Übermensch, Superman, Cyborg – das sind ideologische Manifestationen der Zurichtung des Menschen, komplementäre Images zu seiner Unterwerfung unter die allgemeinen Direktive von Effizienz- und Leistungsoptimierung; es sind aber auch, ebenso ideologisch, Versuche, den Menschen genau dieser Zurichtung zu entziehen. Nietzsches Übermensch ist in dieser Ambivalenz rezipiert worden; auch die in den 1930er Jahren von Jerry Siegel und Joe Shuster kreierte Superman-Figur trägt Züge eines sowohl konformistischen wie nonkonformistischen Charakters. Cyborgs – zunächst biomechanische Visionen der Raumfahrt der 1960er – hatte dann Anfang der 1980er die Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway im Sinne eines postfeministischen Technofuturismus prominent verteidigt. Auch die Möglichkeiten der biomedizinischen Prothesentechnologie deuten einige als Befreiung des Menschen vom Menschen, und das durchaus positiv, bisweilen sogar euphorisch als nächsten Schritt der Evolution vom «biologischen Menschen zum posthumanen Wesen», wie es Max More postuliert – übrigens mit direktem Zitatbezug zu Friedrich Nietzsche:

»Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?«

Übermensch

Die moderne Figur des Übermenschen taucht erstmals Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf. Er ist gleichermaßen Resümee und Überbietung des Menschenbildes, das sich zu dieser Zeit etablierte: «Alle Menschen sind gleich» versus «alle Menschen sind verschieden» – und zwar ungeachtet ihrer realen Lage, ihres Elends, der Gewalt, der sie ausgesetzt sind.

Bekanntlich spricht Friedrich Nietzsche das erste Mal vom Übermenschen in ‹Also sprach Zarathustra›; der erste Teil dieses Buches ‹Für Alle und Keinen› erscheint 1883 – im Todesjahr von Karl Marx, Nietzsche ist neununddreißig Jahre alt.

Der Übermensch ist ein Resultat fundamentaler Religionskritik: Gott ist tot, die Menschen haben ihn umgebracht, das ist der Ausgangspunkt: »Gott starb: nun wollen wir – dass der Übermensch lebe.« Nietzsches Entwurf kann als idiosynkratisch verbrämter Pseudomaterialismus gedeutet werden. Dass der Übermensch den Menschen als Menschen überwinden soll, ist alles andere als inhuman gemeint. Wenn Nietzsche schreibt…

»Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, – und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste. –«

…dann heißt das eben nicht: der Leidende soll aufhören zu leiden, sondern der Leidende soll aufhören; nicht: der Ärmste soll reicher werden, sondern der Mensch soll verschwinden, der nur als Ärmster existiert. Der Übermensch verwirklicht die Menschheit, indem er den Menschen jede unmenschliche Beschränkung nimmt, jede moralische Reduktion, die den Menschen nicht Mensch sein lässt, sondern ihn auf eine Rolle festschreibt (der Nächste, der Ärmste, der Leidendste, der Beste…). Es ist die Mickrigkeit, die Unfertigkeit und Ohnmacht, die den Menschen zum Schwachen macht und nur schwach sein lässt (das ist im Wesentlichen christliche Moral), mithin auch der sich selbst zurücknehmende, demütige, gehorsame und fromme Mensch, den Nietzsche zu überwinden fordert: «Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das «Glück der Meisten» –!»

Doch sein Übermensch bleibt im Korsett bürgerlicher Werte gefangen, die er umzuwerten antreten soll: Der Wille zur Macht gibt der Ethik nur eine andere Wendung, hebt sie aber nicht auf; dafür fehlt Nietzsches Kritik die Dialektik. Hinter Marx’ realen Humanismus fällt Nietzsche damit zurück. Die Überwindung des Menschen durch den Übermenschen reißt ihn förmlich aus der Gesellschaft raus, statt die Gesellschaft menschlich und den Menschen gesellschaftlich zu machen. Das gibt der Deutung Raum, in Nietzsches Entwurf des Übermenschen bloß den – faschistischen – Herrenmenschen zu erkennen, die Inkorporation des Inhumanen.

Derart hat der Übermensch jedoch schon von Anfang an jede radikale Kritik eingebüßt: er setzt sich selbst zum Mittel und Zweck, zum Ziel, als Einsiedler, gleichsam als Idiot. Gott ist tot – das ist der Anfang der Kritik der Religion. Es fehlt: Sie «endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.»

Superman

Nietzsches Übermensch wiederholt die literarische Figur des tragischen Helden. Er ist ein narzisstischer Charakter, entfremdet von der Gesellschaft, einsam: «Sein Gefühl der Einsamkeit ist nicht bloß eine seinen Untergang begleitende Stimmung, sein Untergang ist vielmehr in seiner Einsamkeit beschlossen, durch seine Einsamkeit bedingt… Niemand ist aber da, der seine Worte verstehen würde, … niemand, der sich in seine Lage versetzen könnte.»

In der Epoche um neunzehnhundert, in der die bürgerliche Gesellschaft selbst ihrem tragischen Untergang entgegensieht, kann dieser tragische Held nicht anders als Skandal erscheinen. Ein Weltkrieg später und kurz vor dem zweiten – Europa ist vom Faschismus überschattet – kommt der Übermensch in Amerika zurück: präsentiert im ersten Heft von ‹Action Comics› 1938, war Siegels und Shusters Superman freilich kein Skandal, sondern eine Sensation.

Anders als Nietzsches Übermensch ist Superman wiederum kein tragischer Charakter, sondern ein tragisches Schicksal: Seine Einsamkeit ist ihm in die Wiege gelegt – die Eltern haben ihn, um ihn vom verseuchten und verwüsteten Planeten Krypton zu retten, im Weltraum ausgesetzt. Als Findelkind stürzt der Außerirdische auf die Erde, wächst auf als Clark Kent auf dem Lande. Zögerlich lernt er, seine übermenschlichen Fähigkeiten zu beherrschen; gesellschaftlich bleibt er ein Außenseiter. Superman will den Menschen gewiss nicht überwinden, sondern, ganz im Gegenteil, sich selbst als Übermenschen, um endlich in der Normalität anzukommen, die im Amerika des New Deal als «world highest standard of living» versprochen wird. Seine Superkräfte – außerirdischen Ursprungs immerhin – lassen sich mitnichten gesellschaftlich verallgemeinern; überleben kann der Held nur als Star. Und gerade um als Einer wie Alle zu funktionieren, konvertiert Superman zum Superstar. Dass er die Welt vor dem Untergang rettet, der in den dreißiger Jahren mit Hitlers Deutschland, Zweiter Weltkrieg und Auschwitz noch bevorsteht, ist als Comic nicht tragisch, sondern Show, Spektakel.

Als Clark Kent kommt Superman in die große Stadt, die Siegel und Shuster nach Fritz Langs Film «Metropolis» nennen. Kent versteckt sich hier als gewöhnlicher Angestellter im Büroalltag des «american way of life». Für sein Privatleben wählt Superman paradox die Öffentlichkeit, vertritt als Journalist beim «Daily Planet», der großen Tageszeitung von Metropolis, die vierte Gewalt. Tatsächlich ist er aber von einer ganz anderen Gewalt angetrieben, nämlich der Macht der Liebe. Das ist seine Tragik: als Clark Kent ist er zu unauffällig, um von seiner heimlichen Liebe Lois Lane beachtet zu werden – die himmelt nämlich ganz unverhohlen den Medienstar Superman an…

Mensch und Übermensch versöhnen sich im Happy End. Regisseur Richard Donner lässt in seinem Superman-Film von 1978 Superman und Lois Lane verliebt durch die Luft fliegen; die übermenschliche Fähigkeit, fliegen zu können, setzt Superman indes nicht für die Gesellschaft ein, sondern zum individuellen Nutzen; scheinbar siegt das Lustprinzip hier über das Realitätsprinzip. Doch die bombastische Filmmusik von John Williams macht klar: eine Liebe, die so gewaltig ist, muss von gesellschaftlicher Größe sein.

Cyborgs

Seinen ersten Live-Auftritt hat Superman 1939 auf der Weltausstellung, die in New York unter dem Motto stattfindet: «Building the World of Tomorrow. For Peace and Freedom – all Eyes to the Future.» Ebenfalls wird auf der Weltausstellung ein Roboter präsentiert; er wird bemerkenswerterweise nicht als Arbeitsmaschine vorgeführt, sondern als witzige Haushaltshilfe, ein Typ, mit dem man reden kann und der Zigaretten raucht. Die Schwerindustrie wirbt zu dieser Zeit mit Plakaten, die eine Art ideellen Gesamtarbeiter darstellen: Ein proletarischer Riese, der über den Fabriken steht und große, blitzende Kabel hält.

Mechanisierung und Standardisierung sind an der Zeit, menschliche Arbeitsmaschinen und Menschen mit Maschinenkräften werden benötigt: Mit dem Fordismus gibt erstmals das Fließband den Rhythmus vor, nach dem sich die Arbeiter richten müssen. Der durch Maschinen erweiterte Körper ist auch der profitökonomisch effizientere Körper. Büroorganisation und Verwaltungstechnik kommen hinzu. In der elektrifizierten Produktion, in den riesigen Fertigungshallen und Großkontoren, arbeiten die Menschen schon wie Cyborgs – kybernetisch und vom mechanischen Takt dirigierte Menschen, die mit diesen je individuell potenzierten Arbeitsvermögen gleichsam als Übermenschen erscheinen. «Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will», heißt es bei der Gewerkschaft.

Eine erste Cyborg-Euphorie gab es nach dem Ersten Weltkrieg: Versehrte Soldaten, die oft mit schwersten Verstümmelungen zurückkamen, wurden mit Prothesen repariert; und alsbald galten mit Prothesen bestückte Arbeiter als die besseren Arbeiter. – Gerade dem beschädigten Menschen scheinen die Prothesen übermenschliche Kräfte zu verleihen. Sie kaschieren aber zugleich auch die zunehmende Fragmentierung des Körpers. Faktisch dient die Prothese ja nicht dem «ganzen Menschen», sondern spezialisiert ihn in Bezug auf besondere Fähigkeiten. Auch der Roboter funktioniert so. Und auch Superman – er ist ja keineswegs der allseitig gebildete und ausgebildete Mensch; er ist Übermensch kraft einiger weniger funktionalen Vermögen (viel Kraft, Supersinne, kann Fliegen…).

«Cyborg» bedeutet übrigens: cybernetic organism. Im Allgemeinen sind Cyborgs technologisch veränderte Lebensformen, der Mensch wird zum organisch-technologischen Leib, halb Mensch, halb Maschine. Dazu definiert Donna Haroway in ihrem ‹Cyborg Manifesto› bündig: «Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion.»

Praktisch bleiben die Cyborg-Debatten im akademischen Diskursen hängen. Erst im Verlauf der 1980er, schließlich 1990er Jahre konnte ein solcher Ansatz der Kritik in soziale Praxis übersetzt werden, behielt allerdings auch hier seine metaphorische Kraft: Im Sinne eines symbolischen Widerstands wurden Konzepte wie «Cyborg» in Popdiskurse um Techno und «Afrofuturismus» (Kodwo Eshun) eingespeist.

Der eindimensionale Übermensch

Die klassischen Helden – Vorbilder des modernen Übermenschen – bereisten die Welt noch als terra incognita, als unbekanntes Gebiet und unheimlichen Raum. Ihr Handeln ist zugleich Aneignung des buchstäblich bisher noch Unerfahrenen, wie bei Odysseus. Das gibt es heute nur noch in der Sciencefiction. Aber schon Kubrick präsentierte mit Ironie: Das Hotel auf dem Mond ist das Hilton, und telefoniert wird hier via AT&T. Noch Nietzsches Übermensch bewegt sich in einer antiquierten Wunschwelt, in der nonchalant der Mensch selbst zur Wurzel allen Übels erklärt werden kann. Mit dem Imperialismus ist jedoch klar: «Diese Welt ist nicht die unsere, sondern die des Kapitals», wie Max Horkheimer zur selben Zeit notiert, als Superman die Weltbühne betritt. (Im modernen SF-Kino sind es schon selbstverständlich Firmen, die ihre Hände im Spiel haben, wenn Cyborgs und Androiden, Menschmaschinen und Maschinenmenschen bei ‹Blade Runner›, ‹X-Man›, ‹I Robot› oder ‹Terminator› die Welt, nämlich – und das ist mittlerweile explizit – die kapitalistische Welt retten.)

Vom Hörgerät bist zum mikroelektronisch-neuronal gesteuerten Arm, von der künstlichen Niere bis zur Silikon-Brust, vom implantierten Chip bis zum Computer mit Body-Interface – jede Erweiterung des Menschen durch Technologie wird allein aus Profitinteresse möglich gemacht, kann nur durch finanzstarke Industrien produziert und über den kapitalistischen Markt distribuiert werden.

Dietmar Dath schreibt in ‹Maschinenwinter›: «Selbstverständlich ist eine Gesellschaft schweinisch, die einerseits für ihre Spitzensportler Laufschuhe mit eingebauten Dämpfungscomputern bereitstellt, andererseits aber alten Frauen mit Glasknochen die Zuzahlung zum sicheren Rollstuhl verweigert und einen Pflegenotstand erträgt, für den sich tollwütige Affenhorden schämen müssten.»

Ein Rollstuhl würde die alten Frau wieder zum gesellschaftlichen Subjekt machen, sozial agieren lassen, wenn auch im bescheidenen Rahmen und Radius: der Rollstuhl macht sie als Person, als Mensch handlungsfähig. Die Laufschuhe allerdings sind asoziale Technik, im Prinzip wie Supermans Kräfte allgemein gesellschaftlich nicht verwendbar. Solche Prothesen optimieren lediglich sehr spezielle Leistungsfunktion. Allerdings sind sie für die Öffentlichkeit interessanter; ein Rollstuhl wird erst dann als Cyborgtechnologie gefeiert, wenn er Einzelnen, Spitzensportlern bei den Paralympics etwa, zum Sieg verhilft.

Ohnehin dient die übermenschliche Technik bloß der Verbesserung des Vorhandenen. Zwar wird mit Furore behauptet, die Grenzen der Welt zu überschreiten, doch kommt man über die Weltordnung nicht hinaus; kein Übermensch, kein Superman, kein Cyborg kritisiert soziale Verhältnisse als Herrschaftsverhältnisse. Damit bleiben Cyborg-Visionen eindimensional: Es geht um die Perfektionierung besonderer Fähigkeiten zum Nutzen des Kapitals, nicht um allgemeine Vermögen als Fortschritt der Menschheit. Überhaupt fehlt vom Übermenschen bis zu den Cyborgs das revolutionäre Kollektive, die Solidarität echter Gemeinschaft, die Utopie befreiter Gesellschaft, mit der aus den Menschen Menschheit wird.

Schon Nietzsche löste den Handlungsraum des Übermenschen im Nihilismus auf, destruierte Geschichte als Wiederkunft des ewig Gleichen. Insofern sind Superhelden und Cyborgs auch keine historischen, revolutionären Subjekte. Sie haben keinen Telos, kennen kein kommunistisch erkennbares Land am Horizont. Der Übermensch unterbietet die konkrete Utopie.

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