaft, die nicht zahlen will oder kann. Manchmal führe das bloss zu Nörgelei, der Preis sei zu hoch. Manchmal auch zum Vorwurf, die Tierärztin sei geldgierig und kaltherzig. Manchmal führt es zum Nichtbezahlen, zur Verweigerung der Behandlung oder dem Wunsch nach Einschläferung.

Von Verhätschelung kann in solchen Fällen nun wirklich keine Rede sein. Im Gegenteil: Es ist fraglich, wie gut die medizinische Grundversorgung für Hunde in der Schweiz sichergestellt ist.

Leidende Tierärzt*innen

In genaue Zahlen lässt sich die Problematik der Mittelknappheit in Tierarztpraxen leider nur schwer fassen. Niemand erhebt, wie viele Behandlungen aus Kostengründen unterlassen oder minimiert werden. Man macht es, ohne darüber Buch zu führen.

Relativ gut dokumentiert ist jedoch, was Preisstreitigkeiten, verweigerte Behandlungen und kostenbedingte Einschläferungswünsche bei Tierärzt*innen auslösen. Nämlich, oh Wunder, Stress.

Genauer gesagt handelt es sich um sogenannte «moralische Stressoren». Damit sind Erlebnisse gemeint, die psychisch belastend sind, weil sie ein Unrecht oder ein ethisches Dilemma enthalten. Es tut Menschen nicht gut, aus blossen Kostengründen über Leben und Tod eines Tiers entscheiden zu müssen. Gemäss einer australischen Studie mit über 500 Veterinär*innen leiden Menschen ganz besonders in diesem Beruf, wenn ihnen ethische Prinzipien sehr wichtig sind.

International ist ebenfalls gut belegt, dass Veterinär*innen eine erhöhte Suizidrate haben und ihre Suizidwahrscheinlichkeit erheblich durch die Stressbelastung mitbestimmt ist. Es gibt keinen Grund zu vermuten, dass es in der Schweiz anders ist. Hierzulande werden allerdings keine Zahlen zur Sterblichkeit von Tierärzt*innen erhoben, wie mir das Bundesamt für Statistik erklärt.

Doch Leute aus der Praxis kennen das Problem und suchen nach Lösungen – nicht immer mit Erfolg. Die erste psychologische Anlaufstelle für Schweizer Tierärzt*innen wurde 2022 von Professorin Brigitte von Rechenberg angeboten. Dass gerade sie sich als Ratgeberin in Sachen Arbeitsbelastung gibt, überrascht. Immerhin wurden in ihrer Amtszeit als Dekanin ausbeuterische Arbeitsbedingungen an der Vetsuisse-Fakultät aufgedeckt. Studierende arbeiteten 14-Stunden-Schichten ohne Pause und leisteten Nachtdienst für 20 Franken – nicht pro Stunde, pro Nacht. Die toxische Leistungskultur fängt schon im Studium an.

Mit ihrer Anlaufstelle gehe es ihr vor allem um das Aufbauen von «Resilienz», erklärte von Rechenberg in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen. Tierärzt*innen würden heutzutage nicht mehr so viel aushalten wie früher. Dies, obwohl sie eine ganze Liste von Berufskolleg*innen aufzählen kann, die schon vor Jahrzehnten Suizid begingen. Es scheint, als wollte man mit diesem Beratungsangebot die Leistungskultur der Branche nicht hinterfragen, sondern weiter zementieren.

Einen zweiten Versuch für ein Hilfsangebot startete die Gesellschaft Schweizer Tierärzte GST Anfang 2023 mit «SOSforVets». Das ist eine kostenlose Hotline für psychische Notfälle, betreut von psychologischen Fachpersonen mit Wissen über medizinisches Arbeiten.

Doch es ist interessant, wie «SOSforVets» die Ursachen psychischer Belastung beschreibt: «Der Umgang mit dem Tierleid, Konflikte mit Kundinnen und Kunden, lange Arbeitstage: Tierärztinnen und Tierärzte, Tiermedizinische Praxisassistentinnen und -assistenten (TPA) sowie Studentinnen und Studenten der Veterinärmedizin sind im Beruf und in der Ausbildung stark gefordert.»

Die genannten Stressoren haben einen gewichtigen ökonomischen Anteil. Bei langen Arbeitstagen ist das klar. Dasselbe gilt aber auch für einen grossen Teil der Kund*innenkonflikte – nämlich alle, die mit Geld zu tun haben. Und selbst beim Tierleid, das man in diesem Beruf notwendigerweise sieht, kann man sich fragen, warum Tierärzt*innen nicht genügend Freizeit bekommen, um sich von der Belastung zu erholen. Die Probleme hier sind auch struktureller Natur.

Das Zwischenfazit ist seltsam, aber wahr: In Tierarztpraxen fliesst nicht genug Geld. Es wird gefeilscht, gestritten und nicht bezahlt. Der Umgangston wird dadurch aggressiver, die Arbeitstage länger, die Behandlungen schlechter und die Belastung für alle Beteiligten höher. Das Endresultat sind Todesfälle – von Tieren und Menschen – die man hätte verhindern können.

Tierversicherungen in der Nische

Mittelknappheit in der Medizin ist weder ein unbekanntes noch ein unlösbares Problem. Auch wir Menschen kosten plötzlich mehr, wenn wir krank werden oder uns verletzen. Die Lösung liegt im Kollektiv: Man legt Mittel zusammen und kommt gemeinsam für diejenigen auf, die es gerade brauchen. Das ist das simple Grundprinzip einer Krankenversicherung. Geht es um Menschen, ist es selbstverständlich und sogar gesetzlich vorgeschriebene Pflicht, so eine Versicherung abzuschliessen.

Für Tiere gibt es zwar auch Krankenversicherungen, doch diese sind nicht verpflichtend und werden in der Schweiz noch wenig genutzt. Marktführerin ist die «Animalia», die zur Vaudoise-Gruppe gehört. Sie schätzt den Anteil versicherter Hunde in der Schweiz auf sieben Prozent, wie mir Didier Huot, Leiter Business Development bei Animalia, auf Anfrage mitteilt.

Warum werden Tierversicherungen in der Schweiz nicht mehr gepusht? Daran müssten doch auch die Versicherungen ein finanzielles Interesse haben, könnte man denken. Doch dafür ist der Markt zu klein. Das Prämienvolumen der Animalia – also das gesamthaft über Prämien eingezahlte Geld pro Jahr – beläuft sich laut Huot auf etwa zwölf Millionen Franken. Für Versicherungsfirmen, die ihre Prämienvolumen eher in Milliarden angeben, ist das so gut wie nichts.

Für sich genommen sind Tierversicherungen also kein lukratives Geschäft. Sie sind eher ein Teil eines «Ökosystems» von Angeboten, erklärt mir Huot. Wer eine Tierversicherung abschliesst, schliesse später vielleicht auch eine Gebäude- oder Autoversicherung ab.

Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass die Versicherungen in nächster Zeit viel investieren werden, um Hundeversicherungen aus der Nische herauszubringen. Der Impuls müsste von den Hundehaltenden selbst kommen. Doch viele wissen gar nicht, dass man Tiere versichern kann. Ausserhalb der Versicherungsbranche wird nur selten darauf hingewiesen oder darüber diskutiert.

Wer die Angebote jedoch kennt, ist oft skeptisch, und das nicht ohne Grund. Der «Kassensturz» berichtet seit bald dreissig Jahren regelmässig über Tierversicherungen, die nicht zahlen, falsche Rechnungen stellen oder beim ersten Schadensfall die Prämie erhöhen. In einem Nischenmarkt mit Prämienvolumen von ein paar Millionen ist der Qualitätsdruck nun mal nicht sehr hoch.

Hündeler*innen müssen also abwägen: Streiten sie im Ernstfall lieber mit einer Versicherung oder mit einer Tierärztin? Viele fällen diese Entscheidung so, dass sie das Geld in der eigenen Hand behalten. Lieber andere prellen statt geprellt werden. Also streiten sie mit der Tierärztin.

Es braucht politische Lösungen

In der Tierversicherungsbranche leistet der Markt nicht, was Tiere und Menschen brauchen. Hunde brauchen medizinische Grundversorgung. Ihre Menschen brauchen Hilfsmittel, um diese Versorgung bezahlen zu können. Und Tierärzt*innen brauchen eine finanzielle Grundlage, die ihnen ein würdiges Arbeiten ermöglicht. Nichts davon ist heute ausreichend gegeben.

Dieses Marktversagen schreit förmlich nach einer politischen Lösung. Und in der Tat wären viele Massnahmen denkbar, kleinere und grössere.

Wichtig wäre zuerst einmal, dass sich zuständige Behörden, namentlich das BLV, das Bundesamt für Statistik und kantonale Veterinärämter, für die Problematik interessieren. Sie sollten fehlende Daten so gut es geht sammeln oder die Erfahrungen von Tierärzt*innen einholen – über ihre psychische Belastung und über kostenbedingt unterlassene Behandlungen.

Andererseits könnte die Verwaltung über bestehende Webseiten und Info-Materialien relativ einfach auf das Thema der Vorsorge hinweisen. Ein paar Zeilen in der altertümlich betitelten Broschüre «Augen auf beim Welpenkauf» des Bundes wären zum Beispiel ohne Weiteres umsetzbar. Oder das BLV macht eine eigene Kampagne darüber, so wie 2021 über Aquarienfische. Auch kantonale Veterinärämter stellen meist Infos für Tierhaltende zur Verfügung, auf Vorsorge kommen sie dabei aber kaum zu sprechen. An Möglichkeiten fehlt es nicht, nur an Interesse.

Die Politik hätte ebenfalls Hebel. Etwa könnte man das Thema der Vorsorge als Inhalt von Hundekursen vorschreiben. So hätten zumindest alle neuen Hundehaltenden einmal erfahren, dass sie ihre Tiere überhaupt versichern können. Das geht natürlich nur jenen Kantonen, in denen Hundekurse überhaupt noch Pflicht sind. Schweizweit könnte man indessen die Tierversicherung vom steuerbaren Einkommen abziehbar machen, um einen Anreiz zu schaffen.

Doch ganz klar: Solche kleinen Massnahmen haben bestenfalls zur Folge, dass mehr Hundehaltende die Angebote der privaten Versicherungen nutzen. Doch diese Angebote sind eben oft zu schlecht, wie der Kassensturz zur Genüge gezeigt hat. Längerfristig müssen wir also grösser denken.

Versichert die Hunde!

Um die medizinische Grundversorgung von Tieren wirklich sicherzustellen, bräuchte es eine öffentliche Tierkrankenversicherung. Nicht profitorientiert, doch idealerweise selbsttragend. Teilnahme obligatorisch. Mit gesetzlich verankertem Leistungsauftrag. Es würde nicht jede hinterletzte Luxusbehandlung bezahlt. Aber was für das Leben und Wohl des Tiers wirklich nötig ist, würde solidarisch getragen.

So würde das eine Gesellschaft lösen, die Hunde wirklich als Familienmitglieder sieht.

Das ist leider Zukunftsmusik, nicht Realpolitik. Das wurde gerade 2022 deutlich, als der Berner Grossrat Casimir von Arx (GLP) die Idee in einer Interpellation – einer Anfrage an den Regierungsrat – zur Diskussion stellte.

Die offizielle Antwort: «Der Regierungsrat erachtet eine obligatorische Krankenversicherung für Hunde oder generell für Heimtiere als nicht zielführend und nicht umsetzbar.» Sowieso könne ja das Veterinäramt einschreiten, wenn ein Tier vernachlässigt werde. Und weiter: «Die flächendeckende medizinische Grundversorgung von Hunden wird durch die privattierärztlichen Praxen sichergestellt.»

Das Statement des Regierungsrats ist an Kaltschnäuzigkeit – no pun intended – kaum zu übertreffen. Das Veterinäramt schreitet jedenfalls nicht ein, wenn Hunde aus Kostengründen eingeschläfert oder suboptimal versorgt werden. Oder wenn Veterinär*innen am Arbeitsdruck zugrunde gehen.

Doch wenn es darüber kaum gesicherte Daten gibt und die Tierärzt*innen selbst nicht Alarm schlagen, kann man der Ignoranz des Regierungsrats wenig entgegensetzen. Soweit es die Öffentlichkeit weiss, gibt es in der Veterinärmedizin keinerlei Probleme.

Es ist ein Teufelskreis: Politik und Verwaltung sehen kein Problem. Tierversicherungen bleiben unsichtbar und mangelhaft. Hundehaltende sorgen nicht vor. Behandlungen werden aus Kostengründen minimiert oder unterlassen. Tiere und ihre Ärzt*innen leiden darunter. Die Branche geht dieses Leiden auf individueller statt struktureller Ebene an. Und so sehen Politik und Verwaltung weiterhin kein Problem.

Um den Kreis zu durchbrechen, können viele einen Beitrag leisten. Die Verwaltung könnte besser informieren, die Politik das Problem ernster nehmen, die Hundehaltenden auf eigene Faust vorsorgen.

Doch der eigentliche Schlüssel zur Lösung ist eine Tierärzteschaft, die ihre Arbeitsverhältnisse und die eigene Leistungskultur kritisch hinterfragt, sich politisch organisiert und sich öffentlich für die Bedürfnisse von Tieren und ihren Ärzt*innen einsetzt. Dafür braucht es womöglich auch einen Austausch über die Tiermedizin hinaus, etwa mit Gewerkschaften oder Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen.

Solange die Branche aber die Zähne zusammenbeisst, statt die Zähne zu zeigen, bleibt eine sichere medizinische Grundversorgung für Hunde eine Utopie.

Nico Müller ist Tierphilosoph an der Universität Basel und Präsident des Vereins Animal Rights Switzerland.

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