Nun präsentieren sie wieder ihre Körper: 20 neue Kandidatinnen buhlen in der nunmehr vierten Staffel um den Bachelor. Nebst dem offensichtlichen Sexismus des Sendungskonzepts sticht vor allem die Porno-Ästhetik der gecasteten Kandidatinnen ins Auge. Auch die Art und Weise der Inszenierung der Annäherungsversuche auf nicht zufällig exotischem Inselsetting in Thailand changiert zwischen Kitschroman und Pornoset. Was hier und in anderen Reality-TV-Formaten als Porno-Chic bezeichnet werden könnte, begegnet uns auch in Werbung, Musikvideos oder Newsportalen im Internet. Wird unsere Pop- und Alltagskultur immer pornografischer?
Genau das behauptet eine neue Generation feministischer Autorinnen, die unter dem Stichwort Pornografisierung gesellschaftliche Trends wie die beschriebene Verbreitung des Porno-Chics, aber auch die immer einfachere Verfügbarkeit von Pornografie im ursprünglichen Sinne kritisieren. Dank technologischen Innovationen und dem Wegfall von Regulierungen ist Pornografie heute auf jedem Computer und jedem Smartphone nur einen Klick entfernt. Mit der Kritik an diesen Phänomenen nehmen die Autorinnen ein weitverbreitetes Unbehagen auf, was medial geschürte Ängste um Pornosucht und in ihrer sexuellen Entwicklung negativ beeinflusste Teenager beweisen.
Was kritisieren diese Feministinnen an der Pornografisierung? Der Titel eines populären Buchs zum Thema bringt es auf den Punkt: ‹Pornland – wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt›. Die Autorin Gail Dines beschuldigt darin die Pornoindustrie, aus unserer Gesellschaft eine Art pornografisches Disneyland zu schaffen, wo die Normen des pornografischen Blicks herrschen. Diese Normen verdinglichen unsere Körper und unsere Sexualität zur Ware. Wir beginnen uns als Produkte zu verstehen, die optimiert werden müssen. Ich stimme dieser Kritik insofern zu, als dass Dines damit einen Aspekt des herrschenden neoliberalen Kapitalismus aufgreift: Die Normen der Leistungsgesellschaft müssen nun auch im Bereich des eigenen Körpers und der Sexualität eingeübt werden. Wir müssen uns als verführerische Waren präsentieren, um auf dem Markt bleiben zu können.
Was mich allerdings stört an Dines’ und anderer
feministischer Kritik an Pornografisierung, das ist die Wiederkehr gewisser Argumente und Topoi, die bereits die erste
Welle feministischer Pornografie-Kritik in den 1970er /
1980er-Jahren prägten. Dazu gehören die unbewiesene Annahme einer Kausalbeziehung zwischen Pornokonsum und sexuellen Übergriffen. Zwar findet sich in den Biografien vieler Sexualstraftäter die Neigung zum Pornokonsum, dennoch konsumieren sehr viele Männer ebenso Pornos und werden nicht zu Sexualstraftätern. Ein weiteres wiederkehrendes Argument ist die Verallgemeinerung von spezifisch gewaltförmiger und frauenfeindlicher Mainstreampornografie zum Beweis der generellen Gewaltförmigkeit und Frauenfeindlichkeit von Pornografie überhaupt. Immerhin gibt es den finanziell nicht unerheblichen Sektor der schwulen Mainstreampornografie, der gänzlich ohne Frauen auskommt. Pornografie muss also nicht notwendigerweise frauenfeindlich sein. Ein letzter zentraler Topos ist die Annahme einer reinen, harmonisch-reziproken, nicht-gewaltförmigen Sexualität, die durch Pornografie verdorben und beschmutzt wird. Diese Annahme durchzieht mehr oder weniger unausgesprochen einen Grossteil feministischer Pornografiekritik und beruht meiner Meinung nach auf einer falschen Vorstellung davon, wie sexuelles Begehren funktioniert.
Denn Sexualität ist nicht etwas, das man besitzt und das einem die Pornoindustrie wegnehmen kann. Das Subjekt ist ja nicht Herr über sein Begehren, eher ist es umgekehrt. Eher übt das Subjekt gewisse gesellschaftliche Normen zur Sexualität ein, um überhaupt als ein begehrendes Subjekt gesellschaftlich verstehbar und anerkannt zu werden. Doch sexuelles Begehren ist transgressiv; es setzt sich selber Grenzen, um sie im gleichen Akt zu überschreiten. Auch wenn die gelebte Sexualität sich innerhalb gesellschaftlicher Normen abspielt, hält sich das Begehren nicht an diese Normen. Es lädt im Gegenteil gerade den Grenzbereich gesellschaftlicher Normen erotisch auf. Damit überschreitet es stets das, was einem Subjekt an Sexualität in einer spezifischen sozialen Situation gerade real auszuleben möglich oder erlaubt ist. Für diese sexuellen Fantasien der Überschreitung eröffnet Pornografie nun einen Raum. Die Frau, die Nein sagt, aber Ja meint, die Erotisierung und Aufhebung von Klassengegensätzen, ja, auch die zugegebenermassen verstörenden Gewaltfantasien und rassistischen Stereotypisierungen der Pornografie – sie sind alles Fantasien der Überschreitung gesellschaftlicher Normen. In diesem Sinne ist Pornografie transgressiv.
Die feministische Pornografiekritik und mit ihr auch die aktuelle Kritik an der Pornographisierung negieren entweder diese transgressive Funktion der Pornografie oder nehmen sie einseitig nur als Bedrohung war. Ein Beispiel dafür ist das in der Pornografisierungsdebatte oft verwendete Motiv der Jugendlichen, die vor den schädlichen, allgegenwärtigen Bildern im Internet geschützt werden müssen. Vermutlich fühlt man sich selten in seiner Biografie als sexuelles Subjekt derart eingeschränkt im Ausleben seines sexuellen Begehrens wie als Teenager. Das Begehren übersteigt die realen Möglichkeiten zur Sexualität exponentiell. Dass in einer solchen Situation die Fantasiewelten der Pornografie als Möglichkeit erscheinen, die realen Begrenzungen des Begehrens hinter sich zu lassen, liegt meiner Meinung nach auf der Hand. Die Ängste um die sexuelle Unversehrtheit der Jugendlichen haben eher mit dem Reinheitsmythos, den Erwachsene auf Kindheit und Jugend projizieren, zu tun und mit Ängsten vor der Unkontrollierbarkeit der modernen technologischen Möglichkeiten, die von sich weggeschoben und auf die Jugendlichen übertragen werden.
Beispiele, wie der transgressive Charakter der Pornografie auch politisch subversiv gegen die stereotypen Bilder der Mainstreampornografie eingesetzt werden könnte, finden sich in der wachsenden Szene der Postpornografie. Der Begriff der Postpornografie stammt von der Künstlerin und ehemaligen Pornodarstellerin Annie Sprinkle, die ihre pornographische Konventionen zum Thema machenden Performances selbst Postpornografie nannte. Heute versammelt sich unter diesem Begriff eine breite Palette queerfeministischer, sexaktivistischer und künstlerischer Interpretationen von Pornografie. Ihnen ist der Anspruch gemeinsam, der MainstreamPornografie eigene, nicht-heteronormative, nicht-sexistische, nicht-rassistische und doch erotisch stimulierende Bilder entgegenzusetzen. Damit machen sie genau von dem transgressiven Charakter der Pornografie Gebrauch, der es erlaubt, die Grenzen der gesellschaftlich normierten Sexualität auszuloten. Und so werden in der Postpornografie schon mal Fahrräder erotisch besetzt, es kommen von den herkömmlichen Schönheitsidealen abweichende Körperbilder in den Blick, Geschlechterbinaritäten werden aufgehoben.
Natürlich sind auch die Bilder der Postpornografie nicht gänzlich frei von Normierung. Um als Pornografie lesbar zu bleiben, müssen halt doch oft einige gängige Regeln des Genres eingehalten werden. Eine pornografische Standardfantasie über Sex mit dem Klempner bleibt ein Stück weit den Regeln der Mainstreampornografie verhaftet, auch wenn der Klempner ein Transmann ist. Und auch die Zurschaustellung von sexueller Freiheit kann als Zwang oder Normierung verstanden werden, wenn dem Publikum sexuell nicht immer so frei zumute ist. Mir ging es an dieser Stelle auch nicht darum, Postpornografie als Allheilmittel gegen den von Feministinnen zu Recht kritisierten Sexismus und Rassismus der Mainstreampornografie ins Feld zu führen. Es geht mir darum, den von der feministischen Porno-Kritik entweder negierten oder einseitig als Gefahr wahrgenommenen transgressiven Charakter der Pornografie zur Diskussion zu stellen. Und diesen gegen die Vorstellung starkzumachen, Pornografie sei einzig eine Propagandamaschine für eine warenförmige Sexualität und werde mit ihren Normen uns unserer heilen, unverdorbenen Sexualität berauben.
Nathan Schocher ist Doktorand am Philosophischen Seminar der Uni Zürich und am Zentrum Gender Studies der Uni Basel. Er ist zudem Programmleiter Menschen mit HIV bei der Aids-Hilfe Schweiz.