Am 17. April liest der Autor Ahne im Restaurant Parea aus seinem Roman «Wie ich einmal lebte». Im Interview mit der Fabrikzeitung spricht er über seinen Bezug zur Arbeit, das Punksein in der DDR und darüber, wie sich Freiräume zeit seines Lebens veränderten.
Fabrikzeitung: Ahne, wollen wir uns duzen oder siezen?
Ahne: Gerne duzen.
FZ: Wen duzt du und wen siezt du allgemein?
Ahne: Normalerweise sieze ich erstmal alle, die mir nicht bekannt sind und duze dann diejenigen, die das nicht ablehnen.
FZ: Wie war die Anrede damals in der DDR?
Ahne: Es gab keinen Unterschied zu heute. Ausser die SED-Genossen: Die haben sich alle geduzt.
FZ: Dein neues Buch, ein autobiografischer Roman, handelt von den ersten 21 Jahren deines Lebens, deiner Kindheit und Jugend in der DDR. Der Titel des Buches lautet: «Wie ich einmal lebte». Das klingt, als wäre es ein anderes Leben gewesen. Wie erinnerst du dich an diese Zeit?
Ahne: Es war tatsächlich ein anderes Leben. Ein anderes Leben, in dem letzten Endes die negativen Erinnerungen überwiegen.
FZ: Ein Hauptthema deines Romans ist die Arbeit. Wie war die Arbeitssuche nach der Schule in der DDR?
Ahne: Herausfordernd. Ich wollte ja gar nicht arbeiten. Ich hatte überhaupt keine Ideen, was ich werden möchte. Weiter zur Schule zu gehen war nicht möglich und die Berufe, die ich mir hätte vorstellen können, waren es auch nicht.
FZ: Wieso blieben sie dir verwehrt?
Ahne: In der DDR hat man zwischen Berufen unterschieden, die für Männer sein sollten und solchen, die für Mädchen oder Frauen gedacht waren. Die Jungs wollte man in der Fabrik, der Armee oder auf dem Bau haben und darauf hat man auch die Lehrstellen ausgerichtet. Ich wollte etwas wie Buchhändler oder Bibliothekar machen, da gab es aber gar keine Lehrstellenangebote für Jungs.
FZ: Du bist dann Offsetdrucker geworden. Wie war dein Verhältnis du dieser Arbeit?
Ahne: Ich wusste gar nicht, was das ist, als ich mich dafür beworben hab. Es war schon schlimm: Ein harter Fabrikjob, der körperliche Voraussetzungen erforderte, die ich gar nicht mitbrachte. Ich war dünn, schwach und klein, und bin es heute immer noch. Deswegen war das nichts für mich.
Als Drucker in der DDR kamen damals nur drei mögliche Zukunftsszenarien für mich infrage: Dass ich zwanzig Jahre später entweder Alkoholiker, im Knast oder tot bin. Etwas anderes war für mich nicht vorstellbar.
FZ: Wie war das Arbeitsethos zur damaligen Zeit?
Als Arbeiter war man theoretisch an der Macht. Die DDR nannte sich ja auch «Arbeiter- und Bauernstaat». Arbeit wurde glorifiziert, aber das stand in krassem Widerspruch zu dem, wie es in den Betrieben zu- und herging. Die Arbeiter haben dieses Ethos überhaupt nicht gelebt. Stattdessen hat man versucht, so wenig wie möglich zu arbeiten und sich aus den Betrieben herauszunehmen.
FZ: Du warst zu dieser Zeit Punk. Wie darf man sich das vorstellen?
Ahne: Ich war kein Punk in dem Sinne, dass man es mir auf der Strasse angesehen hätte. Ich habe mich aber als Punk gefühlt. Ich habe weder Alkohol getrunken, noch hatte ich Lust, mir die Haare abzurasieren, noch habe ich die Musik gehört. Ich fand es einfach nur spannend, dass man machen konnte, was man wollte und sich nicht anpasste.
FZ: Wie frei konnte man diese Subkultur in der DDR ausleben?
Ahne: Wenn du als Punk sichtbar warst, wurdest du oft von der Polizei angesprochen. Dann haben sie dir etwa ein Betretungsverbot erteilt, sodass du dich in gewissen Gebieten nicht aufhalten durftest, zum Beispiel am Alexanderplatz. Wenn du dich geweigert hast, bist du zur Dienststelle mitgenommen worden. Oder die Polizei hat dich direkt verprügelt, das kam auch häufig vor. Gerade die Transportpolizei hat oft zugeschlagen. Auch in den Betrieben hat man Ärger gekriegt und konnte bestimmte Berufe nicht ausüben oder durfte nicht studieren. Es gab auch Punks, die überhaupt nicht zur Arbeit gegangen sind. Die landeten dann schnell im Knast.
FZ: Wie stand es nach dem Mauerfall um kulturelle Freiräume? War danach alles möglich?
Ahne: Alles war nicht möglich. Es kam darauf an, in welcher Lebenssituation man war, aber für mich persönlich war alles möglich. Es war eine absolute Befreiung. Zum Beispiel ganz simpel dadurch, dass man reisen konnte. Eine andere Befreiung war, dass ich meine Arbeit verloren habe. Ich konnte deshalb machen, was ich wollte. Ich hatte ein wenig Geld und wir haben ein Haus besetzt, weswegen ich keine Miete zahlen musste. Dass ich so eine Zeit erleben durfte, war ein grosser Glücksfall. So etwas wünsche ich allen.
Ich merke aber auch, wie ich die negativen Erlebnisse ausblende. Gewalt auf der Strasse hat zu dieser Zeit eine grosse Rolle gespielt. Viele Leute sind ums Leben gekommen, auch ich bin öfters richtig dolle verprügelt worden.
FZ: Von wem?
Ahne: Nazis.
FZ: Wie haben sich die Freiräume in den letzten dreissig Jahren entwickelt?
Ahne: Mein Eindruck ist, dass es wesentlich weniger geworden sind. Im öffentlichen Raum haben sie stark abgenommen und alles ist teurer geworden. Viele Leute können es sich nicht mehr leisten, in irgendwelche Kneipen zu gehen. Auch die ganzen besetzten Häuser in Ostberlin, wo man sich treffen konnte und Kulturveranstaltungen stattfanden, sind nicht mehr da.
FZ: Auch du selbst warst Hausbesetzer. Wann hast du damit angefangen?
Ahne: Januar 1990. Da wohne ich immer noch. Mittlerweile haben wir das Haus aber als Verein gekauft.
FZ: Häuser zu besetzen ist schwieriger geworden. An was oder wem liegt es?
Ahne: Ich kann nur von Ostdeutschland sprechen. Die Besitzverhältnisse sind mittlerweile anders. Für uns war es ein Glück, dass die Besitzverhältnisse oft ungeklärt waren und man einfach mal reingehen konnte. Der Staat war zudem in einer unsicheren Situation und wollte wohl nicht übermässig Macht demonstrieren, weshalb er solche Besetzungen erstmal akzeptierte. Heute ginge das alles nicht mehr. Zum einen gibt es kaum noch Häuser, die leer stehen, zum andern beendet der Staat die Besetzungen viel machtvoller.
FZ: Du wohnst im Prenzlauer Berg, einem Viertel, in dem die Mieten in den letzten Jahren stark gestiegen sind. Es wurde gentrifiziert. Hat sich dadurch irgendetwas verbessert?
Ahne: Ja, es ist viel sauberer und ruhiger geworden, sonst hat sich nichts verbessert. Ich fühl mich hier ehrlich gesagt nicht mehr wohl. Wenn ich das Haus mitnehmen könnte, würde ich es irgendwo anders hinsetzen. Ich habe aber auch keine Lust irgendwo hinzuziehen, wo ich die Gentrifizierung noch einmal erleben müsste.
FZ: Wie gilt es deiner Meinung nach gegen Gentrifizierung vorzugehen?
Ahne: Ich habe kein Konzept. Ich denke, dass es gut ist, wenn man bleibt. Die kleinen Dinge machen es aus: Wir wollen in unserem Haus beispielsweise die Mieten senken und versuchen uns bei weiteren Wonhäusern finanziell zu beteiligen, um günstigen Wohnraum zu ermöglichen. Wir veranstalten auch Lesebühnen, wo Schreibende für billigen Eintritt Texte vorlesen, die sonst nicht gehört werden. Es ist wichtig, dass man schmutzig ist, laut bleibt und sich nicht an den gewollten Wandel zum Schickeren hin anpasst.
FZ: Du bist seit gut 30 Jahren Autor, jetzt erscheint dein erster Roman. Eine Romanlesung dürfte auch für dich eine neue Angelegenheit sein. Hast du schon eine Idee, wie du das anstellst?
Ahne: Ne, überhaupt nicht. Ich schiebe das alles so vor mich hin. Es sind ja noch ein paar Tage bis zur ersten Lesung.
FZ: In einem Interview hast du einmal gesagt, Lesebühnen, auf denen du klassischerweise auftrittst, hätten Lesungen proletarisiert. Wie sieht nun eine proletarisierte Romanlesung aus?
Ahne: Keine Ahnung, aber das will ich machen! Ich wäre aber auch froh, wenn das Bildungsbürgertum zur Lesung kommt.
FZ: In deinem Roman beschreibst du, wie du dir als Kind ausgemalt hast, wie du mit Freund:innen auf einem Dreimaster durch die Welt segelst. Wo ginge die Reise heute hin?
Ahne: Ich denke, der Dreimaster bliebe auf See.
Von Marc Huber