Da geschehen Dinge vor der eigenen Haustür, die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich meine, wer kommt denn auf die Idee, Nazis ins Toggenburg zu bringen? Hätten sich die Hohlköpfe in Sargans oder Altstätten oder St.Margrethen getroffen oder in Wil, das hätte ich ja noch verstanden, aber in Unterwasser? Natürlich, unken sie aus der Stadt, das ist ja wie Eulen nach Athen tragen, aber das ist miese Verleumdung.

Es gibt in der ganzen Ostschweiz kein kaputteres Kaff als Unterwasser. Die Gemeinde ist so pleite, dass sie alle paar Jahre weiter nach Norden zwangsfusioniert wird – man munkelt, spätestens 2035 werde nichts anderes mehr übrig bleiben, als sich der Betonöde Wattwil anzuschliessen, aber wenn die Mietpreise auf das Niveau dieser Trabantensiedlung nach DDR-Vorbild ansteigen, wer wird es sich noch leisten können, hier zu wohnen? Nicht einmal Toni Brunner wird die Direktzahlungen so hochlobbyieren können.

Den wenigen Hotels hier oben, die nicht abgebrannt sind, bevor die Versicherungspolice nichts mehr wert war, kann man im Minutentakt beim Auseinanderfallen zusehen. Die Zimmer sind verstaubt, das Bettzeug mottenzerfressen, die einzige Sauna im Dorf hat die Grösse einer Telefonkabine und den Charme von Rattengift. Die einzige Touristenattraktion weitherum, das Bergrestaurant von Herzog & de Meuron oben auf dem Chäserugg, kennt man nur von Fotos, denn für den seltenen Fall, dass der Nebel einmal ein paar Stunden aufreisst, verschwinden die Kurfirstengipfel in den Wolken. Dort oben, sagen sie im Dorf, sind höchstens die zu Gast, die noch Geld zu verprassen hatten, um hier oben eine Tennishalle zu bauen, als das Kaff schon längstens den Bach runter ging.

Der Bach, das ist die Thur und die Tennishalle ist dieses unförmige Ding mitten im Nirgendwo, das seit ihrer Eröffnung 1995 genau zweimal gefüllt war: Als man den kleinen Victory-Simi Ammann durchs Dorf trug und am Samstag, als 6000 Nazis kurz zu Besuch kamen. Mit ihren eigenen Security Leuten, mit eigenen Bands und eigenem Bier. Von der halben Million Euro, die zwischen den Glatzen versoffen wurde, blieb kein Rappen in der Gemeinde.

Das ist auch nur konsequent. Hier oben braucht man keine Nazis mehr. Das Gesocks, das noch in den neunziger Jahren von hier aus in den Thurgau, nach St.Gallen oder ab und zu sogar nach Zürich marodierte, ist ausgewandert oder zugrunde gegangen. Was übrig blieb, wählt SVP. Kein Wunder kann man hier oben nicht mehr unterscheiden zwischen dem viel zu lauten Stammtischpolteri einerseits, demjenigen, der dem lokalen Arzt mit der exotischen Ehefrau aus Südafrika die Pneus aufsticht andererseits, und dem echten Irren, der mit den Knarren im Keller auf den Tag der Volksrevolution wartet. Hier oben sind wir alle eine Familie. Und alle verwandt.

* Etrit Hasler ist Mitbesitzer eines Ferienhauses im Toggenburg, das sein Urgrossvater einst dort oben gebaut hat. Der Ausblick von der Terrasse ins Tal erinnert an den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs: Hier kommt nichts mehr lebend raus.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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