Diese Kolumne zu schreiben, war für mich bisher im gleichen Masse ein Vergnügen und eine Qual: Nicht nur, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, sondern diese Gedanken auch noch über die vergangenen zehn Monate in einem so öffentlichen Medium wie der Fabrikzeitung zu veröffentlichen.

Ich möchte kurz in meine Jugend abschweifen, eine Schwarze Jugend im London der Siebzigerjahre, mit kaum genug Geld zum Überleben, geschweige denn, um Zeitungen wie die Sun oder die Daily Mail zu kaufen. Wann immer ich die Möglichkeit hatte, eine Zeitung zu kaufen, las ich als allererstes die Frauenkolumne. Ich war völlig fasziniert davon, wie diese Frauen über scheinbar jedes Thema schreiben konnten – und das täglich über viele Jahre hinweg. Ich bewunderte sie und obwohl es stets weisse Frauen waren, hatte das keinen Einfluss auf meine Bewunderung. Mit all dem, was uns Schwarzen damals angetan wurde, all der Unterdrückung, den Anfeindungen von Polizei und weisser Bevölkerung, ja sogar Blutvergiessen, waren diese Kolumnen meine kleine Realitätsflucht. Ich fand mich darin wieder und hatte das Gefühl, dass Hautfarbe dabei keine Rolle spielte – zumindest wollte ich das damals glauben. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich eines Tages selbst die Möglichkeit haben würde, eine solche Spalte mit meinen Gedanken zu füllen und meine Lebensrealität als Schwarze Frau in Zürich auf Papier zu bringen, und ohne jegliche Zensur vonseiten der Fabrikzeitung.

Ich habe über die Jahre einige Bücher und Artikel geschrieben, aber in dem, was ich darin ausdrücken wollte, fehlte immer irgendwas. Mir wurde damals gesagt, worüber ich schreiben sollte, dass es nicht zu aggressiv und düster werden sollte, weil dieses Land noch nicht bereit sei, sich damit auseinanderzusetzen, dass auch hier Rassismus, Racial Profiling der Polizei und White Privilege existieren. Oder allein anzuerkennen, dass auch Schwarze hier leben, dass wir nicht eine Art dunkler Nebelschleier in der Luft sind, der sich schon von selbst verziehen wird. Damals war unsere Realität wirklich sehr, sehr weiss und repressiv. Man konnte sich nicht einfach so auf der Strasse bewegen, ohne angerempelt oder böse angestarrt zu werden. Es war hart.

Heute habe ich nun die wunderbare Gelegenheit, in dieser Kolumne meine Stimme erheben zu können, ganz ohne Wenn und Aber. Und glaubt mir, es war eine grosse Erleichterung, meine Lebenserfahrung mit euch Lesern teilen zu können. Mir ist bewusst, dass es nicht gerade angenehm ist, über solche Missstände im eigenen Land lesen zu müssen, aber ihr habt jetzt die Chance, zu lesen, zu verstehen – zuzuhören – vielleicht eure Ansichten ein wenig zu ändern oder sogar eure Beziehung zu euren Schwarzen Mitmenschen. Ihr habt meine Stimme, meine Geschichte akzeptiert.

Wo stehen wir also heute? Das ist schwierig zu sagen, aber wir sind auf jeden Fall auf dem Weg. Ich glaube auch Veränderungen in der Roten Fabrik selbst zu sehen. Ich bin Teil dieser Veränderungen, ebenso wie ihr Teil davon seid, indem ihr mir die Freiheit zugesteht, ungehindert und unverfälscht meine Geschichte erzählen zu können. Ich danke euch für diese Gelegenheit.

Ich möchte weiter das tun, was ich am besten kann: die Themen Rassismus und White Privilege konfrontativ angehen. Dazu gehört auch, euch mit auf diese Reise zu nehmen. Ich glaube, dass sich die Dinge langsam ändern und die Öffentlichkeit ein besseres Bewusstsein für unser Schicksal entwickelt. Die meisten möchten, dass sich die Einstellung in den Köpfen ändert. Ich würde auch nicht hier sitzen und diese Kolumne schreiben können, wenn niemand bereit wäre, zuzuhören und etwas zu unternehmen.

Aber es reicht nicht, sich meine Geschichten anzuhören, meinen Vorträgen zu lauschen und dann zum Status quo zurückzukehren. Ideen und Projekte in die Welt zu setzen ist ein Anfang, aber es braucht darüber hinaus viel Arbeit und Engagement, um langfristig Veränderung und Akzeptanz zu erreichen. Wo stehen wir also heute? Ganz am Anfang. Mit einer Menge Verwirrung und Unsicherheit darüber, wie diese neue Schweiz aussehen könnte. Es gibt zwei mögliche Wege: den des Widerstands gegen das Unbekannte und einen anderen, bei dem wir uns weiterentwickeln und Neues wagen – das ist der Weg, auf dem wir uns bereits befinden. Wie lange wird diese Reise dauern? Ich fürchte darauf habe auch ich keine Antwort, aber ich habe viel Hoffnung, ich glaube an die Menschheit, an euch, und daran, gemeinsam mit gegenseitigem Respekt an diesem Ziel zu arbeiten, der Realität mit unverstelltem Blick zu begegnen und bereit zu sein für Veränderung. Das ist doch ein guter Anfang, findet ihr nicht?

Von Paula Charles
www.paula-charles.ch

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch

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