Um ehrlich zu sein, wollte ich nicht über Polizeigewalt schreiben. Ich wollte mich damit nicht auf Papier auseinandersetzen müssen. Diese schmerzhafte, unschöne Realität; so sehr ich versuche, sie zu vergessen oder zumindest tief in meinem Kopf zu vergraben, werde ich doch täglich mit ihr konfrontiert – in meinem Zuhause, auf der Strasse, im Fernsehen, in den Zeitungen – und werde stets daran erinnert, dass ich eine von «denen» bin, die von der Polizei geschlagen und getötet werden, ohne jegliche Schuld dafür zu tragen. 

Die Misshandlung von Schwarzen – vor allem Schwarzen Männern – vonseiten der Polizei nimmt in der Schweiz wie auch im restlichen Europa zu. Swissinfo.ch berichtete erst dieses Jahr, dass laut einer UNO-Expertengruppe, Schwarze Menschen in der Schweiz tagtäglich Diskriminierung wie auch ernstzunehmendes Racial Profiling vonseiten der Polizei erfahren. 

Schockierende Berichte über Polizeigewalt und die schon zu erwartende Straffreiheit dieses Verhaltens existieren bereits seit Jahrzehnten. Man nehme den Fall von Roger Nzoy Wilhelm, der letztes Jahr von der Polizei in Morges erschossen wurde; den Fall von Brian K., der in Zürcher Isolationshaft steckt; die Fälle von Hervé Mandundu, Lamine Fatty und Mike Ben Peter, alle drei afrikanischer Abstammung, die in den letzten vier Jahren in Polizeigewahrsam gestorben sind. 

Ich könnte ewig so weiterschreiben über den Alltagsrassismus in diesem Land. Auch ich habe schon Rassismus vonseiten der Polizei erlebt. Einmal musste ich beobachten, wie die Beamten einen betrunkenen Schwarzen am Zürcher Hauptbahnhof misshandelten. Er sass völlig hilflos draussen auf den Stufen einer Apotheke und sprach mit sich selbst. Als Passantin beobachtete ich, wie vier Polizeibeamte ihn so heftig mit Schlagstöcken traktierten, dass ich sie anschrie aufzuhören. Ich war verletzt, schockiert und beschämt, wie dieser Schwarze Mann von den Beamten am helllichten Tag so geschlagen und erniedrigt wurde. Einer der Polizisten kam auf mich zu und sagte, ich solle mich sofort entfernen oder ich würde selbst festgenommen. Ich fühlte mich hilflos und hatte Angst um den Mann im Gedanken an die Gewalt, die ihm wahrscheinlich noch in Polizeigewahrsam widerfahren würde. 

Die Auswirkungen von Racial Profiling durch die Polizei können wir immer wieder beobachten, sie brechen einem nicht nur das Herz, sondern bedeuten auch für so manchen Schwarzen den Tod. Wie oft müssen wir uns mit dem Umstand auseinandersetzen, dass wir als Schwarze immer auf der Hut sein müssen? Uns passieren jeden Tag bereits so viele andere Dinge, am Arbeitsplatz, im Spital, in den Geschäften, im Fitnessstudio oder im öffentlichen Verkehr. Dieser allgegenwärtige Rassismus führt zu einer mentalen, psychologischen Erschöpfung darüber, ständig als Sündenbock für die Unsicherheiten der weissen herhalten zu müssen. Ich habe noch nie in meinem Leben einem Polizisten ohne Anspannung begegnen können. 

Und vieles von dem, was passiert, bleibt unsichtbar. Ohne Videoaufzeichnung von George Floyds Ermordung hätte die Black-Lives-Matter-Bewegung niemals so viel Einfluss auf unser Leben bekommen können. Deshalb bitte ich darum, im Namen der Menschlichkeit, setzt der Ermordung von Schwarzen ein Ende. Schwarze Mütter leben in ständiger Angst um ihre Söhne. Wie viele Schwarze Mütter bereiten sich gerade in diesem Moment auf die Beerdigung ihrer Söhne vor oder besuchen sie im Gefängnis. Ich sorge mich um die Schwarze Jugend. Wie lange sollen wir noch zuschauen? Viel zu vielen Schwarzen, und vor allem jungen afrikanischen Männer, wurde durch die Polizei das Leben genommen. 

Sorgt sich ein junger weisser Mann etwa vor Polizeikontrollen? Wohl kaum, und gleichzeitig wird jedem jungen Schwarzen schon in frühem Alter eingetrichtert, was es heisst, sich draussen auf der Strasse zu bewegen, und wie er sich verhalten soll, wenn er der Polizei begegnet. 

Diesen Denkanstoss möchte ich euch mit auf den Weg geben.

Paula Charles

www.paulacharles99@gmail.com

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert