Nachdem sich Online-Dating schon lange aus dem geächteten Schatten der Verzweifelten manövriert hat, ist es mittlerweile gerade in linken Kreisen zum Standard geworden. Kein Smartphone ohne Dating-App, kein Dating ohne Hintergrundcheck. 

Wer hat nicht davon geträumt, selbst das eigene Liebesleben vertrauensvoll in die Hände von Techkonzernen zu legen und sich mit individualisierten Angeboten (ja, Angeboten) beballern zu lassen? 

Es ist der wahrgewordene Traum jedes Marktforschungsinstituts und schlussendlich jedes Überwachungsstaats, dass grosse Teile der jüngeren Bevölkerung in hunderten Fragen bereitwillig Auskunft über ihr Innenleben, ihre Einstellungen, Vorlieben und Ängste geben, um «den perfekten Match» zu erhalten. Dies alles, zusammen mit eigenen Fotos aus
allen Winkeln, dem Lebenslauf und dem Wohnungsstandort zu einem schönen Paket geschnürt, ergibt einen Datensatz, gegen den die erkennungsdienstlichen Massnahmen der Polizei wie ein schlechter Witz erscheinen. Das Versprechen von der Sicherheit solcher Daten ist, wie immer im digitalen Raum, eine Farce. Grüsse hierbei an die NZZ, «Kuss-
smiley».

«Wie wichtig ist Ihnen Sex in einer Beziehung?» Solche und andere grandiose Fragen sollen also «Erfolg» im Liebesleben versprechen. Dabei bleibt ausgeschlossen, dass sich solche «Wichtigkeiten» ändern oder, wie man ja auch annehmen könnte, von der konkreten Beziehung abhängen. Der Algorithmus geht, ganz Zeitgeist, davon aus, dass wir statische Individuen sind und, unabhängig vom Gegenüber, einfach das «perfekt passende» Gegenüber brauchen, um das «perfekte Pärchen» zu werden. Ganz so, als wären wir Turnschuhe, da ists ja auch wünschenswert, zwei vom selben Modell zu haben.

Aber Achtung, solche Angebote sind selbstverständlich nicht für alle da, denn auch die lieben Techies von OkCupid und Co. legen Wert auf die bestehende Ordnung. So lautet ein Aufnahmekriterium in den AGBs: 

«Sie haben keine Straftat (oder ein Verbrechen ähnlicher Schwere) […] begangen, wurden nicht deswegen verurteilt und haben sich nicht dessen schuldig bekannt, es sei denn, Sie haben einen Gnadenerlass für ein nicht gewalttätiges Verbrechen erhalten, und wir [OkCupid] haben festgestellt, dass es unwahrscheinlich ist, dass Sie eine Bedrohung für andere Benutzer unserer Dienste darstellen.» 

Schön. Wie stellen die das denn fest? Dass man seinen Strafregisterauszug irgendwo einschicken muss, ist mittlerweile gang und gäbe. Reicht zusätzlich eine ganz ehrliche Beteuerung des Brav-Seins im Kundendienst-Chat? Oder doch lieber gleich ein forensisch-psychiatrisches Gutachten? Für die Liebe tut man ja doch alles.

Und muss es auch tun! Denn wie so oft im Bereich der digitalen «Revolution» wird man über kurz oder lang zur Nutzung gezwungen, will man nicht komplett an der Gesellschaft vorbeileben. Dass Algorithmen, die dir sagen, wer du bist und wer zu dir passt, der zu-
nehmenden kollektiven Vereinsamung nicht gerade entgegenwirken, liegt im Wesen der Sache. Bleiben doch die Angebote der digitalen Welt allerhöchstens Betäubungs-, bestimmt aber keine Heilmittel.

Von Andi G. Schütze

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