Über der Gegend liegt eine fast ländliche Stimmung: Eine Brise weht vom Ufer herüber, rüttelt an den nackten Ästen der Bäume und streicht über ein paar wenige Häuser. Beim Ankommen verstehe ich, warum Menschen überhaupt hier leben wollen und warum einige von ihnen selbst bleiben, nachdem das steigende Wasser alles verändert hat.
Bis vor acht Jahren sah es hier noch ganz anders aus. Die Wurzeln von Oakwood Beach reichen bis in die 1920er Jahre zurück, als Urlauber sich in der Sommersaison an der Südküste der Insel niederliessen. Mit dem Wachstum von New York City wuchs auch die Nachfrage für erschwingliche Häuser; die Sommerbungalows wurden winterfest gemacht, und Oakwood Beach wurde zu einer ganzjährigen Gemeinde mit mehr als 300 Parzellen.
Es gibt einen Grund, warum dieses Land lange Zeit keine dauerhafte Besiedlung hatte. Durch seine tiefe Lage Sturmfluten ausgesetzt, war Oakwood an einen Kreislauf von Überschwemmungen und Umbauten gewöhnt. Dieses Leben war prekär, aber doch lohnenswert: mit erschwinglichen Immobilienpreisen, Küsten-Blick und Kleinstadtgefühl.
Seit Hurrikan Sandy geht diese Rechnung nicht mehr auf. Der heftige Sturm mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 185 km/h traf die Karibik und die Ostküste der Vereinigten Staaten. Er forderte 233 Todesopfer und verursachte Schäden in Höhe von über 70 Milliarden Dollar. Mehr als die Hälfte der 53 Todesopfer in New York City waren BewohnerInnen von Staten Island, fast alle lebten direkt an der Atlantikküste in Gemeinden wie Oakwood. In den Monaten nach der Katastrophe haben Stadt-, Staats- und Bundesregierungen Milliardenbeträge für den Wiederaufbau und die Aufstockung der vom Sturm zerstörten Häuser des Bezirks bereitgestellt. Für Oakwood Beach – und für das nahe gelegene Graham Beach und Ocean Breeze – war der Zyklus von Bauen und Zerstören jedoch nicht mehr haltbar. Es war Zeit für etwas neues.
Graham Beach, Oakwood Beach und Ocean Breeze sind nun weitgehend unbewohnte Feuchtgebiete, die als Teil eines «kontrollierten Rückzugs» vor dem Klimawandel gelten. Der Staat New York kaufte den BewohnerInnen die Grundstücke zu den Immobilienpreisen vor dem Sturm ab, riss die verbleibenden Strukturen ab – und übergab das Land wieder der Natur. Diese Gemeinden sind eine Lektion für das, was uns in den kommenden Jahren erwarten könnte – weitläufige Städte am Wasser ziehen sich zurück, während der Abriss von Häusern und die Sanierung von Feuchtgebieten zunehmend zur Norm wird. Die Städte werden «Schwämme» aus solchen Feuchtgebieten benötigen, um die Entwässerungssysteme zu stärken und die bewohnten Gebiete bei steigendem Meeresspiegel und immer extremeren und häufigeren Stürmen trocken zu halten.
Wie diese drei Gebiete von Staten Island aufhörten zu existieren, ist tatsächlich eine viel längere Geschichte. Auf den ersten Blick wirkt es, als wären Graham Beach, Oakwood Beach und Ocean Breeze auf einmal verschwunden, einfach so. In Wirklichkeit war der Rückzug das Produkt jahrelangen Drängens nach einem staatlichen Buyout. In einer regelrechten Saga mobilisierte sich diese Community und manövrierte sich durch eine Buchstabensuppe von (oft korrupten und schlecht verwalteten) Regierungsinitiativen. Das mag viele AmerikanerInnen wenig überraschen, die aus Erfahrung wissen, wie mühselig es ist, alltägliche Aufgaben wie das Einreichen von Steuern oder das Erlangen eines Führerscheins zu bewältigen. Aber dies war anders, und es stand viel mehr auf dem Spiel.
Oakwood war die erste Gemeinde, die korrekt durch die Reifen sprang und deshalb die Buyout-Genehmigung des Staates New York und des bundesstaatlichen «Hazard Mitigation Grant Program» erhielt. Sie umging die lokalen VertreterInnen, bei denen man nicht sicher war, ob sie den Rückzug unterstützten (Ein Massenauszug war mit Steuerausfällen verbunden). Die BürgerInnen, welche die Bemühungen vorantrieben, mussten beweisen, dass praktisch alle in der Nachbarschaft ausziehen würden, wenn das Programm zustande kommen würde. Dass die BewohnerInnen eines traditionell republikanischen Bezirks mit Begeisterung unterschrieben, spricht Bände: Wenn politische Veranlagungen mit den Realitäten des Klimawandels kollidieren, sieht Ideologie oft ganz anders aus.
Ocean Breeze und Graham Beach waren als nächste dran. Sie mussten aber erst zu symbolischen Handlungen greifen, um sich Gehör zu verschaffen. Frank Moszczynski von Ocean Breeze zum Beispiel stellte an einer belebten Kreuzung ein Zelt auf; daran hängte er Pappschildern, auf denen stand: «Gouverneur Cuomo, bitte kaufen Sie den Napf». Er bezog sich auf den tiefgelegenen Bereich rund um sein zerstörtes Haus. Tatsächlich wurde «der Napf» gekauft – und das Aufkaufprogramm auf über 500 Häuser in diesen drei Vierteln erweitert.
Crescent Beach, Great Kills, Midland Beach, New Dorp, South Beach, Totenville. Während drei Gemeinden die staatliche Buyout-Berechtigung erhalten haben, sind diese sechs daran gescheitert. Einige haben die Kriterien für das Küstenrisiko nicht erfüllt und landeten auf der falschen Seite des Zahlenspiels: Sie gelten als gerade sicher genug, um an Ort und Stelle zu bleiben – zumindest vorerst. Andere konnten nicht genug Gemeinschaftsbeteilung aufweisen oder machten nicht genug Lärm. So oder so wurden sie ins Post-Sandy-Recovery-System zurückgeworfen, das eher wie ein Casino als wie eine soziale Dienstleistungsinfrastruktur funktioniert.
Nehmen wir das NYC-«Build-it-Back»-Programm, eine stadtweite Initiative zum Wiederaufbau nach dem Sandy-Hurrikan: Eine unbeholfene, aber wirkmächtige Verbindung von Vetternwirtschaft-Kapitalismus und staatlicher Inkompetenz.
Eine Prüfung der Stadtregierung ergab, dass das Amt für Wohnungswiederherstellungsoperationen mehr als 6,8 Millionen Dollar Auszahlungen an Berater und Subunternehmer für schlampige und unvollständige Arbeiten geleistet hatte, was zu einer verzögerten Unterstützung von mehr als 20.000 BewerberInnen führte. Der städtische Comptroller berichtete, dass Sandy-Überlebende zu seinen öffentlichen Versammlungen mit Taschen voller Dokumente kamen, die sie im Rahmen einer ausgelagerten Sisyphusarbeit wieder und wieder einreichen mussten. Im besten Fall erhielten diese sechs Stadtviertel verzögerte staatliche Hilfe. Im schlimmsten fielen sie durch alle Maschen. Der Comptroller bemerkte abschliessend: «Wenn wir eine Lektion von Sandy lernen können, dann die, dass Verträge nur so gut sind wie die Leute, die sie verwalten.»
Wie bei anderen Warnungen, die uns der Klimawandel gibt, war es eine Lektion, aber keine, von der wir gelernt haben. Die Stadtregierung lagert weiterhin zentrale staatliche Aufgaben an Beratungsfirmen aus. So beauftragte das New Yorker Strafvollzugsministerium zwei Jahre nach Sandy den Beratungsgiganten McKinsey & Company, die Gewalt auf Rikers Island, dem grössten Gefängnis der Stadt, einzudämmen. Die Firma arbeitete mit Gefängnisbeamten zusammen, um irreführend positive Statistiken zu erstellen, die ihre Interventionen gut dastehen liessen. McKinsey kam 27,5 Millionen Dollar schwerer raus, während Gewalt und Übergriffe im Gefängnis um 50 Prozent zugenommen hatten.
Im Jahr 2020 schreibe ich dies inmitten einer Pandemie, die das Ergebnis eines durch und durch ökologischen Phänomens ist, wenn auch langwieriger und weniger sichtbar als ein Hurrikan. Die Trump-Administration scheint aus Gier weit verbreitete diagnostische Tests verzögert zu haben – zwei Jahre nachdem sie die Möglichkeiten der Regierung, auf eine Pandemie zu reagieren, komplett ausgeweidet hat – wofür die amerikanische Öffentlichkeit nun den Preis mit ihrem Leben und ihren Arbeitsplätzen bezahlt. Gerade gibt die Regierung über 2,5 Billionen Dollar aus, um uns (und sich selbst) aus diesem Schlamassel herauszuholen, indem sie das Geld ausgibt, von dem sie behauptet, dass sie es nie für die Eindämmung des Klimawandels hatte.
Wenn Staten Island also unsere ökologische Zukunft sein soll, dann hoffen wir, dass es nicht auch unsere politische ist. Eine, in der einige ausziehen und in höher gelegene Gefilde umziehen, während andere unten bleiben und die nächste Welle abwarten müssen. Eine Zukunft, in der sich Beratungsunternehmen an Katastrophen eine goldene Nase verdienen und andere eine Chimäre schlecht funktionierender Wiederherstellungsbemühungen steuern müssen. Die Massnahme unseres Staates für unsere ökologische Zukunft wirkt wenn überhaupt nur schwach lindernd und kaum präventiv. Wir werden wissen, dass die Welle gekommen ist, wenn sie uns trifft.
Aus dem Englischen von Michelle Steinbeck