Ich war dabei, aber ich habe nicht dazu gehört.
Die Jungs waren die Opposition, zu allem,
manchmal auch zu sich selbst.
Ich war der, der vorbeischaute. In jeder Hinsicht ein kurzes Stück Weg. Die Beats, dieser Haufen Verrückter. Der Mann im Anzug mit Krawatte, der Mann mit der Schere. Auf Engelsflügeln ab in die Hölle.
Junk in Istanbul. Bier in Mannheim. Und in Frankfurt hing in einem Schrank die Uniform eines Piloten der Lufthansa. Und der Mann,
der sie getragen hatte, sass hinter einer Schreibmaschine.
Der Jürgen wohnte ja jahrelang in Frankfurt in der gleichen Strasse wie ich.
Bessere Voraussetzungen für Interesse kann es nicht geben.
Schneiden. Falten. Schreiben. Neu schneiden. Neu falten.
Neu schreiben.
Neues schreiben!
Ich hab damit dann auch angefangen. Erstaunliche Ergebnisse, besonders nach Mitternacht, kurz vorm Kollaps. Sie sollten sich mal
aus meiner Bibliothek das MÄRZ-Buch SCHÖPS von Irving Rosenthal anschauen, keine Seite, die nicht gefaltet oder sonstwie ramponiert
ist. So gehen nur Irre mit Büchern um, aber nur auf die kommt es an.
Eigentlich wurde kaum geredet. Fauser redete sowieso nie viel. Jürgen noch weniger. Und Carl stand den beiden in nichts nach.
Am Ende war trotzdem alles klar und getan. Und irgendwann kam wieder ’ne Ausgabe GASOLIN 23 raus.
Und Jürgen ging zum Schrank, zog seine Uniform an, ich glaube nicht, dass er gross seine Frau küsste zum Abschied, liess die Triebwerke an und zog den Vogel hoch über die Wolken und in die Nacht. New York. Atlanta. Denver. Detroit.
Das imponierte mir mehr als einiges von dem, was die Gasoliner schrieben. Für meinen Geschmack zu viel B-Picture-Beleuchtung.
Zu viel Outer Space und cooles Getue. Zu viel Virus-Software. Cops. Weiber. Knarren. Männer, die sich aufführten, als gäben sie Hollywood nur noch eine, nämlich die letzte Chance. Jede Stadt Wüste. Uhren, die nur die entscheidenden Minuten anzeigten. Der Schreibtisch Labor. «Der kleine Gorilla spuckte einen blutigen Kaugummi auf den Teppich».
Ich war damals der einzige in der Ulmenstrasse, der auch noch Arien singen wollte. Wenn mir nach cut-up war, schrieb ich selbst welche – z.B. das grossflächige Poem LETZTE NACHT IN MAILAND, abgedruckt in meinem Gedichtband CHUCKS ZIMMER – oder las
in den CANTOS von Ezra Pound.
Wie gesagt, ich war dabei, gehörte aber nicht dazu.
Er trinkt Tee. Wenn ihm nach Gemütlichkeit zumute ist, stopft er sich eine Pfeife. Er legt Duke Ellington auf. Anna serviert das Abendessen. Sie bucht Flüge nach Florida, seinem Zweitwohnsitz. Ich habe ihn dort einmal besucht. Und sah, was ich kenne: Jürgen an der Schreibmaschine. Jazzmusik, leise. Von wegen, da rauschen die Palmen. Aber einmal hat er sich einen alten roten Ford Mustang gegönnt und von Chicago aus als Luftfracht einfliegen lassen.
Mit ihm am Steuer stimmt wieder alles.
Ich habe Jürgen nie zugedröhnt erlebt. Gekifft wurde in meinen vier Wänden, ein paar Häuser weiter unten. Da traf sich die andere Opposition, meine Hippies, meine Sufis, meine Schamanen, die mit Crumb-Comics unterm Arm, die Ginsberg, nicht Burroughs lasen, im Schneidersitz das Tibetanische Totenbuch studierten, das I-Ging warfen, aber bei Vollmond auch nichts gegen eine kleine Orgie einzuwenden hatten.
Ich gedenke, was dieses Vergnügen betrifft, mit Respekt meines verstorbenen Freundes Brummbär, einer, der gross darin war, die Wahrheit um der Weisheit willen zu opfern.
poetry don’t need pages, schrieb Ginsberg.
Nun wird der Altmeister, der Freund, der Autor, Essayist und Theoretiker, unglaubliche 85 Jahre. Ein, wie es sich für einen Mann seiner Statur gehört, sturer Hund, der seine in den späten sechziger Jahren begonnene Pionierarbeit ohne erkennbare Ermüdung bis heute fortsetzt. Er berührt manchmal sogar die Bereiche des Erzählens, jene Substanz, die aus Wörtern Schönheit macht – im Sinn von T. E. Hulme, der geschrieben hat: «Genauigkeit kommt immer der Schönheit zugute und richtiges Denken dem zarten Gefühl.»
Das Alter, Jürgen muss es wissen, hat auch Vorteile.