Wikipedia, die freie Online-Enzyklopädie, ist den meisten vertraut. Weniger bekannt sind die Anstrengungen, die von den nationalen Fördervereinen
zur Unterstützung der Wikipedia unternommen werden, um künftig noch mehr Wissen frei zugänglich zu machen. Um mehr über das Zusammen-
spiel zwischen Wikipedia und den sogenannten «Glams» zu erfahren, haben wir uns mit Beat Estermann vom E-Government-Institut der Berner Fach-
hochschule unterhalten.
Daniel Boos: Was haben Wikipedia und Glams genau miteinander zu tun?
Beat Estermann: Das erklärte Ziel von Wikipedia und der Wikimedia-Community ist, sämtliches Wissen der Menschheit allen frei zugänglich zu machen. Nun sind Bibliotheken, Archive und Museen Orte (Anm. d. Red.: Galleries, Libraries, Archives, Museums; abgekürzt GLAM – im folgenden bezeichnet als Glam), an denen sehr viel Wissen vorhanden ist – sei es in Form von historischen Objekten, Dokumenten, Rechercheberichten, die man für die Wikipedia erschliessen kann, aber auch in Form von informellem Wissen, über das die Kuratoren und Mitarbeitenden dieser Institutionen verfügen. Hinzu kommt, dass Glams in der Regel den offiziellen Auftrag haben, dieses Wissen möglichst breiten Kreisen zu vermitteln. Da Wikipedia für die meisten Leute eine der ersten Anlaufstellen bei der Informationssuche ist, liegt es nahe, dass sich Glams auch Gedanken machen, wie sie ihr Wissen am besten in die Online-Enzyklopädie einspeisen. David Ferriero, der US-amerikanische Bundesarchivar hat es vor einem Jahr schön auf den Punkt gebracht: «The Archive is involved with Wikipedia, because that’s where the people are!» Mittlerweile ist auch das Schweizerische Bundesarchiv auf den Zug aufgesprungen und verfügt seit Anfang Juli über einen Wikipedian in Residence, der dafür sorgen soll, dass sich die Welt des Archivs und jene der Wikipedianer näher kommen.
Das tönt nach einer Win-Win-Situation. Wieso braucht es dennoch spezielle Anstrengungen, um solche Kooperationen zu fördern?
Das liegt zum einen daran, dass Menschen und Organisationen immer Zeit brauchen, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Oftmals haben wir es mit Strukturen zu tun, die noch aus einer Zeit vor dem Internet stammen und sich nur nach und nach anpassen lassen. Bei Glam-Wiki-Kooperationen treffen sehr unterschiedliche Organisationskulturen aufeinander und die Beteiligten müssen zunächst einmal verstehen, wie die andere Seite überhaupt tickt. Anschliessend kann es zu einem für beide Seiten sehr befruchtenden Austausch kommen.
Wo kommt es denn am ehesten zum Kulturschock?
Unsere Studie hat ergeben, dass viele Institutionen zögern, Inhalte unter eine «freie» Urheberrechtslizenz zu stellen oder nur schon gemeinfreie Werke, die sie in digitalisierter Form ins Internet stellen, als solche zu behandeln und nicht zusätzliche Einschränkungen bei der Nutzung zu erlassen. Das ist natürlich für Wikipedia und Organisationen, die sich für «freies» Wissen stark machen, ein Problem. Bei den Gedächtnisinstitutionen kommt hinzu, dass viele von ihnen zu einem grossen Teil durch die öffentliche Hand finanziert werden, und dass es daher eigentlich schwer verständlich ist, weshalb Bilder oder andere Inhalte nicht für die Nutzung freigegeben werden, so dass diese direkt in der Wikipedia verwendet werden können.
Weshalb denn diese Zögerlichkeit seitens der Glams?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. An erster Stelle steht der Zusatzaufwand, der mit der Bereitstellung von Inhalten verbunden ist. Diesem Zusatzaufwand muss natürlich ein Nutzen gegenüber stehen, sonst passiert überhaupt nichts. Hier müssen die Anstrengungen der Wikimedia-Vereine und verwandter Organisationen ansetzen: Ein Zusatznutzen muss geschaffen und dokumentiert werden. In einigen Bereichen ist das relativ einfach; die Wikipedia hat monatlich 500 Millionen Nutzer, da leuchtet es ein, dass zusätzliche Bilder, die in Artikel eingebunden werden, auch einen zusätzlichen Nutzen stiften. In anderen Bereichen, wo es zu einem engen Austausch kommen muss, bevor ein echter Mehrwert entstehen kann, gestaltet sich eine Kooperation nicht immer einfach. Es ist auch nicht gesagt, dass sich für ein bestimmtes Thema unter den bestehenden Community-Mitgliedern auch gleich eine genügende Anzahl Freiwillige findet. Deshalb sollte man immer mitbedenken, wie man neue Freiwillige anwerben kann. Daneben hat die Zurückhaltung der Glams auch mit Ängsten vor Kontrollverlust zu tun: Man möchte nicht, dass Inhalte verändert werden, ohne dass man ein Vetorecht hat. Man fürchtet, dass jemand die Inhalte kommerziell nutzt und einen Gewinn einstreicht, von dem man selber nichts abbekommt. Bisweilen möchten die Institutionen auch nachgewiesen bekommen, wie oft ein Werk kommerziell genutzt wird, was bei einer «freien» Lizenzierung aktuell noch eher schwierig ist. Im schlechtesten Fall gibt man sich damit zufrieden, die Nicht-Nutzung von proprietären Inhalten zu dokumentieren, weil man die Nutzung «freier» Inhalte nicht dokumentieren kann. Die Problematik der «verwaisten Werke», bei denen der rechtliche Status unklar ist, führt zudem dazu, dass viele Institutionen auf Material sitzen, das sie nicht freigeben, weil die rechtlichen Abklärungen unmöglich oder zu aufwändig wären.
Auch die Rote Fabrik ist eine kulturelle Institution. Welche Informationen könnte eine Einrichtung wie sie der Wikipedia zur Verfügung stellen? Welche Rolle könnte eine Rote Fabrik spielen?
Die einfachste Möglichkeit besteht darin, Textinhalte sowie Bild- und Multimedia-Material, über deren Verwertungsrechte die Rote Fabrik verfügt, unter einer «freien» Urheberrechtslizenz zu veröffentlichen. Über weitere Möglichkeiten können wir uns bei Gelegenheit gerne unterhalten. Es ist wichtig, die Ideen und Interessen der Institution und ihrer Zielgruppen in die Überlegungen mit einzubeziehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Daniel Boos.